Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Der vollkommene rechtschaffene Welt-Mann. Frankfurt (Main), 1680.

Bild:
<< vorherige Seite

Welt-Mann.
gen/ die denen/ so er zubefürchten hatte/ zu
wider waren/ zuerregen.

Von einigen löblichen Ge-
müths-Bewegungen.

DAs Mitleiden ist ein Schmertz/ den
wir empfinden über ander Leute Un-
glück. Diese Passion ist nicht allein nicht
zuverwerffen/ sondern im Gegentheil ist sie
sehr nützlich für die bürgerliche Gefell-
schafft/ weil sie uns anführen kan/ daß wir
uns untereinander in unserm Unglück zu
Hülffe kommen. Das Unglück/ so andern
Leuten begegnet/ erinnert uns/ daß wir auch
können unglücklich seyn/ und indem es un-
sern Stoltz demüthiget/ macht es uns
leutseeliger.

Die Schamhafftigkeit ist eine Furcht
für der Schande. Diese Passion stehet jun-
gen Leuten besser an als alten/ dieweil ein
allbereit vollkommener Mann nichts thun
soll/ darüber er erröthen könne. Unterdeß
obschon die Schamhafftigkeit zeiget/ daß
der jenige/ der derselben Liberey im Gesicht
trägt/ einen Fehltritt gethan/ oder daß er
einen zuthun fürchte/ unterläst sie deßwe-

gen

Welt-Mann.
gen/ die denen/ ſo er zubefuͤrchten hatte/ zu
wider waren/ zuerregen.

Von einigen loͤblichen Ge-
muͤths-Bewegungen.

DAs Mitleiden iſt ein Schmertz/ den
wir empfinden uͤber ander Leute Un-
gluͤck. Dieſe Paſſion iſt nicht allein nicht
zuverwerffen/ ſondern im Gegentheil iſt ſie
ſehr nuͤtzlich fuͤr die buͤrgerliche Gefell-
ſchafft/ weil ſie uns anfuͤhren kan/ daß wir
uns untereinander in unſerm Ungluͤck zu
Huͤlffe kommen. Das Ungluͤck/ ſo andern
Leuten begegnet/ erinnert uns/ daß wir auch
koͤnnen ungluͤcklich ſeyn/ und indem es un-
ſern Stoltz demuͤthiget/ macht es uns
leutſeeliger.

Die Schamhafftigkeit iſt eine Furcht
fuͤr der Schande. Dieſe Paſſion ſtehet jun-
gen Leuten beſſer an als alten/ dieweil ein
allbereit vollkommener Mann nichts thun
ſoll/ daruͤber er erroͤthen koͤnne. Unterdeß
obſchon die Schamhafftigkeit zeiget/ daß
der jenige/ der derſelben Liberey im Geſicht
traͤgt/ einen Fehltritt gethan/ oder daß er
einen zuthun fuͤrchte/ unterlaͤſt ſie deßwe-

gen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0105" n="89"/><fw place="top" type="header">Welt-Mann.</fw><lb/>
gen/ die denen/ &#x017F;o er zubefu&#x0364;rchten hatte/ zu<lb/>
wider waren/ zuerregen.</p>
      </div><lb/>
      <div n="3">
        <head> <hi rendition="#b">Von einigen lo&#x0364;blichen Ge-<lb/>
mu&#x0364;ths-Bewegungen.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>As Mitleiden i&#x017F;t ein Schmertz/ den<lb/>
wir empfinden u&#x0364;ber ander Leute Un-<lb/>
glu&#x0364;ck. Die&#x017F;e <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Pa&#x017F;&#x017F;ion</hi></hi> i&#x017F;t nicht allein nicht<lb/>
zuverwerffen/ &#x017F;ondern im Gegentheil i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ehr nu&#x0364;tzlich fu&#x0364;r die bu&#x0364;rgerliche Gefell-<lb/>
&#x017F;chafft/ weil &#x017F;ie uns anfu&#x0364;hren kan/ daß wir<lb/>
uns untereinander in un&#x017F;erm Unglu&#x0364;ck zu<lb/>
Hu&#x0364;lffe kommen. Das Unglu&#x0364;ck/ &#x017F;o andern<lb/>
Leuten begegnet/ erinnert uns/ daß wir auch<lb/>
ko&#x0364;nnen unglu&#x0364;cklich &#x017F;eyn/ und indem es un-<lb/>
&#x017F;ern Stoltz demu&#x0364;thiget/ macht es uns<lb/>
leut&#x017F;eeliger.</p><lb/>
        <p>Die Schamhafftigkeit i&#x017F;t eine Furcht<lb/>
fu&#x0364;r der Schande. Die&#x017F;e <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Pa&#x017F;&#x017F;ion</hi></hi> &#x017F;tehet jun-<lb/>
gen Leuten be&#x017F;&#x017F;er an als alten/ dieweil ein<lb/>
allbereit vollkommener Mann nichts thun<lb/>
&#x017F;oll/ daru&#x0364;ber er erro&#x0364;then ko&#x0364;nne. Unterdeß<lb/>
ob&#x017F;chon die Schamhafftigkeit zeiget/ daß<lb/>
der jenige/ der der&#x017F;elben Liberey im Ge&#x017F;icht<lb/>
tra&#x0364;gt/ einen Fehltritt gethan/ oder daß er<lb/>
einen zuthun fu&#x0364;rchte/ unterla&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ie deßwe-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0105] Welt-Mann. gen/ die denen/ ſo er zubefuͤrchten hatte/ zu wider waren/ zuerregen. Von einigen loͤblichen Ge- muͤths-Bewegungen. DAs Mitleiden iſt ein Schmertz/ den wir empfinden uͤber ander Leute Un- gluͤck. Dieſe Paſſion iſt nicht allein nicht zuverwerffen/ ſondern im Gegentheil iſt ſie ſehr nuͤtzlich fuͤr die buͤrgerliche Gefell- ſchafft/ weil ſie uns anfuͤhren kan/ daß wir uns untereinander in unſerm Ungluͤck zu Huͤlffe kommen. Das Ungluͤck/ ſo andern Leuten begegnet/ erinnert uns/ daß wir auch koͤnnen ungluͤcklich ſeyn/ und indem es un- ſern Stoltz demuͤthiget/ macht es uns leutſeeliger. Die Schamhafftigkeit iſt eine Furcht fuͤr der Schande. Dieſe Paſſion ſtehet jun- gen Leuten beſſer an als alten/ dieweil ein allbereit vollkommener Mann nichts thun ſoll/ daruͤber er erroͤthen koͤnne. Unterdeß obſchon die Schamhafftigkeit zeiget/ daß der jenige/ der derſelben Liberey im Geſicht traͤgt/ einen Fehltritt gethan/ oder daß er einen zuthun fuͤrchte/ unterlaͤſt ſie deßwe- gen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unbekannt_weltmann_1680
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unbekannt_weltmann_1680/105
Zitationshilfe: [N. N.]: Der vollkommene rechtschaffene Welt-Mann. Frankfurt (Main), 1680, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unbekannt_weltmann_1680/105>, abgerufen am 21.11.2024.