niß aus, auch zu spielen. Da exercirt' ich denn bis jetzt 9 Uhr, die Andern spielen Piquet, und ich habe noch Zeit euch meine Geschichte zu schreiben. Ich mache mir kein Gewissen draus, euch diesen Brief voll unmuthigen Inhalts zu schicken; erstlich ist das Leben so; zweitens ist's meine wahrhafte Geschichte, des Gemüths und der Begebenheiten. Lieber Hans, ich will dich noch angelegentlich bitten, Linen anzubefehlen etc. Nun werd' ich bald hinaufgehen müssen, denn ich schreibe bei mei- ner Wirthin, unter dem originalsten, gar nicht ungescheidten Gespräch der Kinder und einer Frau. Adieu. Man trägt das Essen schon hinauf. Morgen Abend les' ich eure Briefe, ich freu' mich recht darauf. Adieu.
Breslau, den 26. August.
Zum zweitenmale mußt' ich gestern Abend die Breslauer Thürme anstatt der unsrigen sehen! wie verzehrt einen Unge- duld nicht --! Wir hatten ein Wetter! als hätt' es Apoll zu einer Landfete sentimental bestellt, das genoß ich denn den ganzen Tag, und athmete noch Gesundheit zum Vorrath ein. (Apropos, ich bin sehr gesund, sogar mein Fuß ist ganz besser.) Wie ward mir aber, wieder in diese enge Straße einzukriechen und in dieses Haus; ich, die ich Luft für das erste Requisit halte, und vierzehn Tage lauter Feldluft geathmet hatte! mir wurde so angst und bange, daß ich mich eine Stunde lang vor der Thür aufhielt. -- Aus ganz Polen flüchtet hier alles her; gestern sollen die polnischen Wagen den ganzen Tag wie ein Leichenzug hereingezogen sein: und die Mad. Kobisch hat schon dem Minister gesagt, sie würde den Vornehmsten ihr schönes Haus anbieten, welches er sehr genehmigte, -- so
geht's
niß aus, auch zu ſpielen. Da exercirt’ ich denn bis jetzt 9 Uhr, die Andern ſpielen Piquet, und ich habe noch Zeit euch meine Geſchichte zu ſchreiben. Ich mache mir kein Gewiſſen draus, euch dieſen Brief voll unmuthigen Inhalts zu ſchicken; erſtlich iſt das Leben ſo; zweitens iſt’s meine wahrhafte Geſchichte, des Gemüths und der Begebenheiten. Lieber Hans, ich will dich noch angelegentlich bitten, Linen anzubefehlen ꝛc. Nun werd’ ich bald hinaufgehen müſſen, denn ich ſchreibe bei mei- ner Wirthin, unter dem originalſten, gar nicht ungeſcheidten Geſpräch der Kinder und einer Frau. Adieu. Man trägt das Eſſen ſchon hinauf. Morgen Abend leſ’ ich eure Briefe, ich freu’ mich recht darauf. Adieu.
Breslau, den 26. Auguſt.
Zum zweitenmale mußt’ ich geſtern Abend die Breslauer Thürme anſtatt der unſrigen ſehen! wie verzehrt einen Unge- duld nicht —! Wir hatten ein Wetter! als hätt’ es Apoll zu einer Landfête ſentimental beſtellt, das genoß ich denn den ganzen Tag, und athmete noch Geſundheit zum Vorrath ein. (Apropos, ich bin ſehr geſund, ſogar mein Fuß iſt ganz beſſer.) Wie ward mir aber, wieder in dieſe enge Straße einzukriechen und in dieſes Haus; ich, die ich Luft für das erſte Requiſit halte, und vierzehn Tage lauter Feldluft geathmet hatte! mir wurde ſo angſt und bange, daß ich mich eine Stunde lang vor der Thür aufhielt. — Aus ganz Polen flüchtet hier alles her; geſtern ſollen die polniſchen Wagen den ganzen Tag wie ein Leichenzug hereingezogen ſein: und die Mad. Kobiſch hat ſchon dem Miniſter geſagt, ſie würde den Vornehmſten ihr ſchönes Haus anbieten, welches er ſehr genehmigte, — ſo
geht’s
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0110"n="96"/>
niß aus, auch zu ſpielen. Da exercirt’ ich denn bis jetzt 9 Uhr,<lb/>
die Andern ſpielen Piquet, und ich habe noch Zeit euch meine<lb/>
Geſchichte zu ſchreiben. Ich mache mir kein Gewiſſen draus,<lb/>
