Fünftes Capitel. Anhang. Ueber den Gebrauch der Hypothesen in der Biologie, und über die Schranken der praktischen Heilkunde.
Der Geist strebt nach Einheit im Mannichfaltigen, und er verschafft sich diese durch Vermuthungen, wo sie ihm die Erfahrung nicht liefern kann. Jede empirische Wissenschaft ist aber noch sehr weit von jener Stufe entfernt, wo das Feld der Erfah- rungen nicht mehr unangebaute Stellen hat, und kei- ne weiter als die Biologie. Erwägen wir die im vorigen Capitel aufgezählten Hindernisse, die sich jeder biologischen Erfahrung entgegenstellen, so- ist es sogar unwahrscheinlich, dass diese Wissen- schaft jene Stufe von Vollkommenheit jemals errei- chen wird. Was ist hier also zu thun? Sollen wir die Lücken, die uns in dem empirischen Theile der Biologie fast bey jedem Schritte aufstossen, durch Vermuthungen ausfüllen, oder sollen wir sie unergänzt lassen?
Im Allgemeinen ist die Antwort auf diese Fra- ge leicht zu finden. Ist Einheit im Mannichfaltigen ein Bedürfniss des menschlichen Geistes, so macht
ent-
H 4
Fünftes Capitel. Anhang. Ueber den Gebrauch der Hypothesen in der Biologie, und über die Schranken der praktischen Heilkunde.
Der Geist strebt nach Einheit im Mannichfaltigen, und er verschafft sich diese durch Vermuthungen, wo sie ihm die Erfahrung nicht liefern kann. Jede empirische Wissenschaft ist aber noch sehr weit von jener Stufe entfernt, wo das Feld der Erfah- rungen nicht mehr unangebaute Stellen hat, und kei- ne weiter als die Biologie. Erwägen wir die im vorigen Capitel aufgezählten Hindernisse, die sich jeder biologischen Erfahrung entgegenstellen, so- ist es sogar unwahrscheinlich, daſs diese Wissen- schaft jene Stufe von Vollkommenheit jemals errei- chen wird. Was ist hier also zu thun? Sollen wir die Lücken, die uns in dem empirischen Theile der Biologie fast bey jedem Schritte aufstoſsen, durch Vermuthungen ausfüllen, oder sollen wir sie unergänzt lassen?
Im Allgemeinen ist die Antwort auf diese Fra- ge leicht zu finden. Ist Einheit im Mannichfaltigen ein Bedürfniſs des menschlichen Geistes, so macht
ent-
H 4
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0139"n="119"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>Fünftes Capitel.<lb/><hirendition="#g">Anhang.<lb/>
Ueber den Gebrauch der Hypothesen in<lb/>
der Biologie, und über die Schranken<lb/>
der praktischen Heilkunde</hi>.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">D</hi>er Geist strebt nach Einheit im Mannichfaltigen,<lb/>
und er verschafft sich diese durch Vermuthungen,<lb/>
wo sie ihm die Erfahrung nicht liefern kann. Jede<lb/>
empirische Wissenschaft ist aber noch sehr weit<lb/>
von jener Stufe entfernt, wo das Feld der Erfah-<lb/>
rungen nicht mehr unangebaute Stellen hat, und kei-<lb/>
ne weiter als die Biologie. Erwägen wir die im<lb/>
vorigen Capitel aufgezählten Hindernisse, die sich<lb/>
jeder biologischen Erfahrung entgegenstellen, so-<lb/>
ist es sogar unwahrscheinlich, daſs diese Wissen-<lb/>
schaft jene Stufe von Vollkommenheit jemals errei-<lb/>
chen wird. Was ist hier also zu thun? Sollen wir<lb/>
die Lücken, die uns in dem empirischen Theile<lb/>
der Biologie fast bey jedem Schritte aufstoſsen,<lb/>
durch Vermuthungen ausfüllen, oder sollen wir<lb/>
sie unergänzt lassen?</p><lb/><p>Im Allgemeinen ist die Antwort auf diese Fra-<lb/>
ge leicht zu finden. Ist Einheit im Mannichfaltigen<lb/>
ein Bedürfniſs des menschlichen Geistes, so macht<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">ent-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[119/0139]
Fünftes Capitel.
Anhang.
Ueber den Gebrauch der Hypothesen in
der Biologie, und über die Schranken
der praktischen Heilkunde.
Der Geist strebt nach Einheit im Mannichfaltigen,
und er verschafft sich diese durch Vermuthungen,
wo sie ihm die Erfahrung nicht liefern kann. Jede
empirische Wissenschaft ist aber noch sehr weit
von jener Stufe entfernt, wo das Feld der Erfah-
rungen nicht mehr unangebaute Stellen hat, und kei-
ne weiter als die Biologie. Erwägen wir die im
vorigen Capitel aufgezählten Hindernisse, die sich
jeder biologischen Erfahrung entgegenstellen, so-
ist es sogar unwahrscheinlich, daſs diese Wissen-
schaft jene Stufe von Vollkommenheit jemals errei-
chen wird. Was ist hier also zu thun? Sollen wir
die Lücken, die uns in dem empirischen Theile
der Biologie fast bey jedem Schritte aufstoſsen,
durch Vermuthungen ausfüllen, oder sollen wir
sie unergänzt lassen?
Im Allgemeinen ist die Antwort auf diese Fra-
ge leicht zu finden. Ist Einheit im Mannichfaltigen
ein Bedürfniſs des menschlichen Geistes, so macht
ent-
H 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/139>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.