Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
1.
Der Priester, Angelus Silesius:

Die schönste Weisheit.

Mensch! steig' nicht allzu hoch, bild' dir nichts übrigs ein;
Die schönste Weisheit ist, nicht gar zu weise sein.
Der Laie, Eremita Parisiensis:

Ausflug und Reisegewinn.

Der Meßkunde Borhof, der Staatsweisheit Hei¬
ligthum, stempelt Kinderwahrheiten: wer sein Forschen
nie kindlich begann, wird kein Meßkünstler; wer es
nie kindlich abschloß, kein Staatsweiser.

2.
Wiederum der Priester:

Die volle Seligkeit.

Der Mensch hat eher nicht vollkommne Seligkeit,
Bis daß die Einheit hat verschluckt die Anderheit.
Und der Einsiedler:

Weltenmusterung.

Was Sinnlichkeit vereinzelt, soll der Mensch wieder
aneinen, Liebe stets umfassen: drum, wie beide wachsen,
durch neuen Bezug, höheren Zweck, gliedert sich fri¬
sches Geein; wohl nur der Hausnächsten zuerst; dann
auch der Gemüthsnächsten; der Lichtgenossen; bald viel¬
leicht der Bürger; einst der Völker; endlich der Welten;
und sogar der Zeiten: oder schuf Urwille nicht die un¬
absehliche Stufenleiter persönlicher Enteinzlung? --

1.
Der Prieſter, Angelus Sileſius:

Die ſchönſte Weisheit.

Menſch! ſteig' nicht allzu hoch, bild' dir nichts uͤbrigs ein;
Die ſchoͤnſte Weisheit iſt, nicht gar zu weiſe ſein.
Der Laie, Eremita Pariſienſis:

Ausflug und Reiſegewinn.

Der Meßkunde Borhof, der Staatsweisheit Hei¬
ligthum, ſtempelt Kinderwahrheiten: wer ſein Forſchen
nie kindlich begann, wird kein Meßkuͤnſtler; wer es
nie kindlich abſchloß, kein Staatsweiſer.

2.
Wiederum der Prieſter:

Die volle Seligkeit.

Der Menſch hat eher nicht vollkommne Seligkeit,
Bis daß die Einheit hat verſchluckt die Anderheit.
Und der Einſiedler:

Weltenmuſterung.

Was Sinnlichkeit vereinzelt, ſoll der Menſch wieder
aneinen, Liebe ſtets umfaſſen: drum, wie beide wachſen,
durch neuen Bezug, hoͤheren Zweck, gliedert ſich fri¬
ſches Geein; wohl nur der Hausnaͤchſten zuerſt; dann
auch der Gemuͤthsnaͤchſten; der Lichtgenoſſen; bald viel¬
leicht der Buͤrger; einſt der Voͤlker; endlich der Welten;
und ſogar der Zeiten: oder ſchuf Urwille nicht die un¬
abſehliche Stufenleiter perſoͤnlicher Enteinzlung? —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0188" n="174"/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">1.</hi><lb/>
              </head>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#g">Der Prie&#x017F;ter, Angelus Sile&#x017F;ius:</hi><lb/>
                </head>
                <p rendition="#c"> <hi rendition="#g">Die &#x017F;chön&#x017F;te Weisheit.</hi> </p><lb/>
                <lg type="poem">
                  <l>Men&#x017F;ch! &#x017F;teig' nicht allzu hoch, bild' dir nichts u&#x0364;brigs ein;</l><lb/>
                  <l>Die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Weisheit i&#x017F;t, nicht gar zu wei&#x017F;e &#x017F;ein.</l><lb/>
                </lg>
              </div>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#g">Der Laie, Eremita Pari&#x017F;ien&#x017F;is:</hi><lb/>
                </head>
                <p rendition="#c"> <hi rendition="#g">Ausflug und Rei&#x017F;egewinn.</hi> </p><lb/>
                <p>Der Meßkunde Borhof, der Staatsweisheit Hei¬<lb/>
ligthum, &#x017F;tempelt Kinderwahrheiten: wer &#x017F;ein For&#x017F;chen<lb/>
nie kindlich begann, wird kein Meßku&#x0364;n&#x017F;tler; wer es<lb/>
nie kindlich ab&#x017F;chloß, kein Staatswei&#x017F;er.</p><lb/>
              </div>
            </div>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">2.</hi><lb/>
              </head>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#g">Wiederum der Prie&#x017F;ter:</hi><lb/>
                </head>
                <p rendition="#c"> <hi rendition="#g">Die volle Seligkeit.</hi> </p><lb/>
                <lg type="poem">
                  <l>Der Men&#x017F;ch hat eher nicht vollkommne Seligkeit,</l><lb/>
                  <l>Bis daß die Einheit hat ver&#x017F;chluckt die Anderheit.</l><lb/>
                </lg>
              </div>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#g">Und der Ein&#x017F;iedler:</hi><lb/>
                </head>
                <p rendition="#c"> <hi rendition="#g">Weltenmu&#x017F;terung.</hi> </p><lb/>
                <p>Was Sinnlichkeit vereinzelt, &#x017F;oll der Men&#x017F;ch wieder<lb/>
aneinen, Liebe &#x017F;tets umfa&#x017F;&#x017F;en: drum, wie beide wach&#x017F;en,<lb/>
durch neuen Bezug, ho&#x0364;heren Zweck, gliedert &#x017F;ich fri¬<lb/>
&#x017F;ches Geein; wohl nur der Hausna&#x0364;ch&#x017F;ten zuer&#x017F;t; dann<lb/>
auch der Gemu&#x0364;thsna&#x0364;ch&#x017F;ten; der Lichtgeno&#x017F;&#x017F;en; bald viel¬<lb/>
leicht der Bu&#x0364;rger; ein&#x017F;t der Vo&#x0364;lker; endlich der Welten;<lb/>
und &#x017F;ogar der Zeiten: oder &#x017F;chuf Urwille nicht die un¬<lb/>
ab&#x017F;ehliche Stufenleiter per&#x017F;o&#x0364;nlicher Enteinzlung? &#x2014;</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0188] 1. Der Prieſter, Angelus Sileſius: Die ſchönſte Weisheit. Menſch! ſteig' nicht allzu hoch, bild' dir nichts uͤbrigs ein; Die ſchoͤnſte Weisheit iſt, nicht gar zu weiſe ſein. Der Laie, Eremita Pariſienſis: Ausflug und Reiſegewinn. Der Meßkunde Borhof, der Staatsweisheit Hei¬ ligthum, ſtempelt Kinderwahrheiten: wer ſein Forſchen nie kindlich begann, wird kein Meßkuͤnſtler; wer es nie kindlich abſchloß, kein Staatsweiſer. 2. Wiederum der Prieſter: Die volle Seligkeit. Der Menſch hat eher nicht vollkommne Seligkeit, Bis daß die Einheit hat verſchluckt die Anderheit. Und der Einſiedler: Weltenmuſterung. Was Sinnlichkeit vereinzelt, ſoll der Menſch wieder aneinen, Liebe ſtets umfaſſen: drum, wie beide wachſen, durch neuen Bezug, hoͤheren Zweck, gliedert ſich fri¬ ſches Geein; wohl nur der Hausnaͤchſten zuerſt; dann auch der Gemuͤthsnaͤchſten; der Lichtgenoſſen; bald viel¬ leicht der Buͤrger; einſt der Voͤlker; endlich der Welten; und ſogar der Zeiten: oder ſchuf Urwille nicht die un¬ abſehliche Stufenleiter perſoͤnlicher Enteinzlung? —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/188
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/188>, abgerufen am 21.12.2024.