dessen er zufrieden wirkte und ruhte; unsere Dichter müssen außer jener Gabe noch manche andere besitzen; sie dürfen nicht nur, sie müssen sogar, in gewissem Betracht, als Dichter zugleich Philosophie, Religion, Natur- und Geschichtskunde, Gelehrtheit und Kritik ver¬ einigen, weil diese insgesammt jetzt ein Theil des Lebens¬ stoffes geworden sind, den für jene Zeit die Einrichtun¬ gen und Abentheuer der Welt allein ausmachten. Unsere Dichter sind unsere Lehrer zugleich und unsere Weisen. Seit Lessing hat dieser Karakter in unserer Litteratur sich immer reicher entwickelt; Herder, Jean Paul, Schiller, die beiden Schlegel, Tieck, und Goethe selbst, sind leuch¬ tende Beispiele. Hiermit ist denn auch genug erklärt, wie wir denselben Schriftsteller, den wir kürzlich als wacker aufstrebenden Dichter angerühmt, diesem unbe¬ schadet nun auch als ächten Kritiker preisen dürfen, und wir wünschen, daß beide Richtungen, in wechsel¬ seitiger Erhellung, sich in diesem edlen Geiste, zur Freude vieler Gleichgesinnten, immer herrlicher entfalten mögen.
3.
Cardenio und Celinde. Trauerspiel in fünf Aufzügen von Karl Immermann. Berlin, 1826. Ein in jedem Betracht höchst ausgezeichnetes Werk, ein Erzeug¬ niß, dem unverkennbar sein Gepräge aufgedrückt ist! Der Verfasser, welcher vor fünf Jahren mit drei Trauer¬ spielen seine dichterische Laufbahn sehr bedeutend begann,
deſſen er zufrieden wirkte und ruhte; unſere Dichter muͤſſen außer jener Gabe noch manche andere beſitzen; ſie duͤrfen nicht nur, ſie muͤſſen ſogar, in gewiſſem Betracht, als Dichter zugleich Philoſophie, Religion, Natur- und Geſchichtskunde, Gelehrtheit und Kritik ver¬ einigen, weil dieſe insgeſammt jetzt ein Theil des Lebens¬ ſtoffes geworden ſind, den fuͤr jene Zeit die Einrichtun¬ gen und Abentheuer der Welt allein ausmachten. Unſere Dichter ſind unſere Lehrer zugleich und unſere Weiſen. Seit Leſſing hat dieſer Karakter in unſerer Litteratur ſich immer reicher entwickelt; Herder, Jean Paul, Schiller, die beiden Schlegel, Tieck, und Goethe ſelbſt, ſind leuch¬ tende Beiſpiele. Hiermit iſt denn auch genug erklaͤrt, wie wir denſelben Schriftſteller, den wir kuͤrzlich als wacker aufſtrebenden Dichter angeruͤhmt, dieſem unbe¬ ſchadet nun auch als aͤchten Kritiker preiſen duͤrfen, und wir wuͤnſchen, daß beide Richtungen, in wechſel¬ ſeitiger Erhellung, ſich in dieſem edlen Geiſte, zur Freude vieler Gleichgeſinnten, immer herrlicher entfalten moͤgen.
3.
