Indem ich das Letzte abschreibe, werde ich freilich gewahr, daß ich mir erlaubt habe, die biedre Mutter¬ sprache nach meinem Sinne umzuformen, und das geht denn nicht immer glücklich ab; wenigstens gefällt selten der erste Eindruck. Dennoch könnte ich mich nie ent¬ schließen, ein buntdeutscher (auch ein selbstgeprägtes Wörtchen) Schriftsteller zu werden. Uebrigens erin¬ nert, glaub' ich, meine Weltenmusterung nicht blos an den herzlichen Angelus Silesius, sondern auch an den eben nicht leichtgläubgen Lessing, der eine kleine Ab¬ handlung schließt: "Und wo hört die Reise auf? -- Im Schooße Gottes!"
3.
Angelus Silesius:
Durch die Menschheit zu der Gottheit.
Willst du den Perlenthau der edlen Gottheit fangen, So mußt du unverrückt an seiner Menschheit hangen.
Eremita Parisiensis:
Aller Entweihungen ärgste.
Entschwebt nicht Zaubersinn schon, sobald Kunst muß dienen, wie Schemen, zu erschnappen Tagesbe¬ darf? Auch Gotteslehr, auch Gotteshuldigung, dient etwa je nur stolzer Willkür sie zum Wehrschild, sie zum Strafschwert, verläugnet ihre Himmelskraft; zeugt im Dünkel nie Gottinnigkeit! Auf Erden höher nichts, als Menschenwürde; wer am Zeitgeiste sie haßt, mag
Indem ich das Letzte abſchreibe, werde ich freilich gewahr, daß ich mir erlaubt habe, die biedre Mutter¬ ſprache nach meinem Sinne umzuformen, und das geht denn nicht immer gluͤcklich ab; wenigſtens gefaͤllt ſelten der erſte Eindruck. Dennoch koͤnnte ich mich nie ent¬ ſchließen, ein buntdeutſcher (auch ein ſelbſtgepraͤgtes Woͤrtchen) Schriftſteller zu werden. Uebrigens erin¬ nert, glaub' ich, meine Weltenmuſterung nicht blos an den herzlichen Angelus Sileſius, ſondern auch an den eben nicht leichtglaͤubgen Leſſing, der eine kleine Ab¬ handlung ſchließt: „Und wo hoͤrt die Reiſe auf? — Im Schooße Gottes!“
3.
Angelus Sileſius:
Durch die Menſchheit zu der Gottheit.
Willſt du den Perlenthau der edlen Gottheit fangen, So mußt du unverrückt an ſeiner Menſchheit hangen.
Eremita Pariſienſis:
Aller Entweihungen ärgſte.
Entſchwebt nicht Zauberſinn ſchon, ſobald Kunſt muß dienen, wie Schemen, zu erſchnappen Tagesbe¬ darf? Auch Gotteslehr, auch Gotteshuldigung, dient etwa je nur ſtolzer Willkuͤr ſie zum Wehrſchild, ſie zum Strafſchwert, verlaͤugnet ihre Himmelskraft; zeugt im Duͤnkel nie Gottinnigkeit! Auf Erden hoͤher nichts, als Menſchenwuͤrde; wer am Zeitgeiſte ſie haßt, mag
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Indem ich das Letzte abſchreibe, werde ich freilich
gewahr, daß ich mir erlaubt habe, die biedre Mutter¬
ſprache nach meinem Sinne umzuformen, und das geht
denn nicht immer gluͤcklich ab; wenigſtens gefaͤllt ſelten
der erſte Eindruck. Dennoch koͤnnte ich mich nie ent¬
ſchließen, ein buntdeutſcher (auch ein ſelbſtgepraͤgtes
Woͤrtchen) Schriftſteller zu werden. Uebrigens erin¬
nert, glaub' ich, meine Weltenmuſterung nicht blos an
den herzlichen Angelus Sileſius, ſondern auch an den
eben nicht leichtglaͤubgen Leſſing, der eine kleine Ab¬
handlung ſchließt: „Und wo hoͤrt die Reiſe auf? —
Im Schooße Gottes!“
3.
Angelus Sileſius:
Durch die Menſchheit zu der Gottheit.
Willſt du den Perlenthau der edlen Gottheit fangen,
So mußt du unverrückt an ſeiner Menſchheit hangen.
Eremita Pariſienſis:
Aller Entweihungen ärgſte.
Entſchwebt nicht Zauberſinn ſchon, ſobald Kunſt
muß dienen, wie Schemen, zu erſchnappen Tagesbe¬
darf? Auch Gotteslehr, auch Gotteshuldigung, dient
etwa je nur ſtolzer Willkuͤr ſie zum Wehrſchild, ſie
zum Strafſchwert, verlaͤugnet ihre Himmelskraft; zeugt
im Duͤnkel nie Gottinnigkeit! Auf Erden hoͤher nichts,
als Menſchenwuͤrde; wer am Zeitgeiſte ſie haßt, mag
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/189>, abgerufen am 21.11.2024.
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