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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
doch die um ein Geringes leichtere Erbunterthänigkeit überall aufrecht
erhalten. Die Verwaltung begnügte sich, im Einzelnen die Härten der be-
stehenden Klassenherrschaft zu mildern. Von dem alternden Fürsten nicht
bemerkt und nicht gewollt, begann unterdessen eine folgenreiche Ver-
schiebung der socialen Machtverhältnisse. Die neue Literatur erzog ein
aus allen Ständen gemischtes gebildetes Publicum; die Kaufleute und
Gewerbtreibenden der größeren Städte, die bürgerlichen Pächter des
ausgedehnten Domaniums der Monarchie gelangten nach und nach zu
gesichertem Wohlstande und zu einem kräftigen Selbstbewußtsein, das die
Vorrechte des Adels auf die Dauer nicht mehr ertragen konnte. Der
Adel verlor allmählich die sittlichen wie die wirthschaftlichen Grundlagen
seiner Herrenstellung. Der Bau der alten ständischen Gliederung ward
unmerklich untergraben.

Auch die Verwaltungsorganisation des Vaters blieb unter dem Sohne
unverändert, nur daß er den Provinzialdepartements des Generaldirec-
toriums vier neue, den ganzen Staat umfassende, für Kriegsverwaltung,
Handelspolitik, Berg- und Forstwesen, hinzufügte und also einen Schritt
weiter that auf dem Wege zum Einheitsstaate. Die Krone stand noch
immer hoch über ihrem Volke. Landdragoner mußten den Bauern an-
halten die vom Könige geschenkten Saatkartoffeln zu verwenden; der
Befehl des Landraths und der Kammer erzwang, gegen den zähen
passiven Widerstand der Betheiligten, die Gemeinheitstheilungen und
Entwässerungen, alle Fortschritte der landwirthschaftlichen Technik. Der
völlig ermattete Unternehmungsgeist der bürgerlichen Gewerbe konnte
nur durch die gewaltsamen Mittel des Prohibitivsystems geweckt werden.
Die Gebrechen der fridericianischen Volkswirthschaftspolitik lagen nicht in
dem Alles meisternden Beglückungseifer der Staatsgewalt, dem die Zeit
noch keineswegs entwachsen war, sondern in den fiscalischen Künsten, wozu
der König durch die Bedrängniß seines Haushalts genöthigt wurde: er mußte
volle drei Viertel seiner ordentlichen Ausgaben für das Heer verwenden
und suchte was am Nothwendigen fehlte durch die Monopolien und in-
directen Steuern seiner Regie einzubringen. Das Finanzwesen glich in
seiner Schwerfälligkeit noch einem großen Privathaushalte. Fast die
Hälfte der regelmäßigen Einnahmen kam aus den Domänen und Forsten;
nur dieser reiche Grundbesitz des Staates ermöglichte ihm seine hohen
Ausgaben, er diente zugleich zur technischen Erziehung des Landvolks.
Die Summe der Hauptsteuern stand gesetzlich fest; für die außerordent-
lichen Ausgaben der Colonisationen und Urbarmachungen mußte der beweg-
liche Ertrag der Regie herangezogen werden. Der sorgsam vermehrte Schatz
genügte für einige kurze Feldzüge; doch einen langen schweren Krieg konnte
das alte Preußen ohne fremde Hilfsgelder nicht führen, da die Rechte der
Landtage, die überlieferten Anschauungen des Beamtenthums und die
Unreife der Volkswirthschaft jede Anleihe verboten. Wie kräftig auch der

I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
doch die um ein Geringes leichtere Erbunterthänigkeit überall aufrecht
erhalten. Die Verwaltung begnügte ſich, im Einzelnen die Härten der be-
ſtehenden Klaſſenherrſchaft zu mildern. Von dem alternden Fürſten nicht
bemerkt und nicht gewollt, begann unterdeſſen eine folgenreiche Ver-
ſchiebung der ſocialen Machtverhältniſſe. Die neue Literatur erzog ein
aus allen Ständen gemiſchtes gebildetes Publicum; die Kaufleute und
Gewerbtreibenden der größeren Städte, die bürgerlichen Pächter des
ausgedehnten Domaniums der Monarchie gelangten nach und nach zu
geſichertem Wohlſtande und zu einem kräftigen Selbſtbewußtſein, das die
Vorrechte des Adels auf die Dauer nicht mehr ertragen konnte. Der
Adel verlor allmählich die ſittlichen wie die wirthſchaftlichen Grundlagen
ſeiner Herrenſtellung. Der Bau der alten ſtändiſchen Gliederung ward
unmerklich untergraben.