Cardenio und Celinde. Trauerſpiel in fuͤnf Aufzuͤgen von Karl Immermann. Berlin, 1826. Ein in jedem Betracht hoͤchſt ausgezeichnetes Werk, ein Erzeug¬ niß, dem unverkennbar ſein Gepraͤge aufgedruͤckt iſt! Der Verfaſſer, welcher vor fuͤnf Jahren mit drei Trauer¬ ſpielen ſeine dichteriſche Laufbahn ſehr bedeutend begann,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0363"n="349"/>
deſſen er zufrieden wirkte und ruhte; unſere Dichter<lb/>
muͤſſen außer jener Gabe noch manche andere beſitzen;<lb/>ſie duͤrfen nicht nur, ſie <hirendition="#g">muͤſſen</hi>ſogar, in gewiſſem<lb/>
Betracht, als Dichter zugleich Philoſophie, Religion,<lb/>
Natur- und Geſchichtskunde, Gelehrtheit und Kritik ver¬<lb/>
einigen, weil dieſe insgeſammt jetzt ein Theil des Lebens¬<lb/>ſtoffes geworden ſind, den fuͤr jene Zeit die Einrichtun¬<lb/>
gen und Abentheuer der Welt allein ausmachten. Unſere<lb/>
Dichter ſind unſere Lehrer zugleich und unſere Weiſen.<lb/>
Seit Leſſing hat dieſer Karakter in unſerer Litteratur ſich<lb/>
immer reicher entwickelt; Herder, Jean Paul, Schiller,<lb/>
die beiden Schlegel, Tieck, und Goethe ſelbſt, ſind leuch¬<lb/>
tende Beiſpiele. Hiermit iſt denn auch genug erklaͤrt,<lb/>
wie wir denſelben Schriftſteller, den wir kuͤrzlich als<lb/>
wacker aufſtrebenden <hirendition="#g">Dichter</hi> angeruͤhmt, dieſem unbe¬<lb/>ſchadet nun auch als aͤchten <hirendition="#g">Kritiker</hi> preiſen duͤrfen,<lb/>
und wir wuͤnſchen, daß beide Richtungen, in wechſel¬<lb/>ſeitiger Erhellung, ſich in dieſem edlen Geiſte, zur Freude<lb/>
vieler Gleichgeſinnten, immer herrlicher entfalten moͤgen.</p><lb/></div><divn="3"><head>3.<lb/></head><p>Cardenio und Celinde. Trauerſpiel in fuͤnf Aufzuͤgen<lb/>
von <hirendition="#g">Karl Immermann</hi>. Berlin, <hirendition="#b">1826</hi>. Ein in<lb/>
jedem Betracht hoͤchſt ausgezeichnetes Werk, ein Erzeug¬<lb/>
niß, dem unverkennbar ſein Gepraͤge aufgedruͤckt iſt!<lb/>
Der Verfaſſer, welcher vor fuͤnf Jahren mit drei Trauer¬<lb/>ſpielen ſeine dichteriſche Laufbahn ſehr bedeutend begann,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[349/0363]
deſſen er zufrieden wirkte und ruhte; unſere Dichter
muͤſſen außer jener Gabe noch manche andere beſitzen;
ſie duͤrfen nicht nur, ſie muͤſſen ſogar, in gewiſſem
Betracht, als Dichter zugleich Philoſophie, Religion,
Natur- und Geſchichtskunde, Gelehrtheit und Kritik ver¬
einigen, weil dieſe insgeſammt jetzt ein Theil des Lebens¬
ſtoffes geworden ſind, den fuͤr jene Zeit die Einrichtun¬
gen und Abentheuer der Welt allein ausmachten. Unſere
Dichter ſind unſere Lehrer zugleich und unſere Weiſen.
Seit Leſſing hat dieſer Karakter in unſerer Litteratur ſich
immer reicher entwickelt; Herder, Jean Paul, Schiller,
die beiden Schlegel, Tieck, und Goethe ſelbſt, ſind leuch¬
tende Beiſpiele. Hiermit iſt denn auch genug erklaͤrt,
wie wir denſelben Schriftſteller, den wir kuͤrzlich als
wacker aufſtrebenden Dichter angeruͤhmt, dieſem unbe¬
ſchadet nun auch als aͤchten Kritiker preiſen duͤrfen,
und wir wuͤnſchen, daß beide Richtungen, in wechſel¬
ſeitiger Erhellung, ſich in dieſem edlen Geiſte, zur Freude
vieler Gleichgeſinnten, immer herrlicher entfalten moͤgen.
3.
Cardenio und Celinde. Trauerſpiel in fuͤnf Aufzuͤgen
von Karl Immermann. Berlin, 1826. Ein in
jedem Betracht hoͤchſt ausgezeichnetes Werk, ein Erzeug¬
niß, dem unverkennbar ſein Gepraͤge aufgedruͤckt iſt!
Der Verfaſſer, welcher vor fuͤnf Jahren mit drei Trauer¬
ſpielen ſeine dichteriſche Laufbahn ſehr bedeutend begann,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/363>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.