Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

1 Kap. Die Nervenkräfte überhaupt.
der oft ihr thierisches Leben behalten, und wieder für sich
bestehen; theils ist auch selbst bey den Thieren, wo ein be-
sondres Gehirn die Lebensgeister absondert, nicht das Hirn-
mark, welches der Sitz der thierischen Seelenkräfte ist, §.
11. zu den Nervenkräften nöthig, sondern nur die mit ihm
verbundene Markrinde; und theils ist endlich, selbst bey
diesen, auch sogar die Markrinde den Nervenkräften nur in
so fern nöthig, als sie ihnen ihre thierische Nahrung, die
Lebensgeister, zubereitet und austheilet, mithin ihnen ent-
behrlich, so lange die Nerven von den schon empfangenen
Lebensgeistern noch hinlänglichen Vorrath in sich haben, §.
159. so wie Thiere und Pflanzen noch wachsen, sich erhal-
ten und fortblühen können, so lange die schon empfangene
Nahrung noch in ihnen ist, ob sie gleich seit einigen Tagen
aufgehöret haben zu speisen, oder von ihren Stämmen ab-
geschnitten sind. Hieraus wird man erkennen, in welchem
Sinne es zu verstehen sey, so oft im Folgenden behauptet
werden wird, daß gewisse thierische Verrichtungen selbst in
beseelten Thieren, ohne alles Gehirn und ohne das Haupt
von Statten gehen können, und daß dieses nur eigentlich
vom Hirnmarke, vom beseelten Gehirne, vom Sitze der
thierischen Seelenkräfte, ohne Einschränkung, hingegen von
der Markrinde mit der Einschränkung gelte: so lange die
thierischen Maschinen, nach der Trennung des Kopfs oder
ganzen Gehirns von den schon empfangenen Lebensgeistern
noch hinlänglichen Vorrath in sich haben.

§. 363.

Ungeachtet dieser Unabhänglichkeit der Nervenkräfte
vom Gehirne und den thierischen Seelenkräften können
gleichwohl beyde durch eben denselben Nerven miteinander
gemeinschaftlich einerley thierische Wirkung verrichten. Die
äußern sinnlichen Eindrücke können auf ihrem Wege zum
Gehirn, schon ehe sie dahin gelangen, Nervenwirkungen
hervorbringen, welche in so fern keine Seelenwirkungen der
äußern Empfindungen sind, die sie erregen, §. 98. N. 1.

und
Z 2

1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt.
der oft ihr thieriſches Leben behalten, und wieder fuͤr ſich
beſtehen; theils iſt auch ſelbſt bey den Thieren, wo ein be-
ſondres Gehirn die Lebensgeiſter abſondert, nicht das Hirn-
mark, welches der Sitz der thieriſchen Seelenkraͤfte iſt, §.
11. zu den Nervenkraͤften noͤthig, ſondern nur die mit ihm
verbundene Markrinde; und theils iſt endlich, ſelbſt bey
dieſen, auch ſogar die Markrinde den Nervenkraͤften nur in
ſo fern noͤthig, als ſie ihnen ihre thieriſche Nahrung, die
Lebensgeiſter, zubereitet und austheilet, mithin ihnen ent-
behrlich, ſo lange die Nerven von den ſchon empfangenen
Lebensgeiſtern noch hinlaͤnglichen Vorrath in ſich haben, §.
159. ſo wie Thiere und Pflanzen noch wachſen, ſich erhal-
ten und fortbluͤhen koͤnnen, ſo lange die ſchon empfangene
Nahrung noch in ihnen iſt, ob ſie gleich ſeit einigen Tagen
aufgehoͤret haben zu ſpeiſen, oder von ihren Staͤmmen ab-
geſchnitten ſind. Hieraus wird man erkennen, in welchem
Sinne es zu verſtehen ſey, ſo oft im Folgenden behauptet
werden wird, daß gewiſſe thieriſche Verrichtungen ſelbſt in
beſeelten Thieren, ohne alles Gehirn und ohne das Haupt
von Statten gehen koͤnnen, und daß dieſes nur eigentlich
vom Hirnmarke, vom beſeelten Gehirne, vom Sitze der
thieriſchen Seelenkraͤfte, ohne Einſchraͤnkung, hingegen von
der Markrinde mit der Einſchraͤnkung gelte: ſo lange die
thieriſchen Maſchinen, nach der Trennung des Kopfs oder
ganzen Gehirns von den ſchon empfangenen Lebensgeiſtern
noch hinlaͤnglichen Vorrath in ſich haben.

