der Forstmeister v. Motz für seine Pflicht meinem Oheim diese Aeußerung Ew. K. H. schon damals zu berichten. Mein Oheim hat sich hierauf sogleich schriftlich an Höchst- dieselben gewendet und um strengste Untersuchung gebeten. Ew. K. Hoheit haben ihm diese nicht gewährt.
Ich bitte hiermit Namens meines Oheims nochmals um eine Untersuchung, ich bitte im Besonderen, daß Ew. K. H. in Gnaden geruhen wollen, dieselbe zu beschleunigen, damit der 80jährige Greis nicht seine Klagen und seinen Kummer über solche Vorwürfe mit hinüber nehmen möge.
Es ist die größte Devotion, mit welcher ich ersterbe:
Ew. K. H. etc. T. Ch. A. von Motz, Königl. Preuß. Reg.-Präsident.
XV.Uebenius und der deutsche Zollverein. Zu Bd. III S. 614 f., Bd. III S. 623 f.
"Wer hat das deutsche Reich gegründet? König Wilhelm und Bismarck oder Fichte und Paul Pfizer? -- Wer ist der Schöpfer des einigen Italiens? Cavour oder Gioberti?" -- Diese lustigen Fragen drängen sich unwillkürlich auf, sobald wir hören, wie die deutschen Staatsgelehrten noch heute mit feierlichem Ernste über die Frage strei- ten, ob König Friedrich Wilhelm III. und seine Räthe oder Nebenius und List als die Schöpfer des deutschen Zollvereins zu betrachten seien. Während sonst der materialistische Sinn unserer Tage nur allzu geneigt ist, die Arbeit des Denkers zu mißachten, herrscht in der Staatswissenschaft, die sich doch gänzlich auf dem Gebiete des nach außen gerich- teten Willens bewegen soll, noch die doctrinäre Ueberschätzung der Theorie, ein schwäch- liches Erbstück aus den Tagen der einseitig literarischen Bildung unseres Volkes. Wie dürr und leblos erscheint doch die Geschichte der Politik in den meisten deutschen Büchern und Kathedervorträgen. In einem großen und freien Sinne behandelt könnte sie die tiefsinnigste der Staatswissenschaften werden. Sie soll nachweisen, wie die Entwickelung der Ideen in Wechselwirkung steht mit den politischen Zuständen, wie die scheinbar freie Arbeit des Gedankens, wie selbst das willkürliche Phantasiespiel der Utopia des Thomas Morus bedingt wird durch die Institutionen, die Parteikämpfe, die Interessen des Zeit- alters, und wiederum, wie die Ideale weissagender Denker auf weiten Umwegen den Eingang finden in das Gefühl der Massen und die Gesetze der Staaten. Nur so wird die Nothwendigkeit, der Zusammenhang, der stetige Fortschritt der politischen Ideen er- klärt; nur so erfüllt die Geschichte der Politik auf ihrem Gebiete die Aufgabe, welche Hegel der Geschichte der Philosophie gestellt hat, da er sagte: Die Philosophie ist ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Statt dessen bieten manche hochgelehrte Werke über die Ge- schichte der Politik lediglich ein Repertorium für fleißige Bibliothekare. In unendlicher Reihe marschiren die Büchertitel auf, durch zahllose Excerpte wird belegt, was A und B und X über den Staat gedacht haben; kaum ein verlorenes Wort gedenkt jener großen Acte der Gesetzgebung, welche die Lebensgewohnheiten und Anschauungen der Völker oft auf Jahrhunderte hinaus bestimmt haben; und dem Leser, wenn er nicht jeden Zusam- menhang in dem Durcheinander verliert, bleibt schließlich der Eindruck, als ob die Klä- rung und Vertiefung der politischen Ideen der Menschheit allein dem stillen Fleiße der Gelehrtenstuben, und nicht weit mehr den lauten Kämpfen der Schlachtfelder, der Cabi- nette und Parlamente zu danken sei.
