Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr. Thiere, das nicht seine sinnlichen Vorstellungen, Urtheileund Schlüsse, nach den psychologischen Gesetzen der Vor- stellungskraft willkührlich verknüpfet, am wenigsten in sol- chen, die entweder nur durch Nervenkräfte schlechterdings thierisch regieret werden, oder doch höchstens nur schwacher und dunkler äußerer Empfindungen fähig seyn mögen, von irgend einem äußern sinnlichen Eindrucke in seine Nerven eine solche Folge thierischer Bewegungen wahrnehmen, die man nur mit dem geringsten Grunde der Wahrscheinlich- keit für die Seelenwirkungen einer wahren Leidenschaft der Fröhlichkeit, über etwas zukünftiges Angenehmes, einer Zufriedenheit über etwas Geschehenes, einer Hoffnung, ei- ner Ehrbegierde, einer Freude über Vollkommenheiten ei- nes Andern, (Liebe,) einer Dankbarkeit, Gunst, Barm- herzigkeit, einer Traurigkeit über das Vergangene um zu- künftiger Folgen willen, einer Reue, eines Grams über das Künftige, einer Besorgniß über bevorstehende Uebel, einer Sehnsucht über den Verzug eines erkannten Guts, eines Mitleids über eines andern Unvollkommenheiten, ei- ner Scham gegen Verachtung, eines Hasses aus erkann- ten Vollkommenheiten eines nicht Geliebten, eines Zorns über eine durch Ueberlegung erkannte Beleidigung und ei- ner überlegten Rachgier etc. halten könnte. Die scheinbar- sten Einwürfe, die man hiergegen aus übel beurtheilten Er- fahrungen machen möchte, lassen sich leicht beantworten, wenn man nur die Seelenwirkungen dieser wahren und hö- hern Leidenschaften von den Seelenwirkungen bloßer Trie- be und solcher niederer Leidenschaften zu unterscheiden weiß, die sich zunächst aus den sie veranlassenden äußern Empfin- dungen nach Art der Triebe entwickeln. §. 565. §. 574. Der Verstand ist das Vermögen der Seele zu nicht chen
II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr. Thiere, das nicht ſeine ſinnlichen Vorſtellungen, Urtheileund Schluͤſſe, nach den pſychologiſchen Geſetzen der Vor- ſtellungskraft willkuͤhrlich verknuͤpfet, am wenigſten in ſol- chen, die entweder nur durch Nervenkraͤfte ſchlechterdings thieriſch regieret werden, oder doch hoͤchſtens nur ſchwacher und dunkler aͤußerer Empfindungen faͤhig ſeyn moͤgen, von irgend einem aͤußern ſinnlichen Eindrucke in ſeine Nerven eine ſolche Folge thieriſcher Bewegungen wahrnehmen, die man nur mit dem geringſten Grunde der Wahrſcheinlich- keit fuͤr die Seelenwirkungen einer wahren Leidenſchaft der Froͤhlichkeit, uͤber etwas zukuͤnftiges Angenehmes, einer Zufriedenheit uͤber etwas Geſchehenes, einer Hoffnung, ei- ner Ehrbegierde, einer Freude uͤber Vollkommenheiten ei- nes Andern, (Liebe,) einer Dankbarkeit, Gunſt, Barm- herzigkeit, einer Traurigkeit uͤber das Vergangene um zu- kuͤnftiger Folgen willen, einer Reue, eines Grams uͤber das Kuͤnftige, einer Beſorgniß uͤber bevorſtehende Uebel, einer Sehnſucht uͤber den Verzug eines erkannten Guts, eines Mitleids uͤber eines andern Unvollkommenheiten, ei- ner Scham gegen Verachtung, eines Haſſes aus erkann- ten Vollkommenheiten eines nicht Geliebten, eines Zorns uͤber eine durch Ueberlegung erkannte Beleidigung und ei- ner uͤberlegten Rachgier ꝛc. halten koͤnnte. Die ſcheinbar- ſten Einwuͤrfe, die man hiergegen aus uͤbel beurtheilten Er- fahrungen machen moͤchte, laſſen ſich leicht beantworten, wenn man nur die Seelenwirkungen dieſer wahren und hoͤ- hern Leidenſchaften von den Seelenwirkungen bloßer Trie- be und ſolcher niederer Leidenſchaften zu unterſcheiden weiß, die ſich zunaͤchſt aus den ſie veranlaſſenden aͤußern Empfin- dungen nach Art der Triebe entwickeln. §. 565. §. 574. Der Verſtand iſt das Vermoͤgen der Seele zu nicht chen
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II Th. Nervenkr. 4 K. Verh. zu den th. Seelenkr.
Thiere, das nicht ſeine ſinnlichen Vorſtellungen, Urtheile
und Schluͤſſe, nach den pſychologiſchen Geſetzen der Vor-
ſtellungskraft willkuͤhrlich verknuͤpfet, am wenigſten in ſol-
chen, die entweder nur durch Nervenkraͤfte ſchlechterdings
thieriſch regieret werden, oder doch hoͤchſtens nur ſchwacher
und dunkler aͤußerer Empfindungen faͤhig ſeyn moͤgen, von
irgend einem aͤußern ſinnlichen Eindrucke in ſeine Nerven
eine ſolche Folge thieriſcher Bewegungen wahrnehmen, die
man nur mit dem geringſten Grunde der Wahrſcheinlich-
keit fuͤr die Seelenwirkungen einer wahren Leidenſchaft der
Froͤhlichkeit, uͤber etwas zukuͤnftiges Angenehmes, einer
Zufriedenheit uͤber etwas Geſchehenes, einer Hoffnung, ei-
ner Ehrbegierde, einer Freude uͤber Vollkommenheiten ei-
nes Andern, (Liebe,) einer Dankbarkeit, Gunſt, Barm-
herzigkeit, einer Traurigkeit uͤber das Vergangene um zu-
kuͤnftiger Folgen willen, einer Reue, eines Grams uͤber
das Kuͤnftige, einer Beſorgniß uͤber bevorſtehende Uebel,
einer Sehnſucht uͤber den Verzug eines erkannten Guts,
eines Mitleids uͤber eines andern Unvollkommenheiten, ei-
ner Scham gegen Verachtung, eines Haſſes aus erkann-
ten Vollkommenheiten eines nicht Geliebten, eines Zorns
uͤber eine durch Ueberlegung erkannte Beleidigung und ei-
ner uͤberlegten Rachgier ꝛc. halten koͤnnte. Die ſcheinbar-
ſten Einwuͤrfe, die man hiergegen aus uͤbel beurtheilten Er-
fahrungen machen moͤchte, laſſen ſich leicht beantworten,
wenn man nur die Seelenwirkungen dieſer wahren und hoͤ-
hern Leidenſchaften von den Seelenwirkungen bloßer Trie-
be und ſolcher niederer Leidenſchaften zu unterſcheiden weiß,
die ſich zunaͤchſt aus den ſie veranlaſſenden aͤußern Empfin-
dungen nach Art der Triebe entwickeln. §. 565.
§. 574.
Der Verſtand iſt das Vermoͤgen der Seele zu nicht
ſinnlichen Vorſtellungen, das iſt, zu ſolchen, die ſich bey
ihrer Entſtehung nur ſo ſehr vom weiten her auf aͤußere Em-
pfindungen beziehen, §. 65. daß ſie nicht, wie die ſinnli-
chen
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