Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
7. Clemens Brentano.

So Mancher will ein Dichter sein, und kann nicht;
hier ist einer, der alles dazu hat, sogar die schon fer¬
tigen Gedichte, und nicht will, -- ein Fall, der selten
vorkommen wird! Brentano verdirbt seine Dichtungen
durch Uebermuth, und die er nicht verdirbt, hält er
zurück.

8. Schul-Aufgabe.

Was ist Accent und was ist Quantität? Was ist
Höhe und Tiefe der Silben? Welches sind die Gesetze
der klassischen und der romantischen Versbildungen?
Wie bestehen beide Gattungen, durch angemessene Mil¬
derung der strengsten Regel in beiden, in unserer
Sprache glücklich neben einander? Bei der fast allge¬
meinen Wirrniß, die heutiges Tages in diesen Punkten
unsere lautredenden Kunstrichter in öffentlichen Blättern
oft auf die lächerlichsten Abwege gerathen läßt, mag
der Gegenstand dieser wenigen Fragen den Dichtern
und Kritikern dringend empfohlen sein. So leicht ist
die Sache übrigens nicht!

9. Kunstwerk.

Wer aus lebendigem Geiste dichtet, giebt Leben,
und wo dieses ist, ist eine Unendlichkeit der Beziehungen
aufgethan, die der Dichter nicht beabsichtigt, nicht be¬
rechnet hat, sondern geschaffen. Daher man Jahrtau¬
sende hindurch an diesen Beziehungen Neues forschen,

7. Clemens Brentano.

So Mancher will ein Dichter ſein, und kann nicht;
hier iſt einer, der alles dazu hat, ſogar die ſchon fer¬
tigen Gedichte, und nicht will, — ein Fall, der ſelten
vorkommen wird! Brentano verdirbt ſeine Dichtungen
durch Uebermuth, und die er nicht verdirbt, haͤlt er
zuruͤck.

8. Schul-Aufgabe.

Was iſt Accent und was iſt Quantitaͤt? Was iſt
Hoͤhe und Tiefe der Silben? Welches ſind die Geſetze
der klaſſiſchen und der romantiſchen Versbildungen?
Wie beſtehen beide Gattungen, durch angemeſſene Mil¬
derung der ſtrengſten Regel in beiden, in unſerer
Sprache gluͤcklich neben einander? Bei der faſt allge¬
meinen Wirrniß, die heutiges Tages in dieſen Punkten
unſere lautredenden Kunſtrichter in oͤffentlichen Blaͤttern
oft auf die laͤcherlichſten Abwege gerathen laͤßt, mag
der Gegenſtand dieſer wenigen Fragen den Dichtern
und Kritikern dringend empfohlen ſein. So leicht iſt
die Sache uͤbrigens nicht!

9. Kunſtwerk.

Wer aus lebendigem Geiſte dichtet, giebt Leben,
und wo dieſes iſt, iſt eine Unendlichkeit der Beziehungen
aufgethan, die der Dichter nicht beabſichtigt, nicht be¬
rechnet hat, ſondern geſchaffen. Daher man Jahrtau¬
ſende hindurch an dieſen Beziehungen Neues forſchen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0349" n="335"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>7. <hi rendition="#g">Clemens Brentano.</hi><lb/></head>
            <p>So Mancher will ein Dichter &#x017F;ein, und <hi rendition="#g">kann</hi> nicht;<lb/>
hier i&#x017F;t einer, der alles dazu hat, &#x017F;ogar die &#x017F;chon fer¬<lb/>
tigen Gedichte, und <hi rendition="#g">nicht will</hi>, &#x2014; ein Fall, der &#x017F;elten<lb/>
vorkommen wird! Brentano verdirbt &#x017F;eine Dichtungen<lb/>
durch Uebermuth, und die er nicht verdirbt, ha&#x0364;lt er<lb/>
zuru&#x0364;ck.</p><lb/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>8. <hi rendition="#g">Schul-Aufgabe.</hi><lb/></head>
            <p>Was i&#x017F;t Accent und was i&#x017F;t Quantita&#x0364;t? Was i&#x017F;t<lb/>
Ho&#x0364;he und Tiefe der Silben? Welches &#x017F;ind die Ge&#x017F;etze<lb/>
der kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen und der romanti&#x017F;chen Versbildungen?<lb/>
Wie be&#x017F;tehen beide Gattungen, durch angeme&#x017F;&#x017F;ene Mil¬<lb/>
derung der &#x017F;treng&#x017F;ten Regel in beiden, in un&#x017F;erer<lb/>
Sprache glu&#x0364;cklich neben einander? Bei der fa&#x017F;t allge¬<lb/>
meinen Wirrniß, die heutiges Tages in die&#x017F;en Punkten<lb/>
un&#x017F;ere lautredenden Kun&#x017F;trichter in o&#x0364;ffentlichen Bla&#x0364;ttern<lb/>
oft auf die la&#x0364;cherlich&#x017F;ten Abwege gerathen la&#x0364;ßt, mag<lb/>
der Gegen&#x017F;tand die&#x017F;er wenigen Fragen den Dichtern<lb/>
und Kritikern dringend empfohlen &#x017F;ein. So leicht i&#x017F;t<lb/>
die Sache u&#x0364;brigens nicht!</p><lb/>
          </div>
          <div n="3">
            <head>9. <hi rendition="#g">Kun&#x017F;twerk.</hi><lb/></head>
            <p>Wer aus lebendigem Gei&#x017F;te dichtet, giebt Leben,<lb/>
und wo die&#x017F;es i&#x017F;t, i&#x017F;t eine Unendlichkeit der Beziehungen<lb/>
aufgethan, die der Dichter nicht beab&#x017F;ichtigt, nicht be¬<lb/>
rechnet hat, &#x017F;ondern ge&#x017F;chaffen. Daher man Jahrtau¬<lb/>
&#x017F;ende hindurch an die&#x017F;en Beziehungen Neues for&#x017F;chen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0349] 7. Clemens Brentano. So Mancher will ein Dichter ſein, und kann nicht; hier iſt einer, der alles dazu hat, ſogar die ſchon fer¬ tigen Gedichte, und nicht will, — ein Fall, der ſelten vorkommen wird! Brentano verdirbt ſeine Dichtungen durch Uebermuth, und die er nicht verdirbt, haͤlt er zuruͤck. 8. Schul-Aufgabe. Was iſt Accent und was iſt Quantitaͤt? Was iſt Hoͤhe und Tiefe der Silben? Welches ſind die Geſetze der klaſſiſchen und der romantiſchen Versbildungen? Wie beſtehen beide Gattungen, durch angemeſſene Mil¬ derung der ſtrengſten Regel in beiden, in unſerer Sprache gluͤcklich neben einander? Bei der faſt allge¬ meinen Wirrniß, die heutiges Tages in dieſen Punkten unſere lautredenden Kunſtrichter in oͤffentlichen Blaͤttern oft auf die laͤcherlichſten Abwege gerathen laͤßt, mag der Gegenſtand dieſer wenigen Fragen den Dichtern und Kritikern dringend empfohlen ſein. So leicht iſt die Sache uͤbrigens nicht! 9. Kunſtwerk. Wer aus lebendigem Geiſte dichtet, giebt Leben, und wo dieſes iſt, iſt eine Unendlichkeit der Beziehungen aufgethan, die der Dichter nicht beabſichtigt, nicht be¬ rechnet hat, ſondern geſchaffen. Daher man Jahrtau¬ ſende hindurch an dieſen Beziehungen Neues forſchen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/349
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/349>, abgerufen am 21.12.2024.