Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

I Th. Thierische Seelenkräfte.
die zu dieser Schrift vorauszusetzenden Leser unnöthig
wäre, es hier zu wiederholen, und verweise sie allen-
falls auf den zehnten Abschnitt in der hallerischen
Physiologie,
wo das Alles ausführlich, zu finden ist,
was hier vorzutragen wäre. Nur einige von den
vornehmsten Sätzen, die ich im Folgenden als Be-
weisgründe anzuführen habe, will ich hier auszeich-
nen, um dem Gedächtnisse des Lesers zu Hülfe zu
kommen.

§. 10.

Das Gehirn ist der Sitz der Seele. Wir fühlens
im Haupte, daß wir denken; nirgends, als da, sind wir
uns unsrer bewußt; in keinen andern unsrer Gliedmaßen
ist je eine Vorstellung, ein Gedanke, ein Bewußtseyn. Da
nun aber die Vorstellungskraft in Thieren ihre Seele ist,
so ist die Seele nirgends, als im Gehirne, und es wäre
also widersinnig, sie für ausgebreitet im ganzen Körper zu
halten. (Vergl. §. 597.) "Der Sitz der Seele muß durch
"Versuche erforscht werden. Er befindet sich erstens im Ge-
"hirne; nicht in dem Rückenmarke; denn die Seele ver-
"liert nichts von ihren Kräften, wenn schon dieses Mark
"in Unordnung gebracht wird. Hernach folget aus den Zu-
"ckungen, die erst entstehen, wenn das Jnnerste des Ge-
"hirns gereizt wird, daß dieser Sitz nicht in der Markrin-
"de, sondern im Marke selbst sey, und zwar, nach wahr-
"scheinlichen Muthmaßungen, in den Schenkeln des ver-
"längerten Marks, den gestreiften Körpern, den Gesichts-
"hügeln, dem verlängerten Marke, der Brücke und dem
"kleinen Gehirne. Der Sitz der Seele scheint endlich,
"durch eine nicht ungereimte Muthmaßung, an dem Orte
"zu seyn, wo jeder Nerve seinen Anfang nimmt, so daß der
"vereinigte Ursprung aller Nerven den wahren gemein-
"schaftlichen Empfindungsort ausmachet. Stellt sich die
"Seele an dieser Stelle die Empfindungen vor, und ent-
"stehen dort die nothwendigen und freywilligen Bewegun-

"gen?

I Th. Thieriſche Seelenkraͤfte.
die zu dieſer Schrift vorauszuſetzenden Leſer unnoͤthig
waͤre, es hier zu wiederholen, und verweiſe ſie allen-
falls auf den zehnten Abſchnitt in der halleriſchen
Phyſiologie,
wo das Alles ausfuͤhrlich, zu finden iſt,
was hier vorzutragen waͤre. Nur einige von den
vornehmſten Saͤtzen, die ich im Folgenden als Be-
weisgruͤnde anzufuͤhren habe, will ich hier auszeich-
nen, um dem Gedaͤchtniſſe des Leſers zu Huͤlfe zu
kommen.

§. 10.

