Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.Die sanften Tage. Ich bin so hold den sanften Tagen, Wann in der ersten Frühlingszeit Der Himmel, blaulich aufgeschlagen, Zur Erde Glanz und Wärme streut; Die Thäler noch von Eise grauen, Der Hügel schon sich sonnig hebt; Die Mädchen sich in's Freie trauen, Der Kinder Spiel sich neu belebt. Dann steh' ich auf dem Berge droben Und seh' es alles, still erfreut, Die Brust von leisem Drang gehoben, Der noch zum Wunsche nicht gedeiht. Ich bin ein Kind und mit dem Spiele Der heiteren Natur vergnügt, In ihre ruhigen Gefühle Ist ganz die Seele eingewiegt. Ich bin so hold den sanften Tagen, Wann ihrer mild besonnten Flur Gerührte Greise Abschied sagen; Dann ist die Feier der Natur. Sie prangt nicht mehr mit Blüth' und Fülle, All ihre regen Kräfte ruhn, Sie sammelt sich in süße Stille, In ihre Tiefen schaut sie nun. Die ſanften Tage. Ich bin ſo hold den ſanften Tagen, Wann in der erſten Frühlingszeit Der Himmel, blaulich aufgeſchlagen, Zur Erde Glanz und Wärme ſtreut; Die Thäler noch von Eiſe grauen, Der Hügel ſchon ſich ſonnig hebt; Die Mädchen ſich in’s Freie trauen, Der Kinder Spiel ſich neu belebt. Dann ſteh’ ich auf dem Berge droben Und ſeh’ es alles, ſtill erfreut, Die Bruſt von leiſem Drang gehoben, Der noch zum Wunſche nicht gedeiht. Ich bin ein Kind und mit dem Spiele Der heiteren Natur vergnügt, In ihre ruhigen Gefühle Iſt ganz die Seele eingewiegt. Ich bin ſo hold den ſanften Tagen, Wann ihrer mild beſonnten Flur Gerührte Greiſe Abſchied ſagen; Dann iſt die Feier der Natur. Sie prangt nicht mehr mit Blüth’ und Fülle, All ihre regen Kräfte ruhn, Sie ſammelt ſich in ſüße Stille, In ihre Tiefen ſchaut ſie nun. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0029" n="23"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Die ſanften Tage</hi>.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ich bin ſo hold den ſanften Tagen,</l><lb/> <l>Wann in der erſten Frühlingszeit</l><lb/> <l>Der Himmel, blaulich aufgeſchlagen,</l><lb/> <l>Zur Erde Glanz und Wärme ſtreut;</l><lb/> <l>Die Thäler noch von Eiſe grauen,</l><lb/> <l>Der Hügel ſchon ſich ſonnig hebt;</l><lb/> <l>Die Mädchen ſich in’s Freie trauen,</l><lb/> <l>Der Kinder Spiel ſich neu belebt.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Dann ſteh’ ich auf dem Berge droben</l><lb/> <l>Und ſeh’ es alles, ſtill erfreut,</l><lb/> <l>Die Bruſt von leiſem Drang gehoben,</l><lb/> <l>Der noch zum Wunſche nicht gedeiht.</l><lb/> <l>Ich bin ein Kind und mit dem Spiele</l><lb/> <l>Der heiteren Natur vergnügt,</l><lb/> <l>In ihre ruhigen Gefühle</l><lb/> <l>Iſt ganz die Seele eingewiegt.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ich bin ſo hold den ſanften Tagen,</l><lb/> <l>Wann ihrer mild beſonnten Flur</l><lb/> <l>Gerührte Greiſe Abſchied ſagen;</l><lb/> <l>Dann iſt die Feier der Natur.</l><lb/> <l>Sie prangt nicht mehr mit Blüth’ und Fülle,</l><lb/> <l>All ihre regen Kräfte ruhn,</l><lb/> <l>Sie ſammelt ſich in ſüße Stille,</l><lb/> <l>In ihre Tiefen ſchaut ſie nun.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0029]
Die ſanften Tage.
Ich bin ſo hold den ſanften Tagen,
Wann in der erſten Frühlingszeit
Der Himmel, blaulich aufgeſchlagen,
Zur Erde Glanz und Wärme ſtreut;
Die Thäler noch von Eiſe grauen,
Der Hügel ſchon ſich ſonnig hebt;
Die Mädchen ſich in’s Freie trauen,
Der Kinder Spiel ſich neu belebt.
Dann ſteh’ ich auf dem Berge droben
Und ſeh’ es alles, ſtill erfreut,
Die Bruſt von leiſem Drang gehoben,
Der noch zum Wunſche nicht gedeiht.
Ich bin ein Kind und mit dem Spiele
Der heiteren Natur vergnügt,
In ihre ruhigen Gefühle
Iſt ganz die Seele eingewiegt.
Ich bin ſo hold den ſanften Tagen,
Wann ihrer mild beſonnten Flur
Gerührte Greiſe Abſchied ſagen;
Dann iſt die Feier der Natur.
Sie prangt nicht mehr mit Blüth’ und Fülle,
All ihre regen Kräfte ruhn,
Sie ſammelt ſich in ſüße Stille,
In ihre Tiefen ſchaut ſie nun.
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Zitationshilfe: | Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/29>, abgerufen am 16.07.2024. |