§. 363.

Ungeachtet dieſer Unabhaͤnglichkeit der Nervenkraͤfte
vom Gehirne und den thieriſchen Seelenkraͤften koͤnnen
gleichwohl beyde durch eben denſelben Nerven miteinander
gemeinſchaftlich einerley thieriſche Wirkung verrichten. Die
aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke koͤnnen auf ihrem Wege zum
Gehirn, ſchon ehe ſie dahin gelangen, Nervenwirkungen
hervorbringen, welche in ſo fern keine Seelenwirkungen der
aͤußern Empfindungen ſind, die ſie erregen, §. 98. N. 1.

und
Z 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0379" n="355"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">1 Kap. Die Nervenkra&#x0364;fte u&#x0364;berhaupt.</hi></fw><lb/>
der oft ihr thieri&#x017F;ches Leben behalten, und wieder fu&#x0364;r &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;tehen; theils i&#x017F;t auch &#x017F;elb&#x017F;t bey den Thieren, wo ein be-<lb/>
&#x017F;ondres Gehirn die Lebensgei&#x017F;ter ab&#x017F;ondert, nicht das Hirn-<lb/>
mark, welches der Sitz der thieri&#x017F;chen Seelenkra&#x0364;fte i&#x017F;t, §.<lb/>
11. zu den Nervenkra&#x0364;ften no&#x0364;thig, &#x017F;ondern nur die mit ihm<lb/>
verbundene Markrinde; und theils i&#x017F;t endlich, &#x017F;elb&#x017F;t bey<lb/>
die&#x017F;en, auch &#x017F;ogar die Markrinde den Nervenkra&#x0364;ften nur in<lb/>
&#x017F;o fern no&#x0364;thig, als &#x017F;ie ihnen ihre thieri&#x017F;che Nahrung, die<lb/>
Lebensgei&#x017F;ter, zubereitet und austheilet, mithin ihnen ent-<lb/>
behrlich, &#x017F;o lange die Nerven von den &#x017F;chon empfangenen<lb/>
Lebensgei&#x017F;tern noch hinla&#x0364;nglichen Vorrath in &#x017F;ich haben, §.<lb/>
159. &#x017F;o wie Thiere und Pflanzen noch wach&#x017F;en, &#x017F;ich erhal-<lb/>
ten und fortblu&#x0364;hen ko&#x0364;nnen, &#x017F;o lange die &#x017F;chon empfangene<lb/>
Nahrung noch in ihnen i&#x017F;t, ob &#x017F;ie gleich &#x017F;eit einigen Tagen<lb/>
aufgeho&#x0364;ret haben zu &#x017F;pei&#x017F;en, oder von ihren Sta&#x0364;mmen ab-<lb/>
ge&#x017F;chnitten &#x017F;ind. Hieraus wird man erkennen, in welchem<lb/>
Sinne es zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ey, &#x017F;o oft im Folgenden behauptet<lb/>
werden wird, daß gewi&#x017F;&#x017F;e thieri&#x017F;che Verrichtungen &#x017F;elb&#x017F;t in<lb/>
be&#x017F;eelten Thieren, ohne alles Gehirn und ohne das Haupt<lb/>
von Statten gehen ko&#x0364;nnen, und daß die&#x017F;es nur eigentlich<lb/>
vom Hirnmarke, vom be&#x017F;eelten Gehirne, vom Sitze der<lb/>
thieri&#x017F;chen Seelenkra&#x0364;fte, ohne Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung, hingegen von<lb/>
der Markrinde mit der Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung gelte: &#x017F;o lange die<lb/>
thieri&#x017F;chen Ma&#x017F;chinen, nach der Trennung des Kopfs oder<lb/>
ganzen Gehirns von den &#x017F;chon empfangenen Lebensgei&#x017F;tern<lb/>
noch hinla&#x0364;nglichen Vorrath in &#x017F;ich haben.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 363.</head><lb/>
