Die Nonne.
Im stillen Klostergarten
Eine bleiche Jungfrau ging;
Der Mond beschien sie trübe,
An ihrer Wimper hing
Die Thräne zarter Liebe.
"O wohl mir, daß gestorben
Der treue Buhle mein!
Ich darf ihn wieder lieben:
Er wird ein Engel seyn,
Und Engel darf ich lieben."
Sie trat mit zagem Schritte
Wohl zum Mariabild;
Es stand in lichtem Scheine,
Es sah so muttermild
Herunter auf die Reine.
Sie sank zu seinen Füßen,
Sah auf mit Himmelsruh,
Bis ihre Augenlieder
Im Tode fielen zu;
Ihr Schleier wallte nieder.
Die Nonne.
Im ſtillen Kloſtergarten
Eine bleiche Jungfrau ging;
Der Mond beſchien ſie trübe,
An ihrer Wimper hing
Die Thräne zarter Liebe.
„O wohl mir, daß geſtorben
Der treue Buhle mein!
Ich darf ihn wieder lieben:
Er wird ein Engel ſeyn,
Und Engel darf ich lieben.“
Sie trat mit zagem Schritte
Wohl zum Mariabild;
Es ſtand in lichtem Scheine,
Es ſah ſo muttermild
Herunter auf die Reine.
Sie ſank zu ſeinen Füßen,
Sah auf mit Himmelsruh,
Bis ihre Augenlieder
Im Tode fielen zu;
Ihr Schleier wallte nieder.
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Die Nonne.
Im ſtillen Kloſtergarten
Eine bleiche Jungfrau ging;
Der Mond beſchien ſie trübe,
An ihrer Wimper hing
Die Thräne zarter Liebe.
„O wohl mir, daß geſtorben
Der treue Buhle mein!
Ich darf ihn wieder lieben:
Er wird ein Engel ſeyn,
Und Engel darf ich lieben.“
Sie trat mit zagem Schritte
Wohl zum Mariabild;
Es ſtand in lichtem Scheine,
Es ſah ſo muttermild
Herunter auf die Reine.
Sie ſank zu ſeinen Füßen,
Sah auf mit Himmelsruh,
Bis ihre Augenlieder
Im Tode fielen zu;
Ihr Schleier wallte nieder.