Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.

Bild:
<< vorherige Seite
Mein Gesang.

Ob ich die Freude nie empfunden?
Ob stets mein Lied so traurig klang?
O nein! ich lebte frohe Stunden,
Da war mein Leben Lustgesang.
Die milde Gegenwart der Süßen
Verklärte mir das Blumenjahr.
Was Morgenträume mir verhießen,
Das machte stets der Abend wahr.
O könnten meiner Wonne zeugen
Des Himmels und der Bäche Blau,
Die Haine mit den Blüthenzweigen,
Der Garten und die lichte Au!
Die haben Alles einst gesehen,
Und haben Alles einst gehört.
Doch ach! sie müssen traurig stehen,
Auch ihre Zier ist nun zerstört.
Du aber zeuge, meine Traute!
Du Ferne mir, du Nahe doch!
Du denkst der kindlich frohen Laute,
Du denkst der sel'gen Blicke noch.
Wir hatten uns so ganz empfunden,
Wir suchten nicht das enge Wort;
Uns floß der rasche Strom der Stunden
In freien Melodieen fort.
Mein Geſang.

Ob ich die Freude nie empfunden?
Ob ſtets mein Lied ſo traurig klang?
O nein! ich lebte frohe Stunden,
Da war mein Leben Luſtgeſang.
Die milde Gegenwart der Süßen
Verklärte mir das Blumenjahr.
Was Morgenträume mir verhießen,
Das machte ſtets der Abend wahr.
O könnten meiner Wonne zeugen
Des Himmels und der Bäche Blau,
Die Haine mit den Blüthenzweigen,
Der Garten und die lichte Au!
Die haben Alles einſt geſehen,
Und haben Alles einſt gehört.
Doch ach! ſie müſſen traurig ſtehen,
Auch ihre Zier iſt nun zerſtört.
Du aber zeuge, meine Traute!
Du Ferne mir, du Nahe doch!
Du denkſt der kindlich frohen Laute,
Du denkſt der ſel’gen Blicke noch.
Wir hatten uns ſo ganz empfunden,
Wir ſuchten nicht das enge Wort;
Uns floß der raſche Strom der Stunden
In freien Melodieen fort.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0033" n="27"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Mein Ge&#x017F;ang</hi>.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Ob ich die Freude nie empfunden?</l><lb/>
              <l>Ob &#x017F;tets mein Lied &#x017F;o traurig klang?</l><lb/>
              <l>O nein! ich lebte frohe Stunden,</l><lb/>
              <l>Da war mein Leben Lu&#x017F;tge&#x017F;ang.</l><lb/>
              <l>Die milde Gegenwart der Süßen</l><lb/>
              <l>Verklärte mir das Blumenjahr.</l><lb/>
              <l>Was Morgenträume mir verhießen,</l><lb/>
              <l>Das machte &#x017F;tets der Abend wahr.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>O könnten meiner Wonne zeugen</l><lb/>
              <l>Des Himmels und der Bäche Blau,</l><lb/>
              <l>Die Haine mit den Blüthenzweigen,</l><lb/>
              <l>Der Garten und die lichte Au!</l><lb/>
              <l>Die haben Alles ein&#x017F;t ge&#x017F;ehen,</l><lb/>
              <l>Und haben Alles ein&#x017F;t gehört.</l><lb/>
              <l>Doch ach! &#x017F;ie mü&#x017F;&#x017F;en traurig &#x017F;tehen,</l><lb/>
              <l>Auch ihre Zier i&#x017F;t nun zer&#x017F;tört.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Du aber zeuge, meine Traute!</l><lb/>
              <l>Du Ferne mir, du Nahe doch!</l><lb/>
              <l>Du denk&#x017F;t der kindlich frohen Laute,</l><lb/>
              <l>Du denk&#x017F;t der &#x017F;el&#x2019;gen Blicke noch.</l><lb/>
              <l>Wir hatten uns &#x017F;o ganz empfunden,</l><lb/>
              <l>Wir &#x017F;uchten nicht das enge Wort;</l><lb/>
              <l>Uns floß der ra&#x017F;che Strom der Stunden</l><lb/>
              <l>In freien Melodieen fort.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0033] Mein Geſang. Ob ich die Freude nie empfunden? Ob ſtets mein Lied ſo traurig klang? O nein! ich lebte frohe Stunden, Da war mein Leben Luſtgeſang. Die milde Gegenwart der Süßen Verklärte mir das Blumenjahr. Was Morgenträume mir verhießen, Das machte ſtets der Abend wahr. O könnten meiner Wonne zeugen Des Himmels und der Bäche Blau, Die Haine mit den Blüthenzweigen, Der Garten und die lichte Au! Die haben Alles einſt geſehen, Und haben Alles einſt gehört. Doch ach! ſie müſſen traurig ſtehen, Auch ihre Zier iſt nun zerſtört. Du aber zeuge, meine Traute! Du Ferne mir, du Nahe doch! Du denkſt der kindlich frohen Laute, Du denkſt der ſel’gen Blicke noch. Wir hatten uns ſo ganz empfunden, Wir ſuchten nicht das enge Wort; Uns floß der raſche Strom der Stunden In freien Melodieen fort.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/33
Zitationshilfe: Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/33>, abgerufen am 03.12.2024.