Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Mährchen. Ihr habt gehört die Kunde Vom Fräulein, welches tief In eines Waldes Grunde Manch hundert Jahre schlief. Den Namen der Wunderbaren Vernahmt ihr aber nie, Ich hab' ihn jüngst erfahren: Die deutsche Poesie. Zwo mächt'ge Feen nahten Dem schönen Fürstenkind, An seine Wiege traten Sie mit dem Angebind. Die Erste sprach behende: "Ja, lächle nur auf mich! Ich gebe dir frühes Ende Von einer Spindel Stich." Die Andre sprach dagegen: "Ja, lächle nur auf mich! Ich gebe dir meinen Segen, Der heilt den Todesstich; Der wird dich so bewahren, Daß süßer Schlaf dich deckt, Bis nach vierhundert Jahren Ein Königssohn dich weckt." Mährchen. Ihr habt gehört die Kunde Vom Fräulein, welches tief In eines Waldes Grunde Manch hundert Jahre ſchlief. Den Namen der Wunderbaren Vernahmt ihr aber nie, Ich hab’ ihn jüngſt erfahren: Die deutſche Poeſie. Zwo mächt’ge Feen nahten Dem ſchönen Fürſtenkind, An ſeine Wiege traten Sie mit dem Angebind. Die Erſte ſprach behende: „Ja, lächle nur auf mich! Ich gebe dir frühes Ende Von einer Spindel Stich.“ Die Andre ſprach dagegen: „Ja, lächle nur auf mich! Ich gebe dir meinen Segen, Der heilt den Todesſtich; Der wird dich ſo bewahren, Daß ſüßer Schlaf dich deckt, Bis nach vierhundert Jahren Ein Königsſohn dich weckt.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0347" n="341"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Mährchen</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ihr habt gehört die Kunde</l><lb/> <l>Vom Fräulein, welches tief</l><lb/> <l>In eines Waldes Grunde</l><lb/> <l>Manch hundert Jahre ſchlief.</l><lb/> <l>Den Namen der Wunderbaren</l><lb/> <l>Vernahmt ihr aber nie,</l><lb/> <l>Ich hab’ ihn jüngſt erfahren:</l><lb/> <l><hi rendition="#g">Die deutſche Poeſie</hi>.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Zwo mächt’ge Feen nahten</l><lb/> <l>Dem ſchönen Fürſtenkind,</l><lb/> <l>An ſeine Wiege traten</l><lb/> <l>Sie mit dem Angebind.</l><lb/> <l>Die Erſte ſprach behende:</l><lb/> <l>„Ja, lächle nur auf mich!</l><lb/> <l>Ich gebe dir frühes Ende</l><lb/> <l>Von einer Spindel Stich.“</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Die Andre ſprach dagegen:</l><lb/> <l>„Ja, lächle nur auf mich!</l><lb/> <l>Ich gebe dir meinen Segen,</l><lb/> <l>Der heilt den Todesſtich;</l><lb/> <l>Der wird dich ſo bewahren,</l><lb/> <l>Daß ſüßer Schlaf dich deckt,</l><lb/> <l>Bis nach vierhundert Jahren</l><lb/> <l>Ein Königsſohn dich weckt.“</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [341/0347]
Mährchen.
Ihr habt gehört die Kunde
Vom Fräulein, welches tief
In eines Waldes Grunde
Manch hundert Jahre ſchlief.
Den Namen der Wunderbaren
Vernahmt ihr aber nie,
Ich hab’ ihn jüngſt erfahren:
Die deutſche Poeſie.
Zwo mächt’ge Feen nahten
Dem ſchönen Fürſtenkind,
An ſeine Wiege traten
Sie mit dem Angebind.
Die Erſte ſprach behende:
„Ja, lächle nur auf mich!
Ich gebe dir frühes Ende
Von einer Spindel Stich.“
Die Andre ſprach dagegen:
„Ja, lächle nur auf mich!
Ich gebe dir meinen Segen,
Der heilt den Todesſtich;
Der wird dich ſo bewahren,
Daß ſüßer Schlaf dich deckt,
Bis nach vierhundert Jahren
Ein Königsſohn dich weckt.“
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Zitationshilfe: | Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/347>, abgerufen am 16.07.2024. |