Solcher Ueberschätzung der Theorie entstammt auch der immer wiederkehrende un- fruchtbare Streit über die müßige Frage, wer als "der geistige Vater" einer großen
Nebenius und der deutſche Zollverein.
der Forſtmeiſter v. Motz für ſeine Pflicht meinem Oheim dieſe Aeußerung Ew. K. H. ſchon damals zu berichten. Mein Oheim hat ſich hierauf ſogleich ſchriftlich an Höchſt- dieſelben gewendet und um ſtrengſte Unterſuchung gebeten. Ew. K. Hoheit haben ihm dieſe nicht gewährt.
Ich bitte hiermit Namens meines Oheims nochmals um eine Unterſuchung, ich bitte im Beſonderen, daß Ew. K. H. in Gnaden geruhen wollen, dieſelbe zu beſchleunigen, damit der 80jährige Greis nicht ſeine Klagen und ſeinen Kummer über ſolche Vorwürfe mit hinüber nehmen möge.
Es iſt die größte Devotion, mit welcher ich erſterbe:
Ew. K. H. ꝛc. T. Ch. A. von Motz, Königl. Preuß. Reg.-Präſident.
XV.Uebenius und der deutſche Zollverein. Zu Bd. III S. 614 f., Bd. III S. 623 f.
„Wer hat das deutſche Reich gegründet? König Wilhelm und Bismarck oder Fichte und Paul Pfizer? — Wer iſt der Schöpfer des einigen Italiens? Cavour oder Gioberti?“ — Dieſe luſtigen Fragen drängen ſich unwillkürlich auf, ſobald wir hören, wie die deutſchen Staatsgelehrten noch heute mit feierlichem Ernſte über die Frage ſtrei- ten, ob König Friedrich Wilhelm III. und ſeine Räthe oder Nebenius und Liſt als die Schöpfer des deutſchen Zollvereins zu betrachten ſeien. Während ſonſt der materialiſtiſche Sinn unſerer Tage nur allzu geneigt iſt, die Arbeit des Denkers zu mißachten, herrſcht in der Staatswiſſenſchaft, die ſich doch gänzlich auf dem Gebiete des nach außen gerich- teten Willens bewegen ſoll, noch die doctrinäre Ueberſchätzung der Theorie, ein ſchwäch- liches Erbſtück aus den Tagen der einſeitig literariſchen Bildung unſeres Volkes. Wie dürr und leblos erſcheint doch die Geſchichte der Politik in den meiſten deutſchen Büchern und Kathedervorträgen. In einem großen und freien Sinne behandelt könnte ſie die tiefſinnigſte der Staatswiſſenſchaften werden. Sie ſoll nachweiſen, wie die Entwickelung der Ideen in Wechſelwirkung ſteht mit den politiſchen Zuſtänden, wie die ſcheinbar freie Arbeit des Gedankens, wie ſelbſt das willkürliche Phantaſieſpiel der Utopia des Thomas Morus bedingt wird durch die Inſtitutionen, die Parteikämpfe, die Intereſſen des Zeit- alters, und wiederum, wie die Ideale weiſſagender Denker auf weiten Umwegen den Eingang finden in das Gefühl der Maſſen und die Geſetze der Staaten. Nur ſo wird die Nothwendigkeit, der Zuſammenhang, der ſtetige Fortſchritt der politiſchen Ideen er- klärt; nur ſo erfüllt die Geſchichte der Politik auf ihrem Gebiete die Aufgabe, welche Hegel der Geſchichte der Philoſophie geſtellt hat, da er ſagte: Die Philoſophie iſt ihre Zeit in Gedanken erfaßt. Statt deſſen bieten manche hochgelehrte Werke über die Ge- ſchichte der Politik lediglich ein Repertorium für fleißige Bibliothekare. In unendlicher Reihe marſchiren die Büchertitel auf, durch zahlloſe Excerpte wird belegt, was A und B und X über den Staat gedacht haben; kaum ein verlorenes Wort gedenkt jener großen Acte der Geſetzgebung, welche die Lebensgewohnheiten und Anſchauungen der Völker oft auf Jahrhunderte hinaus beſtimmt haben; und dem Leſer, wenn er nicht jeden Zuſam- menhang in dem Durcheinander verliert, bleibt ſchließlich der Eindruck, als ob die Klä- rung und Vertiefung der politiſchen Ideen der Menſchheit allein dem ſtillen Fleiße der Gelehrtenſtuben, und nicht weit mehr den lauten Kämpfen der Schlachtfelder, der Cabi- nette und Parlamente zu danken ſei.
