§. 81. welches der Trieb zum Säugen ist, dessen Befrie- digung durch das Aussaugen die Absicht der Natur bey der Erregung dieses Triebes ist, um für die Ernährung der Jungen zu sorgen. Die Natur vermittelt selbst diese Befriedigung dadurch, daß sich der Hunger im jungen Thiere zum Triebe des Säugens im alten passen, und wechselsweise einer dem andern genug thun muß.
§. 269.
Jn der That entwickeln sich auf diese Weise bey denken- den Thieren, obwohl dunkel genug, alle ihre Triebe in der Seele, und die sie begleitenden Seelenwirkungen im Kör- per, den Gesetzen der Vorstellungskraft und der thierischen Seelenkräfte gemäß, aus den natürlichen vom Schöpfer dazu vorbereiteten Veranlassungen: aber nur unter der Be- dingung, wenn sie schon so lange gelebet, so viel empfun- den, gedacht und verglichen haben, daß sie zu den veran- laßten Empfindungen die Einbildungen gesellen können, die die Vorhersehung zum Triebe hervorbringen müssen. §. 66. 89. Dieß aber kann man unmöglich bey neuge- bornen Thieren voraussetzen, die nur kaum anfangen zu empfinden, keine andre Vorstellungen zu haben scheinen, und gleichwohl die Bewegungen, welche zur Hervorbrin- gung und Befriedigung der Triebe, als Seelenwirkungen gehören, mit einer großen Fertigkeit und Unfehlbarkeit lei- sten. Niemand wird sich überreden lassen, daß die Seele eines Thieres, welches noch nie gegessen hat, durch die Em- pfindung des ledigen Magens auf die Einbildung der an- genehmen Sättigung gerathen, und hieraus die Begierde zu essen formiren; daß die Seele eines Thieres, das sich zuerst willkührlich beweget, durch die beschwerliche Em- pfindung seines Stilleliegens, zu der Einbildung, daß die Bewegung diese Beschwerlichkeit gehoben habe, gelangen, und hieraus die Begierde sich zu bewegen formiren; daß die Seele eines Thieres, welches noch keinen. Feind und weder Gewalt noch Gefahr kennt, sich durch den Anblick
eines
der ſinnlichen Triebe.
§. 81. welches der Trieb zum Saͤugen iſt, deſſen Befrie- digung durch das Ausſaugen die Abſicht der Natur bey der Erregung dieſes Triebes iſt, um fuͤr die Ernaͤhrung der Jungen zu ſorgen. Die Natur vermittelt ſelbſt dieſe Befriedigung dadurch, daß ſich der Hunger im jungen Thiere zum Triebe des Saͤugens im alten paſſen, und wechſelsweiſe einer dem andern genug thun muß.
§. 269.
Jn der That entwickeln ſich auf dieſe Weiſe bey denken- den Thieren, obwohl dunkel genug, alle ihre Triebe in der Seele, und die ſie begleitenden Seelenwirkungen im Koͤr- per, den Geſetzen der Vorſtellungskraft und der thieriſchen Seelenkraͤfte gemaͤß, aus den natuͤrlichen vom Schoͤpfer dazu vorbereiteten Veranlaſſungen: aber nur unter der Be- dingung, wenn ſie ſchon ſo lange gelebet, ſo viel empfun- den, gedacht und verglichen haben, daß ſie zu den veran- laßten Empfindungen die Einbildungen geſellen koͤnnen, die die Vorherſehung zum Triebe hervorbringen muͤſſen. §. 66. 89. Dieß aber kann man unmoͤglich bey neuge- bornen Thieren vorausſetzen, die nur kaum anfangen zu empfinden, keine andre Vorſtellungen zu haben ſcheinen, und gleichwohl die Bewegungen, welche zur Hervorbrin- gung und Befriedigung der Triebe, als Seelenwirkungen gehoͤren, mit einer großen Fertigkeit und Unfehlbarkeit lei- ſten. Niemand wird ſich uͤberreden laſſen, daß die Seele eines Thieres, welches noch nie gegeſſen hat, durch die Em- pfindung des ledigen Magens auf die Einbildung der an- genehmen Saͤttigung gerathen, und hieraus die Begierde zu eſſen formiren; daß die Seele eines Thieres, das ſich zuerſt willkuͤhrlich beweget, durch die beſchwerliche Em- pfindung ſeines Stilleliegens, zu der Einbildung, daß die Bewegung dieſe Beſchwerlichkeit gehoben habe, gelangen, und hieraus die Begierde ſich zu bewegen formiren; daß die Seele eines Thieres, welches noch keinen. Feind und weder Gewalt noch Gefahr kennt, ſich durch den Anblick
eines
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0275"n="251"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der ſinnlichen Triebe.</hi></fw><lb/>
§. 81. welches der Trieb zum Saͤugen iſt, deſſen Befrie-<lb/>
digung durch das Ausſaugen die Abſicht der Natur bey<lb/>
