Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815.

Bild:
<< vorherige Seite
Rückleben.

An Ihrem Grabe kniet' ich, festgebunden,
Und senkte tief den Geist in's Todtenreich.
Zum Himmel reichte nicht mein Blick, es stunden
Des Wiedersehens Bilder fern und bleich.
Da so ich vorwärts Grauen nur gefunden,
Vergangne Tage, flüchtet' ich zu euch;
Ich ließ den Sarg des Grabes Nacht entheben,
Zurück Sie tragen in das schöne Leben.
Schon huben sich die bleichen Augenlieder,
Ihr Auge schmachtete zu mir empor;
Bald strebten auf die frischverjüngten Glieder,
Sie schwebte blühend in der Schwestern Chor;
Der Liebe goldne Stunden traten wieder,
Selbst mit des ersten Kusses Lust, hervor:
Bis sich verlor Ihr Leben und das meine
In sel'ger Kindheit Duft und Morgenscheine.

Rückleben.

An Ihrem Grabe kniet’ ich, feſtgebunden,
Und ſenkte tief den Geiſt in’s Todtenreich.
Zum Himmel reichte nicht mein Blick, es ſtunden
Des Wiederſehens Bilder fern und bleich.
Da ſo ich vorwärts Grauen nur gefunden,
Vergangne Tage, flüchtet’ ich zu euch;
Ich ließ den Sarg des Grabes Nacht entheben,
Zurück Sie tragen in das ſchöne Leben.
Schon huben ſich die bleichen Augenlieder,
Ihr Auge ſchmachtete zu mir empor;
Bald ſtrebten auf die friſchverjüngten Glieder,
Sie ſchwebte blühend in der Schweſtern Chor;
Der Liebe goldne Stunden traten wieder,
Selbſt mit des erſten Kuſſes Luſt, hervor:
Bis ſich verlor Ihr Leben und das meine
In ſel’ger Kindheit Duft und Morgenſcheine.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0125" n="119"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Rückleben</hi>.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>An Ihrem Grabe kniet&#x2019; ich, fe&#x017F;tgebunden,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;enkte tief den Gei&#x017F;t in&#x2019;s Todtenreich.</l><lb/>
              <l>Zum Himmel reichte nicht mein Blick, es &#x017F;tunden</l><lb/>
              <l>Des Wieder&#x017F;ehens Bilder fern und bleich.</l><lb/>
              <l>Da &#x017F;o ich vorwärts Grauen nur gefunden,</l><lb/>
              <l>Vergangne Tage, flüchtet&#x2019; ich zu euch;</l><lb/>
              <l>Ich ließ den Sarg des Grabes Nacht entheben,</l><lb/>
              <l>Zurück Sie tragen in das &#x017F;chöne Leben.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Schon huben &#x017F;ich die bleichen Augenlieder,</l><lb/>
              <l>Ihr Auge &#x017F;chmachtete zu mir empor;</l><lb/>
              <l>Bald &#x017F;trebten auf die fri&#x017F;chverjüngten Glieder,</l><lb/>
              <l>Sie &#x017F;chwebte blühend in der Schwe&#x017F;tern Chor;</l><lb/>
              <l>Der Liebe goldne Stunden traten wieder,</l><lb/>
              <l>Selb&#x017F;t mit des er&#x017F;ten Ku&#x017F;&#x017F;es Lu&#x017F;t, hervor:</l><lb/>
              <l>Bis &#x017F;ich verlor Ihr Leben und das meine</l><lb/>
              <l>In &#x017F;el&#x2019;ger Kindheit Duft und Morgen&#x017F;cheine.</l>
            </lg>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0125] Rückleben. An Ihrem Grabe kniet’ ich, feſtgebunden, Und ſenkte tief den Geiſt in’s Todtenreich. Zum Himmel reichte nicht mein Blick, es ſtunden Des Wiederſehens Bilder fern und bleich. Da ſo ich vorwärts Grauen nur gefunden, Vergangne Tage, flüchtet’ ich zu euch; Ich ließ den Sarg des Grabes Nacht entheben, Zurück Sie tragen in das ſchöne Leben. Schon huben ſich die bleichen Augenlieder, Ihr Auge ſchmachtete zu mir empor; Bald ſtrebten auf die friſchverjüngten Glieder, Sie ſchwebte blühend in der Schweſtern Chor; Der Liebe goldne Stunden traten wieder, Selbſt mit des erſten Kuſſes Luſt, hervor: Bis ſich verlor Ihr Leben und das meine In ſel’ger Kindheit Duft und Morgenſcheine.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/125
Zitationshilfe: Uhland, Ludwig: Gedichte. Stuttgart u. a., 1815, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhland_gedichte_1815/125>, abgerufen am 21.11.2024.