Nach so vielen Enttäuschungen und Niederlagen blickte König Fried- rich Wilhelm noch immer sorglos, heiter in das Leben. Wie ein humo- ristischer Künstler verstand er, sobald der erste Zorn verraucht war, jedes Aergerniß mit einem guten oder schlechten Witze von sich abzuschütteln; und wenn er sich zuweilen selber anklagte, so erhob er sich stets wieder an dem Glauben, daß er kraft der göttlichen Weihe seiner Krone den Lauf der Welt besser übersähe als alle anderen Sterblichen. So schritt er über den Wolken dahin, im Wahne seiner königlichen Unfehlbarkeit. Und wie einsam war es um ihn geworden in kurzen fünf Jahren. An seine staatsmännische Weisheit glaubten nur noch Wenige, bei jedem Schritte stieß er auf ein unüberwindliches Mißtrauen; Eichhorn und Bodelschwingh vernutzten ihre edle Kraft im aussichtslosen Kampfe wider eine öffentliche Meinung, die mit all' ihrer Thorheit doch eine lebendige Macht war.
Der Volksgunst erfreute sich unter allen Ministern nur einer, General Boyen. Der Organisator der Landwehr galt nach der volksthümlichen Legende zugleich für einen Märtyrer liberaler Ueberzeugungstreue, und sein tapferes Landwehrlied: "Recht, Licht und Schwert", das der König doch selbst mit herzlicher Freude aufgenommen hatte, wurde von den Un- zufriedenen sogar zur Verhöhnung der Regierung mißbraucht. Als Eich- horn bei einem Berliner städtischen Feste einen Trinkspruch ausbrachte und auch auf kirchliche Dinge zu reden kam, da unterbrachen ihn die Hörer stürmisch; sie verlangten, daß Boyen's Nationallied gespielt würde, und sangen dem Minister unter spöttischem Jubel die Verse zu:
Erfülle treu die Bürgerpflicht, Dann kümmert mich Dein Glaube nicht!
Solche Auftritte kränkten den alten Helden tief, denn immer hatte er hoch über den Parteien gestanden. Je schmerzlicher er fühlte, daß seine rationalistische Frömmigkeit von der kirchlichen Romantik des Königs weit abstand, um so ernster bethätigte er überall seine streng monarchische Gesinnung. Vom Heerde des Radicalismus flogen dann und wann schon einige Funken
Achter Abſchnitt. Der Vereinigte Landtag.
Nach ſo vielen Enttäuſchungen und Niederlagen blickte König Fried- rich Wilhelm noch immer ſorglos, heiter in das Leben. Wie ein humo- riſtiſcher Künſtler verſtand er, ſobald der erſte Zorn verraucht war, jedes Aergerniß mit einem guten oder ſchlechten Witze von ſich abzuſchütteln; und wenn er ſich zuweilen ſelber anklagte, ſo erhob er ſich ſtets wieder an dem Glauben, daß er kraft der göttlichen Weihe ſeiner Krone den Lauf der Welt beſſer überſähe als alle anderen Sterblichen. So ſchritt er über den Wolken dahin, im Wahne ſeiner königlichen Unfehlbarkeit. Und wie einſam war es um ihn geworden in kurzen fünf Jahren. An ſeine ſtaatsmänniſche Weisheit glaubten nur noch Wenige, bei jedem Schritte ſtieß er auf ein unüberwindliches Mißtrauen; Eichhorn und Bodelſchwingh vernutzten ihre edle Kraft im ausſichtsloſen Kampfe wider eine öffentliche Meinung, die mit all’ ihrer Thorheit doch eine lebendige Macht war.