            <p>Ungeachtet die&#x017F;er Unabha&#x0364;nglichkeit der Nervenkra&#x0364;fte<lb/>
vom Gehirne und den thieri&#x017F;chen Seelenkra&#x0364;ften ko&#x0364;nnen<lb/>
gleichwohl beyde durch eben den&#x017F;elben Nerven miteinander<lb/>
gemein&#x017F;chaftlich einerley thieri&#x017F;che Wirkung verrichten. Die<lb/>
a&#x0364;ußern &#x017F;innlichen Eindru&#x0364;cke ko&#x0364;nnen auf ihrem Wege zum<lb/>
Gehirn, &#x017F;chon ehe &#x017F;ie dahin gelangen, Nervenwirkungen<lb/>
hervorbringen, welche in &#x017F;o fern keine Seelenwirkungen der<lb/>
a&#x0364;ußern Empfindungen &#x017F;ind, die &#x017F;ie erregen, §. 98. <hi rendition="#aq">N.</hi> 1.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 2</fw><fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0379] 1 Kap. Die Nervenkraͤfte uͤberhaupt. der oft ihr thieriſches Leben behalten, und wieder fuͤr ſich beſtehen; theils iſt auch ſelbſt bey den Thieren, wo ein be- ſondres Gehirn die Lebensgeiſter abſondert, nicht das Hirn- mark, welches der Sitz der thieriſchen Seelenkraͤfte iſt, §. 11. zu den Nervenkraͤften noͤthig, ſondern nur die mit ihm verbundene Markrinde; und theils iſt endlich, ſelbſt bey dieſen, auch ſogar die Markrinde den Nervenkraͤften nur in ſo fern noͤthig, als ſie ihnen ihre thieriſche Nahrung, die Lebensgeiſter, zubereitet und austheilet, mithin ihnen ent- behrlich, ſo lange die Nerven von den ſchon empfangenen Lebensgeiſtern noch hinlaͤnglichen Vorrath in ſich haben, §. 159. ſo wie Thiere und Pflanzen noch wachſen, ſich erhal- ten und fortbluͤhen koͤnnen, ſo lange die ſchon empfangene Nahrung noch in ihnen iſt, ob ſie gleich ſeit einigen Tagen aufgehoͤret haben zu ſpeiſen, oder von ihren Staͤmmen ab- geſchnitten ſind. Hieraus wird man erkennen, in welchem Sinne es zu verſtehen ſey, ſo oft im Folgenden behauptet werden wird, daß gewiſſe thieriſche Verrichtungen ſelbſt in beſeelten Thieren, ohne alles Gehirn und ohne das Haupt von Statten gehen koͤnnen, und daß dieſes nur eigentlich vom Hirnmarke, vom beſeelten Gehirne, vom Sitze der thieriſchen Seelenkraͤfte, ohne Einſchraͤnkung, hingegen von der Markrinde mit der Einſchraͤnkung gelte: ſo lange die thieriſchen Maſchinen, nach der Trennung des Kopfs oder ganzen Gehirns von den ſchon empfangenen Lebensgeiſtern noch hinlaͤnglichen Vorrath in ſich haben. §. 363. Ungeachtet dieſer Unabhaͤnglichkeit der Nervenkraͤfte vom Gehirne und den thieriſchen Seelenkraͤften koͤnnen gleichwohl beyde durch eben denſelben Nerven miteinander gemeinſchaftlich einerley thieriſche Wirkung verrichten. Die aͤußern ſinnlichen Eindruͤcke koͤnnen auf ihrem Wege zum Gehirn, ſchon ehe ſie dahin gelangen, Nervenwirkungen hervorbringen, welche in ſo fern keine Seelenwirkungen der aͤußern Empfindungen ſind, die ſie erregen, §. 98. N. 1. und Z 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/379
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/379>, abgerufen am 30.12.2024.