euch dieſen Brief voll unmuthigen Inhalts zu ſchicken; erſtlich<lb/>
iſt das Leben ſo; zweitens iſt’s meine wahrhafte Geſchichte,<lb/>
des Gemüths und der Begebenheiten. Lieber Hans, ich will<lb/>
dich noch angelegentlich bitten, Linen anzubefehlen ꝛc. Nun<lb/>
werd’ ich bald hinaufgehen müſſen, denn ich ſchreibe bei mei-<lb/>
ner Wirthin, unter dem originalſten, gar nicht ungeſcheidten<lb/>
Geſpräch der Kinder und einer Frau. Adieu. Man trägt<lb/>
das Eſſen ſchon hinauf. Morgen Abend leſ’ ich eure Briefe,<lb/>
ich freu’ mich recht darauf. Adieu.</p></div><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Breslau, den 26. Auguſt.</hi></dateline><lb/><p>Zum zweitenmale mußt’ ich geſtern Abend die Breslauer<lb/>
Thürme anſtatt der unſrigen ſehen! wie verzehrt einen Unge-<lb/>
duld nicht —! Wir hatten ein Wetter! als hätt’ es Apoll<lb/>
zu einer Landf<hirendition="#aq">ê</hi>te ſentimental beſtellt, das genoß ich denn den<lb/>
ganzen Tag, und athmete noch Geſundheit zum Vorrath ein.<lb/>
(Apropos, ich bin ſehr geſund, ſogar mein Fuß iſt ganz beſſer.)<lb/>
Wie ward mir aber, wieder in dieſe enge Straße einzukriechen<lb/>
und in dieſes Haus; ich, die ich Luft für das erſte Requiſit<lb/>
halte, und vierzehn Tage <hirendition="#g">lauter</hi> Feldluft geathmet hatte!<lb/>
mir wurde ſo angſt und bange, daß ich mich eine Stunde lang<lb/>
vor der Thür aufhielt. — Aus ganz Polen flüchtet hier alles<lb/>
her; geſtern ſollen die polniſchen Wagen den ganzen Tag wie<lb/>
ein Leichenzug hereingezogen ſein: und die Mad. Kobiſch hat<lb/>ſchon dem Miniſter geſagt, ſie würde den Vornehmſten ihr<lb/>ſchönes Haus anbieten, welches er ſehr genehmigte, —ſo<lb/><fwplace="bottom"type="catch">geht’s</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[96/0110]
niß aus, auch zu ſpielen. Da exercirt’ ich denn bis jetzt 9 Uhr,
die Andern ſpielen Piquet, und ich habe noch Zeit euch meine
Geſchichte zu ſchreiben. Ich mache mir kein Gewiſſen draus,
euch dieſen Brief voll unmuthigen Inhalts zu ſchicken; erſtlich
iſt das Leben ſo; zweitens iſt’s meine wahrhafte Geſchichte,
des Gemüths und der Begebenheiten. Lieber Hans, ich will
dich noch angelegentlich bitten, Linen anzubefehlen ꝛc. Nun
werd’ ich bald hinaufgehen müſſen, denn ich ſchreibe bei mei-
ner Wirthin, unter dem originalſten, gar nicht ungeſcheidten
Geſpräch der Kinder und einer Frau. Adieu. Man trägt
das Eſſen ſchon hinauf. Morgen Abend leſ’ ich eure Briefe,
ich freu’ mich recht darauf. Adieu.
Breslau, den 26. Auguſt.
Zum zweitenmale mußt’ ich geſtern Abend die Breslauer
Thürme anſtatt der unſrigen ſehen! wie verzehrt einen Unge-
duld nicht —! Wir hatten ein Wetter! als hätt’ es Apoll
zu einer Landfête ſentimental beſtellt, das genoß ich denn den
ganzen Tag, und athmete noch Geſundheit zum Vorrath ein.
(Apropos, ich bin ſehr geſund, ſogar mein Fuß iſt ganz beſſer.)
Wie ward mir aber, wieder in dieſe enge Straße einzukriechen
und in dieſes Haus; ich, die ich Luft für das erſte Requiſit
halte, und vierzehn Tage lauter Feldluft geathmet hatte!
mir wurde ſo angſt und bange, daß ich mich eine Stunde lang
vor der Thür aufhielt. — Aus ganz Polen flüchtet hier alles
her; geſtern ſollen die polniſchen Wagen den ganzen Tag wie
ein Leichenzug hereingezogen ſein: und die Mad. Kobiſch hat
ſchon dem Miniſter geſagt, ſie würde den Vornehmſten ihr
ſchönes Haus anbieten, welches er ſehr genehmigte, — ſo
geht’s
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/110>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.