Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.

Bild:
<< vorherige Seite
Gesang und Krieg.

1.
Wühlt jener schauervolle Sturm aus Norden
Zerstörend auch im frischen Liederkranze?
Ist der Gesang ein feiges Spiel geworden?
Wiegt fürder nur der Degen und die Lanze?
Muß schamroth abwärts fliehn der Sängerorden,
Wann Kriegerscharen ziehn im Waffenglanze?
Darf nicht der Harfner wie in vor'gen Zeiten,
Willkommen selbst durch Feindeslager schreiten?
Bleibt Poesie zu Wald und Kluft verdrungen,
Bis nirgends Kampf der Völker Ruhe störet,
Bis das vulkan'sche Feuer ausgerungen,
Das stets sich neu im Erdenschooß empöret:
So ist bis heute noch kein Lied erklungen,
Und wird auch keins in künft'ger Zeit gehöret.
Nein! über ew'gen Kämpfen schwebt im Liede,
Gleichwie in Goldgewölk, der ew'ge Friede.
Ein jedes weltlich Ding hat seine Zeit,
Die Dichtung lebet ewig im Gemüthe,
Gleich ewig in erhabner Herrlichkeit,
Wie in der tiefen Lieb' und stillen Güte,
Gleich ewig in des Ernstes Düsterheit,
Wie in dem Spiel und in des Scherzes Blüthe.
Ob Donner rollen, ob Orkane wühlen,
Die Sonne wankt nicht und die Sterne spielen.
Geſang und Krieg.

1.
Wühlt jener ſchauervolle Sturm aus Norden
Zerſtörend auch im friſchen Liederkranze?
Iſt der Geſang ein feiges Spiel geworden?
Wiegt fürder nur der Degen und die Lanze?
Muß ſchamroth abwärts fliehn der Sängerorden,
Wann Kriegerſcharen ziehn im Waffenglanze?
Darf nicht der Harfner wie in vor’gen Zeiten,
Willkommen ſelbſt durch Feindeslager ſchreiten?
Bleibt Poeſie zu Wald und Kluft verdrungen,
Bis nirgends Kampf der Völker Ruhe ſtöret,
Bis das vulkan’ſche Feuer ausgerungen,
Das ſtets ſich neu im Erdenſchooß empöret:
So iſt bis heute noch kein Lied erklungen,
Und wird auch keins in künft’ger Zeit gehöret.
Nein! über ew’gen Kämpfen ſchwebt im Liede,
Gleichwie in Goldgewölk, der ew’ge Friede.
Ein jedes weltlich Ding hat ſeine Zeit,
Die Dichtung lebet ewig im Gemüthe,
Gleich ewig in erhabner Herrlichkeit,
Wie in der tiefen Lieb’ und ſtillen Güte,
Gleich ewig in des Ernſtes Düſterheit,
Wie in dem Spiel und in des Scherzes Blüthe.
Ob Donner rollen, ob Orkane wühlen,
Die Sonne wankt nicht und die Sterne ſpielen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0126" n="120"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Ge&#x017F;ang und Krieg</hi>.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head>1.</head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l>Wühlt jener &#x017F;chauervolle Sturm aus Norden</l><lb/>
                <l>Zer&#x017F;törend auch im fri&#x017F;chen Liederkranze?</l><lb/>
                <l>I&#x017F;t der Ge&#x017F;ang ein feiges Spiel geworden?</l><lb/>
                <l>Wiegt fürder nur der Degen und die Lanze?</l><lb/>
                <l>Muß &#x017F;chamroth abwärts fliehn der Sängerorden,</l><lb/>
                <l>Wann Krieger&#x017F;charen ziehn im Waffenglanze?</l><lb/>
                <l>Darf nicht der Harfner wie in vor&#x2019;gen Zeiten,</l><lb/>
                <l>Willkommen &#x017F;elb&#x017F;t durch Feindeslager &#x017F;chreiten?</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Bleibt Poe&#x017F;ie zu Wald und Kluft verdrungen,</l><lb/>
                <l>Bis nirgends Kampf der Völker Ruhe &#x017F;töret,</l><lb/>
                <l>Bis das vulkan&#x2019;&#x017F;che Feuer ausgerungen,</l><lb/>
                <l>Das &#x017F;tets &#x017F;ich neu im Erden&#x017F;chooß empöret:</l><lb/>
                <l>So i&#x017F;t bis heute noch kein Lied erklungen,</l><lb/>
                <l>Und wird auch keins in künft&#x2019;ger Zeit gehöret.</l><lb/>
                <l>Nein! über ew&#x2019;gen Kämpfen &#x017F;chwebt im Liede,</l><lb/>
                <l>Gleichwie in Goldgewölk, der ew&#x2019;ge Friede.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Ein jedes weltlich Ding hat &#x017F;eine Zeit,</l><lb/>
                <l>Die Dichtung lebet ewig im Gemüthe,</l><lb/>
                <l>Gleich ewig in erhabner Herrlichkeit,</l><lb/>
                <l>Wie in der tiefen Lieb&#x2019; und &#x017F;tillen Güte,</l><lb/>
                <l>Gleich ewig in des Ern&#x017F;tes Dü&#x017F;terheit,</l><lb/>
                <l>Wie in dem Spiel und in des Scherzes Blüthe.</l><lb/>
                <l>Ob Donner rollen, ob Orkane wühlen,</l><lb/>
                <l>Die Sonne wankt nicht und die Sterne &#x017F;pielen.</l>
              </lg><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[120/0126] Geſang und Krieg. 1. Wühlt jener ſchauervolle Sturm aus Norden Zerſtörend auch im friſchen Liederkranze? Iſt der Geſang ein feiges Spiel geworden? Wiegt fürder nur der Degen und die Lanze? Muß ſchamroth abwärts fliehn der Sängerorden, Wann Kriegerſcharen ziehn im Waffenglanze? Darf nicht der Harfner wie in vor’gen Zeiten, Willkommen ſelbſt durch Feindeslager ſchreiten? Bleibt Poeſie zu Wald und Kluft verdrungen, Bis nirgends Kampf der Völker Ruhe ſtöret, Bis das vulkan’ſche Feuer ausgerungen, Das ſtets ſich neu im Erdenſchooß empöret: So iſt bis heute noch kein Lied erklungen, Und wird auch keins in künft’ger Zeit gehöret. Nein! über ew’gen Kämpfen ſchwebt im Liede, Gleichwie in Goldgewölk, der ew’ge Friede. Ein jedes weltlich Ding hat ſeine Zeit, Die Dichtung lebet ewig im Gemüthe, Gleich ewig in erhabner Herrlichkeit, Wie in der tiefen Lieb’ und ſtillen Güte, Gleich ewig in des Ernſtes Düſterheit, Wie in dem Spiel und in des Scherzes Blüthe. Ob Donner rollen, ob Orkane wühlen, Die Sonne wankt nicht und die Sterne ſpielen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/126
Zitationshilfe: Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/126>, abgerufen am 21.11.2024.