vor, was er in fünfzehn Jahren nicht gethan hat, mich auf einen jüdischen Hochzeitball zu führen, wohin wir eigentlich Alle gebeten waren, aber wohin nur unser junges Haus ging. Ich ging aus Neugierde; jüdisch, eng u. s. w. -- die Aufnahme. als käme der Großsultan in ein lang verlassenes Serail, mich beschämte das: Hitze zum Sticken. Belohnt wurde ich aber durch eine beaute, die ich dort sah, eine beaute! Gad seine Schwägerin von fünfzehn Jahr, mündlich die Beschreibung; viele Hübsche waren auch noch; überhaupt sieht man hier viele hübsche Hände.
den 3 September.
-- Du aber, Franz, desesperirst mich! schreibst mir von Reichardt. Soll ich vergehen? von weitem. Und dann Goethe. Warum kömmt so was Leuten zu, die nicht so für Freude und Genuß zitterten! Wenn's eine giebt, so giebt's eine, die ich nicht versteh', einseh' und begreife: nein, es giebt keine Gerech- tigkeit! und von mir fordert man alles. Ich vergeh' aus Schmach: Reichardt kann ich nicht einmal begegnen! -- Der Onkel sieht jetzt gar keine Leute, weil ihm der Kopf mit Po- len verrückt ist, hat er mir jetzt eben selbst gesagt, und giebt darum auch das einzige Souper nicht, was er geben wollte, wenn nicht heute noch gute Nachrichten kommen. Die Polen emigriren noch immer stark hierher. Ich lerne also keinen Menschen kennen. Auch aus einer Reise nach Dyhrnfurt wird nichts deßhalb. Ich habe das schönste guignon: und blieb' ich mir selbst nicht, wär' ich dumm wie ein Ochse. Sagt einmal, Kinder, wie das ist: Brinckmann hat mir noch auf das Ringchen nicht geantwortet; und Navarro schreibt mir
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vor, was er in fünfzehn Jahren nicht gethan hat, mich auf einen jüdiſchen Hochzeitball zu führen, wohin wir eigentlich Alle gebeten waren, aber wohin nur unſer junges Haus ging. Ich ging aus Neugierde; jüdiſch, eng u. ſ. w. — die Aufnahme. als käme der Großſultan in ein lang verlaſſenes Serail, mich beſchämte das: Hitze zum Sticken. Belohnt wurde ich aber durch eine beauté, die ich dort ſah, eine beauté! Gad ſeine Schwägerin von fünfzehn Jahr, mündlich die Beſchreibung; viele Hübſche waren auch noch; überhaupt ſieht man hier viele hübſche Hände.
den 3 September.
— Du aber, Franz, deſeſperirſt mich! ſchreibſt mir von Reichardt. Soll ich vergehen? von weitem. Und dann Goethe. Warum kömmt ſo was Leuten zu, die nicht ſo für Freude und Genuß zitterten! Wenn’s eine giebt, ſo giebt’s eine, die ich nicht verſteh’, einſeh’ und begreife: nein, es giebt keine Gerech- tigkeit! und von mir fordert man alles. Ich vergeh’ aus Schmach: Reichardt kann ich nicht einmal begegnen! — Der Onkel ſieht jetzt gar keine Leute, weil ihm der Kopf mit Po- len verrückt iſt, hat er mir jetzt eben ſelbſt geſagt, und giebt darum auch das einzige Souper nicht, was er geben wollte, wenn nicht heute noch gute Nachrichten kommen. Die Polen emigriren noch immer ſtark hierher. Ich lerne alſo keinen Menſchen kennen. Auch aus einer Reiſe nach Dyhrnfurt wird nichts deßhalb. Ich habe das ſchönſte guignon: und blieb’ ich mir ſelbſt nicht, wär’ ich dumm wie ein Ochſe. Sagt einmal, Kinder, wie das iſt: Brinckmann hat mir noch auf das Ringchen nicht geantwortet; und Navarro ſchreibt mir
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vor, was er in fünfzehn Jahren nicht gethan hat, mich auf
einen jüdiſchen Hochzeitball zu führen, wohin wir eigentlich
Alle gebeten waren, aber wohin nur unſer junges Haus ging.
Ich ging aus Neugierde; jüdiſch, eng u. ſ. w. — die Aufnahme.
als käme der Großſultan in ein lang verlaſſenes Serail, mich
beſchämte das: Hitze zum Sticken. Belohnt wurde ich aber
durch eine beauté, die ich dort ſah, eine beauté! Gad ſeine
Schwägerin von fünfzehn Jahr, mündlich die Beſchreibung;
viele Hübſche waren auch noch; überhaupt ſieht man hier
viele hübſche Hände.
den 3 September.
— Du aber, Franz, deſeſperirſt mich! ſchreibſt mir von
Reichardt. Soll ich vergehen? von weitem. Und dann Goethe.
Warum kömmt ſo was Leuten zu, die nicht ſo für Freude und
Genuß zitterten! Wenn’s eine giebt, ſo giebt’s eine, die ich
nicht verſteh’, einſeh’ und begreife: nein, es giebt keine Gerech-
tigkeit! und von mir fordert man alles. Ich vergeh’ aus
Schmach: Reichardt kann ich nicht einmal begegnen! — Der
Onkel ſieht jetzt gar keine Leute, weil ihm der Kopf mit Po-
len verrückt iſt, hat er mir jetzt eben ſelbſt geſagt, und giebt
darum auch das einzige Souper nicht, was er geben wollte,
wenn nicht heute noch gute Nachrichten kommen. Die Polen
emigriren noch immer ſtark hierher. Ich lerne alſo keinen
Menſchen kennen. Auch aus einer Reiſe nach Dyhrnfurt
wird nichts deßhalb. Ich habe das ſchönſte guignon: und
blieb’ ich mir ſelbſt nicht, wär’ ich dumm wie ein Ochſe. Sagt
einmal, Kinder, wie das iſt: Brinckmann hat mir noch auf
das Ringchen nicht geantwortet; und Navarro ſchreibt mir
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/113>, abgerufen am 20.11.2024.
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