Das Gehirn iſt der Sitz der Seele. Wir fuͤhlens
im Haupte, daß wir denken; nirgends, als da, ſind wir
uns unſrer bewußt; in keinen andern unſrer Gliedmaßen
iſt je eine Vorſtellung, ein Gedanke, ein Bewußtſeyn. Da
nun aber die Vorſtellungskraft in Thieren ihre Seele iſt,
ſo iſt die Seele nirgends, als im Gehirne, und es waͤre
alſo widerſinnig, ſie fuͤr ausgebreitet im ganzen Koͤrper zu
halten. (Vergl. §. 597.) „Der Sitz der Seele muß durch
„Verſuche erforſcht werden. Er befindet ſich erſtens im Ge-
„hirne; nicht in dem Ruͤckenmarke; denn die Seele ver-
„liert nichts von ihren Kraͤften, wenn ſchon dieſes Mark
„in Unordnung gebracht wird. Hernach folget aus den Zu-
„ckungen, die erſt entſtehen, wenn das Jnnerſte des Ge-
„hirns gereizt wird, daß dieſer Sitz nicht in der Markrin-
„de, ſondern im Marke ſelbſt ſey, und zwar, nach wahr-
„ſcheinlichen Muthmaßungen, in den Schenkeln des ver-
„laͤngerten Marks, den geſtreiften Koͤrpern, den Geſichts-
„huͤgeln, dem verlaͤngerten Marke, der Bruͤcke und dem
„kleinen Gehirne. Der Sitz der Seele ſcheint endlich,
„durch eine nicht ungereimte Muthmaßung, an dem Orte
„zu ſeyn, wo jeder Nerve ſeinen Anfang nimmt, ſo daß der
„vereinigte Urſprung aller Nerven den wahren gemein-
„ſchaftlichen Empfindungsort ausmachet. Stellt ſich die
„Seele an dieſer Stelle die Empfindungen vor, und ent-
„ſtehen dort die nothwendigen und freywilligen Bewegun-