der Erregung dieſes Triebes iſt, um fuͤr die Ernaͤhrung<lb/>
der Jungen zu ſorgen. Die Natur vermittelt ſelbſt dieſe<lb/>
Befriedigung dadurch, daß ſich der Hunger im jungen<lb/>
Thiere zum Triebe des Saͤugens im alten paſſen, und<lb/>
wechſelsweiſe einer dem andern genug thun muß.</p></div><lb/><divn="4"><head>§. 269.</head><lb/><p>Jn der That entwickeln ſich auf dieſe Weiſe bey denken-<lb/>
den Thieren, obwohl dunkel genug, alle ihre Triebe in der<lb/>
Seele, und die ſie begleitenden Seelenwirkungen im Koͤr-<lb/>
per, den Geſetzen der Vorſtellungskraft und der thieriſchen<lb/>
Seelenkraͤfte gemaͤß, aus den natuͤrlichen vom Schoͤpfer<lb/>
dazu vorbereiteten Veranlaſſungen: aber nur unter der Be-<lb/>
dingung, wenn ſie ſchon ſo lange gelebet, ſo viel empfun-<lb/>
den, gedacht und verglichen haben, daß ſie zu den veran-<lb/>
laßten Empfindungen die Einbildungen geſellen koͤnnen,<lb/>
die die Vorherſehung zum Triebe hervorbringen muͤſſen.<lb/>
§. 66. 89. Dieß aber kann man unmoͤglich bey neuge-<lb/>
bornen Thieren vorausſetzen, die nur kaum anfangen zu<lb/>
empfinden, keine andre Vorſtellungen zu haben ſcheinen,<lb/>
und gleichwohl die Bewegungen, welche zur Hervorbrin-<lb/>
gung und Befriedigung der Triebe, als Seelenwirkungen<lb/>
gehoͤren, mit einer großen Fertigkeit und Unfehlbarkeit lei-<lb/>ſten. Niemand wird ſich uͤberreden laſſen, daß die Seele<lb/>
eines Thieres, welches noch nie gegeſſen hat, durch die Em-<lb/>
pfindung des ledigen Magens auf die Einbildung der an-<lb/>
genehmen Saͤttigung gerathen, und hieraus die Begierde<lb/>
zu eſſen formiren; daß die Seele eines Thieres, das ſich<lb/>
zuerſt willkuͤhrlich beweget, durch die beſchwerliche Em-<lb/>
pfindung ſeines Stilleliegens, zu der Einbildung, daß die<lb/>
Bewegung dieſe Beſchwerlichkeit gehoben habe, gelangen,<lb/>
und hieraus die Begierde ſich zu bewegen formiren; daß<lb/>
die Seele eines Thieres, welches noch keinen. Feind und<lb/>
weder Gewalt noch Gefahr kennt, ſich durch den Anblick<lb/><fwplace="bottom"type="catch">eines</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[251/0275]
der ſinnlichen Triebe.
§. 81. welches der Trieb zum Saͤugen iſt, deſſen Befrie-
digung durch das Ausſaugen die Abſicht der Natur bey
der Erregung dieſes Triebes iſt, um fuͤr die Ernaͤhrung
der Jungen zu ſorgen. Die Natur vermittelt ſelbſt dieſe
Befriedigung dadurch, daß ſich der Hunger im jungen
Thiere zum Triebe des Saͤugens im alten paſſen, und
wechſelsweiſe einer dem andern genug thun muß.
§. 269.
Jn der That entwickeln ſich auf dieſe Weiſe bey denken-
den Thieren, obwohl dunkel genug, alle ihre Triebe in der
Seele, und die ſie begleitenden Seelenwirkungen im Koͤr-
per, den Geſetzen der Vorſtellungskraft und der thieriſchen
Seelenkraͤfte gemaͤß, aus den natuͤrlichen vom Schoͤpfer
dazu vorbereiteten Veranlaſſungen: aber nur unter der Be-
dingung, wenn ſie ſchon ſo lange gelebet, ſo viel empfun-
den, gedacht und verglichen haben, daß ſie zu den veran-
laßten Empfindungen die Einbildungen geſellen koͤnnen,
die die Vorherſehung zum Triebe hervorbringen muͤſſen.
§. 66. 89. Dieß aber kann man unmoͤglich bey neuge-
bornen Thieren vorausſetzen, die nur kaum anfangen zu
empfinden, keine andre Vorſtellungen zu haben ſcheinen,
und gleichwohl die Bewegungen, welche zur Hervorbrin-
gung und Befriedigung der Triebe, als Seelenwirkungen
gehoͤren, mit einer großen Fertigkeit und Unfehlbarkeit lei-
ſten. Niemand wird ſich uͤberreden laſſen, daß die Seele
eines Thieres, welches noch nie gegeſſen hat, durch die Em-
pfindung des ledigen Magens auf die Einbildung der an-
genehmen Saͤttigung gerathen, und hieraus die Begierde
zu eſſen formiren; daß die Seele eines Thieres, das ſich
zuerſt willkuͤhrlich beweget, durch die beſchwerliche Em-
pfindung ſeines Stilleliegens, zu der Einbildung, daß die
Bewegung dieſe Beſchwerlichkeit gehoben habe, gelangen,
und hieraus die Begierde ſich zu bewegen formiren; daß
die Seele eines Thieres, welches noch keinen. Feind und
weder Gewalt noch Gefahr kennt, ſich durch den Anblick
eines
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/275>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.