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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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Briefe.


An Herrn Secretär G*.
Freund! liebster G*! ist jemals wahr gewesen,
Was wir von Gnid, Cytherens Lustsitz, lesen?
Wo Flora stets, im Schoos des Frühlings lacht,
Und alles liebt, und Liebe glücklich macht?
Wo reine Lust nie unter bittern Thränen,
Und Wollust herrscht, stets fern von trägem Gähnen;
Nichts Ehre macht, als einer Hirtinn Kuß,
Und wer nicht liebt, allein erröthen muß?
Wo überall die Vögel brünstig schwirren,
Auf iedem Baum die Tauben schnäbelnd girren;
Und ieder Busch, am schattigten Cephyß,
Und ieder Busch, voll holder Finsterniß,
Jm stillen Thal und auf beblühmter Höhe,
Von Liebe schallt, und niemals von der Ehe?

Wenn diese Nachrichten wahr sind; so kann ich kaum
zweifeln, daß nicht dieses fatale Wort: Ehe, alle Un-
ordnungen erregen sollte, wegen derer zu unsern eisernen
Zeiten das Reich der Liebe berüchtiget ist. Dieses Wort
muß allein Ursache seyn, daß die Glückseeligkeit unserer
heutigen Liebhaber so tief unter der Glückseeligkeit jener
verliebten Gnidier sich erniedriget findet, wofern anders
der gnidische Geschichtschreiber uns nicht hintergangen
hat. Er sagt viel von Liebe; nicht ein Wort aber von

Ehe.
Briefe.


An Herrn Secretaͤr G*.
Freund! liebſter G*! iſt jemals wahr geweſen,
Was wir von Gnid, Cytherens Luſtſitz, leſen?
Wo Flora ſtets, im Schoos des Fruͤhlings lacht,
Und alles liebt, und Liebe gluͤcklich macht?
Wo reine Luſt nie unter bittern Thraͤnen,
Und Wolluſt herrſcht, ſtets fern von traͤgem Gaͤhnen;
Nichts Ehre macht, als einer Hirtinn Kuß,
Und wer nicht liebt, allein erroͤthen muß?
Wo uͤberall die Voͤgel bruͤnſtig ſchwirren,
Auf iedem Baum die Tauben ſchnaͤbelnd girren;
Und ieder Buſch, am ſchattigten Cephyß,
Und ieder Buſch, voll holder Finſterniß,
Jm ſtillen Thal und auf bebluͤhmter Hoͤhe,
Von Liebe ſchallt, und niemals von der Ehe?

Wenn dieſe Nachrichten wahr ſind; ſo kann ich kaum
zweifeln, daß nicht dieſes fatale Wort: Ehe, alle Un-
ordnungen erregen ſollte, wegen derer zu unſern eiſernen
Zeiten das Reich der Liebe beruͤchtiget iſt. Dieſes Wort
muß allein Urſache ſeyn, daß die Gluͤckſeeligkeit unſerer
heutigen Liebhaber ſo tief unter der Gluͤckſeeligkeit jener
verliebten Gnidier ſich erniedriget findet, wofern anders
der gnidiſche Geſchichtſchreiber uns nicht hintergangen
hat. Er ſagt viel von Liebe; nicht ein Wort aber von

Ehe.
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[218/0232] Briefe. An Herrn Secretaͤr G*. Freund! liebſter G*! iſt jemals wahr geweſen, Was wir von Gnid, Cytherens Luſtſitz, leſen? Wo Flora ſtets, im Schoos des Fruͤhlings lacht, Und alles liebt, und Liebe gluͤcklich macht? Wo reine Luſt nie unter bittern Thraͤnen, Und Wolluſt herrſcht, ſtets fern von traͤgem Gaͤhnen; Nichts Ehre macht, als einer Hirtinn Kuß, Und wer nicht liebt, allein erroͤthen muß? Wo uͤberall die Voͤgel bruͤnſtig ſchwirren, Auf iedem Baum die Tauben ſchnaͤbelnd girren; Und ieder Buſch, am ſchattigten Cephyß, Und ieder Buſch, voll holder Finſterniß, Jm ſtillen Thal und auf bebluͤhmter Hoͤhe, Von Liebe ſchallt, und niemals von der Ehe? Wenn dieſe Nachrichten wahr ſind; ſo kann ich kaum zweifeln, daß nicht dieſes fatale Wort: Ehe, alle Un- ordnungen erregen ſollte, wegen derer zu unſern eiſernen Zeiten das Reich der Liebe beruͤchtiget iſt. Dieſes Wort muß allein Urſache ſeyn, daß die Gluͤckſeeligkeit unſerer heutigen Liebhaber ſo tief unter der Gluͤckſeeligkeit jener verliebten Gnidier ſich erniedriget findet, wofern anders der gnidiſche Geſchichtſchreiber uns nicht hintergangen hat. Er ſagt viel von Liebe; nicht ein Wort aber von Ehe.

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/232>, abgerufen am 21.12.2024.