„gen?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0036" n="12"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi> Th. Thieri&#x017F;che Seelenkra&#x0364;fte.</hi> </fw><lb/> <hi rendition="#et">die zu die&#x017F;er Schrift vorauszu&#x017F;etzenden Le&#x017F;er unno&#x0364;thig<lb/>
wa&#x0364;re, es hier zu wiederholen, und verwei&#x017F;e &#x017F;ie allen-<lb/>
falls auf den zehnten Ab&#x017F;chnitt in der <hi rendition="#fr">halleri&#x017F;chen<lb/>
Phy&#x017F;iologie,</hi> wo das Alles ausfu&#x0364;hrlich, zu finden i&#x017F;t,<lb/>
was hier vorzutragen wa&#x0364;re. Nur einige von den<lb/>
vornehm&#x017F;ten Sa&#x0364;tzen, die ich im Folgenden als Be-<lb/>
weisgru&#x0364;nde anzufu&#x0364;hren habe, will ich hier auszeich-<lb/>
nen, um dem Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e des Le&#x017F;ers zu Hu&#x0364;lfe zu<lb/>
kommen.</hi> </p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 10.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Das Gehirn i&#x017F;t der Sitz der Seele.</hi> Wir fu&#x0364;hlens<lb/>
im Haupte, daß wir denken; nirgends, als da, &#x017F;ind wir<lb/>
uns un&#x017F;rer bewußt; in keinen andern un&#x017F;rer Gliedmaßen<lb/>
i&#x017F;t je eine Vor&#x017F;tellung, ein Gedanke, ein Bewußt&#x017F;eyn. Da<lb/>
nun aber die Vor&#x017F;tellungskraft in Thieren ihre Seele i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t die Seele nirgends, als im Gehirne, und es wa&#x0364;re<lb/>
al&#x017F;o wider&#x017F;innig, &#x017F;ie fu&#x0364;r ausgebreitet im ganzen Ko&#x0364;rper zu<lb/>
halten. (Vergl. §. 597.) &#x201E;Der Sitz der Seele muß durch<lb/>
&#x201E;Ver&#x017F;uche erfor&#x017F;cht werden. Er befindet &#x017F;ich er&#x017F;tens im Ge-<lb/>
&#x201E;hirne; nicht in dem Ru&#x0364;ckenmarke; denn die Seele ver-<lb/>
&#x201E;liert nichts von ihren Kra&#x0364;ften, wenn &#x017F;chon die&#x017F;es Mark<lb/>
&#x201E;in Unordnung gebracht wird. Hernach folget aus den Zu-<lb/>
&#x201E;ckungen, die er&#x017F;t ent&#x017F;tehen, wenn das Jnner&#x017F;te des Ge-<lb/>
&#x201E;hirns gereizt wird, daß die&#x017F;er Sitz nicht in der Markrin-<lb/>
&#x201E;de, &#x017F;ondern im Marke &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ey, und zwar, nach wahr-<lb/>
&#x201E;&#x017F;cheinlichen Muthmaßungen, in den Schenkeln des ver-<lb/>
&#x201E;la&#x0364;ngerten Marks, den ge&#x017F;treiften Ko&#x0364;rpern, den Ge&#x017F;ichts-<lb/>
&#x201E;hu&#x0364;geln, dem verla&#x0364;ngerten Marke, der Bru&#x0364;cke und dem<lb/>
&#x201E;kleinen Gehirne. Der Sitz der Seele &#x017F;cheint endlich,<lb/>
&#x201E;durch eine nicht ungereimte Muthmaßung, an dem Orte<lb/>
&#x201E;zu &#x017F;eyn, wo jeder Nerve &#x017F;einen Anfang nimmt, &#x017F;o daß der<lb/>
&#x201E;vereinigte Ur&#x017F;prung aller Nerven den wahren gemein-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chaftlichen Empfindungsort ausmachet. Stellt &#x017F;ich die<lb/>
&#x201E;Seele an die&#x017F;er Stelle die Empfindungen vor, und ent-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tehen dort die nothwendigen und freywilligen Bewegun-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;gen?</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0036] I Th. Thieriſche Seelenkraͤfte. die zu dieſer Schrift vorauszuſetzenden Leſer unnoͤthig waͤre, es hier zu wiederholen, und verweiſe ſie allen- falls auf den zehnten Abſchnitt in der halleriſchen Phyſiologie, wo das Alles ausfuͤhrlich, zu finden iſt, was hier vorzutragen waͤre. Nur einige von den vornehmſten Saͤtzen, die ich im Folgenden als Be- weisgruͤnde anzufuͤhren habe, will ich hier auszeich- nen, um dem Gedaͤchtniſſe des Leſers zu Huͤlfe zu kommen. §. 10. Das Gehirn iſt der Sitz der Seele. Wir fuͤhlens im Haupte, daß wir denken; nirgends, als da, ſind wir uns unſrer bewußt; in keinen andern unſrer Gliedmaßen iſt je eine Vorſtellung, ein Gedanke, ein Bewußtſeyn. Da nun aber die Vorſtellungskraft in Thieren ihre Seele iſt, ſo iſt die Seele nirgends, als im Gehirne, und es waͤre alſo widerſinnig, ſie fuͤr ausgebreitet im ganzen Koͤrper zu halten. (Vergl. §. 597.) „Der Sitz der Seele muß durch „Verſuche erforſcht werden. Er befindet ſich erſtens im Ge- „hirne; nicht in dem Ruͤckenmarke; denn die Seele ver- „liert nichts von ihren Kraͤften, wenn ſchon dieſes Mark „in Unordnung gebracht wird. Hernach folget aus den Zu- „ckungen, die erſt entſtehen, wenn das Jnnerſte des Ge- „hirns gereizt wird, daß dieſer Sitz nicht in der Markrin- „de, ſondern im Marke ſelbſt ſey, und zwar, nach wahr- „ſcheinlichen Muthmaßungen, in den Schenkeln des ver- „laͤngerten Marks, den geſtreiften Koͤrpern, den Geſichts- „huͤgeln, dem verlaͤngerten Marke, der Bruͤcke und dem „kleinen Gehirne. Der Sitz der Seele ſcheint endlich, „durch eine nicht ungereimte Muthmaßung, an dem Orte „zu ſeyn, wo jeder Nerve ſeinen Anfang nimmt, ſo daß der „vereinigte Urſprung aller Nerven den wahren gemein- „ſchaftlichen Empfindungsort ausmachet. Stellt ſich die „Seele an dieſer Stelle die Empfindungen vor, und ent- „ſtehen dort die nothwendigen und freywilligen Bewegun- „gen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/36
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/36>, abgerufen am 21.11.2024.