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ſchon damals zu berichten. Mein Oheim hat ſich hierauf ſogleich ſchriftlich an Höchſt-
dieſelben gewendet und um ſtrengſte Unterſuchung gebeten. Ew. K. Hoheit haben ihm
dieſe nicht gewährt.
Ich bitte hiermit Namens meines Oheims nochmals um eine Unterſuchung, ich
bitte im Beſonderen, daß Ew. K. H. in Gnaden geruhen wollen, dieſelbe zu beſchleunigen,
damit der 80jährige Greis nicht ſeine Klagen und ſeinen Kummer über ſolche Vorwürfe
mit hinüber nehmen möge.
Es iſt die größte Devotion, mit welcher ich erſterbe:
Ew. K. H. ꝛc.
T. Ch. A. von Motz,
Königl. Preuß. Reg.-Präſident.
XV. Uebenius und der deutſche Zollverein.
Zu Bd. III S. 614 f., Bd. III S. 623 f.
„Wer hat das deutſche Reich gegründet? König Wilhelm und Bismarck oder
Fichte und Paul Pfizer? — Wer iſt der Schöpfer des einigen Italiens? Cavour oder
Gioberti?“ — Dieſe luſtigen Fragen drängen ſich unwillkürlich auf, ſobald wir hören,
wie die deutſchen Staatsgelehrten noch heute mit feierlichem Ernſte über die Frage ſtrei-
ten, ob König Friedrich Wilhelm III. und ſeine Räthe oder Nebenius und Liſt als die
Schöpfer des deutſchen Zollvereins zu betrachten ſeien. Während ſonſt der materialiſtiſche
Sinn unſerer Tage nur allzu geneigt iſt, die Arbeit des Denkers zu mißachten, herrſcht
in der Staatswiſſenſchaft, die ſich doch gänzlich auf dem Gebiete des nach außen gerich-
teten Willens bewegen ſoll, noch die doctrinäre Ueberſchätzung der Theorie, ein ſchwäch-
liches Erbſtück aus den Tagen der einſeitig literariſchen Bildung unſeres Volkes. Wie
dürr und leblos erſcheint doch die Geſchichte der Politik in den meiſten deutſchen Büchern
und Kathedervorträgen. In einem großen und freien Sinne behandelt könnte ſie die
tiefſinnigſte der Staatswiſſenſchaften werden. Sie ſoll nachweiſen, wie die Entwickelung
der Ideen in Wechſelwirkung ſteht mit den politiſchen Zuſtänden, wie die ſcheinbar freie
Arbeit des Gedankens, wie ſelbſt das willkürliche Phantaſieſpiel der Utopia des Thomas
Morus bedingt wird durch die Inſtitutionen, die Parteikämpfe, die Intereſſen des Zeit-
alters, und wiederum, wie die Ideale weiſſagender Denker auf weiten Umwegen den
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die Nothwendigkeit, der Zuſammenhang, der ſtetige Fortſchritt der politiſchen Ideen er-
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Hegel der Geſchichte der Philoſophie geſtellt hat, da er ſagte: Die Philoſophie iſt ihre
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ſchichte der Politik lediglich ein Repertorium für fleißige Bibliothekare. In unendlicher
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und X über den Staat gedacht haben; kaum ein verlorenes Wort gedenkt jener großen
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auf Jahrhunderte hinaus beſtimmt haben; und dem Leſer, wenn er nicht jeden Zuſam-
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Gelehrtenſtuben, und nicht weit mehr den lauten Kämpfen der Schlachtfelder, der Cabi-
nette und Parlamente zu danken ſei.
Solcher Ueberſchätzung der Theorie entſtammt auch der immer wiederkehrende un-
fruchtbare Streit über die müßige Frage, wer als „der geiſtige Vater“ einer großen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 773. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/789>, abgerufen am 22.12.2024.
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