Der Volksgunſt erfreute ſich unter allen Miniſtern nur einer, General Boyen. Der Organiſator der Landwehr galt nach der volksthümlichen Legende zugleich für einen Märtyrer liberaler Ueberzeugungstreue, und ſein tapferes Landwehrlied: „Recht, Licht und Schwert“, das der König doch ſelbſt mit herzlicher Freude aufgenommen hatte, wurde von den Un- zufriedenen ſogar zur Verhöhnung der Regierung mißbraucht. Als Eich- horn bei einem Berliner ſtädtiſchen Feſte einen Trinkſpruch ausbrachte und auch auf kirchliche Dinge zu reden kam, da unterbrachen ihn die Hörer ſtürmiſch; ſie verlangten, daß Boyen’s Nationallied geſpielt würde, und ſangen dem Miniſter unter ſpöttiſchem Jubel die Verſe zu:
Erfülle treu die Bürgerpflicht, Dann kümmert mich Dein Glaube nicht!
Solche Auftritte kränkten den alten Helden tief, denn immer hatte er hoch über den Parteien geſtanden. Je ſchmerzlicher er fühlte, daß ſeine rationaliſtiſche Frömmigkeit von der kirchlichen Romantik des Königs weit abſtand, um ſo ernſter bethätigte er überall ſeine ſtreng monarchiſche Geſinnung. Vom Heerde des Radicalismus flogen dann und wann ſchon einige Funken
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Der Vereinigte Landtag.
Nach ſo vielen Enttäuſchungen und Niederlagen blickte König Fried-
rich Wilhelm noch immer ſorglos, heiter in das Leben. Wie ein humo-
riſtiſcher Künſtler verſtand er, ſobald der erſte Zorn verraucht war, jedes
Aergerniß mit einem guten oder ſchlechten Witze von ſich abzuſchütteln;
und wenn er ſich zuweilen ſelber anklagte, ſo erhob er ſich ſtets wieder
an dem Glauben, daß er kraft der göttlichen Weihe ſeiner Krone den
Lauf der Welt beſſer überſähe als alle anderen Sterblichen. So ſchritt
er über den Wolken dahin, im Wahne ſeiner königlichen Unfehlbarkeit. Und
wie einſam war es um ihn geworden in kurzen fünf Jahren. An ſeine
ſtaatsmänniſche Weisheit glaubten nur noch Wenige, bei jedem Schritte
ſtieß er auf ein unüberwindliches Mißtrauen; Eichhorn und Bodelſchwingh
vernutzten ihre edle Kraft im ausſichtsloſen Kampfe wider eine öffentliche
Meinung, die mit all’ ihrer Thorheit doch eine lebendige Macht war.
Der Volksgunſt erfreute ſich unter allen Miniſtern nur einer, General
Boyen. Der Organiſator der Landwehr galt nach der volksthümlichen
Legende zugleich für einen Märtyrer liberaler Ueberzeugungstreue, und
ſein tapferes Landwehrlied: „Recht, Licht und Schwert“, das der König
doch ſelbſt mit herzlicher Freude aufgenommen hatte, wurde von den Un-
zufriedenen ſogar zur Verhöhnung der Regierung mißbraucht. Als Eich-
horn bei einem Berliner ſtädtiſchen Feſte einen Trinkſpruch ausbrachte
und auch auf kirchliche Dinge zu reden kam, da unterbrachen ihn die
Hörer ſtürmiſch; ſie verlangten, daß Boyen’s Nationallied geſpielt würde,
und ſangen dem Miniſter unter ſpöttiſchem Jubel die Verſe zu:
Erfülle treu die Bürgerpflicht,
Dann kümmert mich Dein Glaube nicht!
Solche Auftritte kränkten den alten Helden tief, denn immer hatte er hoch über
den Parteien geſtanden. Je ſchmerzlicher er fühlte, daß ſeine rationaliſtiſche
Frömmigkeit von der kirchlichen Romantik des Königs weit abſtand, um
ſo ernſter bethätigte er überall ſeine ſtreng monarchiſche Geſinnung. Vom
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. [591]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/605>, abgerufen am 03.12.2024.
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