Auch die Verwaltungsorganiſation des Vaters blieb unter dem Sohne
unverändert, nur daß er den Provinzialdepartements des Generaldirec-
toriums vier neue, den ganzen Staat umfaſſende, für Kriegsverwaltung,
Handelspolitik, Berg- und Forſtweſen, hinzufügte und alſo einen Schritt
weiter that auf dem Wege zum Einheitsſtaate. Die Krone ſtand noch
immer hoch über ihrem Volke. Landdragoner mußten den Bauern an-
halten die vom Könige geſchenkten Saatkartoffeln zu verwenden; der
Befehl des Landraths und der Kammer erzwang, gegen den zähen
paſſiven Widerſtand der Betheiligten, die Gemeinheitstheilungen und
Entwäſſerungen, alle Fortſchritte der landwirthſchaftlichen Technik. Der
völlig ermattete Unternehmungsgeiſt der bürgerlichen Gewerbe konnte
nur durch die gewaltſamen Mittel des Prohibitivſyſtems geweckt werden.
Die Gebrechen der fridericianiſchen Volkswirthſchaftspolitik lagen nicht in
dem Alles meiſternden Beglückungseifer der Staatsgewalt, dem die Zeit
noch keineswegs entwachſen war, ſondern in den fiscaliſchen Künſten, wozu
der König durch die Bedrängniß ſeines Haushalts genöthigt wurde: er mußte
volle drei Viertel ſeiner ordentlichen Ausgaben für das Heer verwenden
und ſuchte was am Nothwendigen fehlte durch die Monopolien und in-
directen Steuern ſeiner Regie einzubringen. Das Finanzweſen glich in
ſeiner Schwerfälligkeit noch einem großen Privathaushalte. Faſt die
Hälfte der regelmäßigen Einnahmen kam aus den Domänen und Forſten;
nur dieſer reiche Grundbeſitz des Staates ermöglichte ihm ſeine hohen
Ausgaben, er diente zugleich zur techniſchen Erziehung des Landvolks.
Die Summe der Hauptſteuern ſtand geſetzlich feſt; für die außerordent-
lichen Ausgaben der Coloniſationen und Urbarmachungen mußte der beweg-
liche Ertrag der Regie herangezogen werden. Der ſorgſam vermehrte Schatz
genügte für einige kurze Feldzüge; doch einen langen ſchweren Krieg konnte
das alte Preußen ohne fremde Hilfsgelder nicht führen, da die Rechte der
Landtage, die überlieferten Anſchauungen des Beamtenthums und die
Unreife der Volkswirthſchaft jede Anleihe verboten. Wie kräftig auch der

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[76/0092] I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. doch die um ein Geringes leichtere Erbunterthänigkeit überall aufrecht erhalten. Die Verwaltung begnügte ſich, im Einzelnen die Härten der be- ſtehenden Klaſſenherrſchaft zu mildern. Von dem alternden Fürſten nicht bemerkt und nicht gewollt, begann unterdeſſen eine folgenreiche Ver- ſchiebung der ſocialen Machtverhältniſſe. Die neue Literatur erzog ein aus allen Ständen gemiſchtes gebildetes Publicum; die Kaufleute und Gewerbtreibenden der größeren Städte, die bürgerlichen Pächter des ausgedehnten Domaniums der Monarchie gelangten nach und nach zu geſichertem Wohlſtande und zu einem kräftigen Selbſtbewußtſein, das die Vorrechte des Adels auf die Dauer nicht mehr ertragen konnte. Der Adel verlor allmählich die ſittlichen wie die wirthſchaftlichen Grundlagen ſeiner Herrenſtellung. Der Bau der alten ſtändiſchen Gliederung ward unmerklich untergraben. Auch die Verwaltungsorganiſation des Vaters blieb unter dem Sohne unverändert, nur daß er den Provinzialdepartements des Generaldirec- toriums vier neue, den ganzen Staat umfaſſende, für Kriegsverwaltung, Handelspolitik, Berg- und Forſtweſen, hinzufügte und alſo einen Schritt weiter that auf dem Wege zum Einheitsſtaate. Die Krone ſtand noch immer hoch über ihrem Volke. Landdragoner mußten den Bauern an- halten die vom Könige geſchenkten Saatkartoffeln zu verwenden; der Befehl des Landraths und der Kammer erzwang, gegen den zähen paſſiven Widerſtand der Betheiligten, die Gemeinheitstheilungen und Entwäſſerungen, alle Fortſchritte der landwirthſchaftlichen Technik. Der völlig ermattete Unternehmungsgeiſt der bürgerlichen Gewerbe konnte nur durch die gewaltſamen Mittel des Prohibitivſyſtems geweckt werden. Die Gebrechen der fridericianiſchen Volkswirthſchaftspolitik lagen nicht in dem Alles meiſternden Beglückungseifer der Staatsgewalt, dem die Zeit noch keineswegs entwachſen war, ſondern in den fiscaliſchen Künſten, wozu der König durch die Bedrängniß ſeines Haushalts genöthigt wurde: er mußte volle drei Viertel ſeiner ordentlichen Ausgaben für das Heer verwenden und ſuchte was am Nothwendigen fehlte durch die Monopolien und in- directen Steuern ſeiner Regie einzubringen. Das Finanzweſen glich in ſeiner Schwerfälligkeit noch einem großen Privathaushalte. Faſt die Hälfte der regelmäßigen Einnahmen kam aus den Domänen und Forſten; nur dieſer reiche Grundbeſitz des Staates ermöglichte ihm ſeine hohen Ausgaben, er diente zugleich zur techniſchen Erziehung des Landvolks. Die Summe der Hauptſteuern ſtand geſetzlich feſt; für die außerordent- lichen Ausgaben der Coloniſationen und Urbarmachungen mußte der beweg- liche Ertrag der Regie herangezogen werden. Der ſorgſam vermehrte Schatz genügte für einige kurze Feldzüge; doch einen langen ſchweren Krieg konnte das alte Preußen ohne fremde Hilfsgelder nicht führen, da die Rechte der Landtage, die überlieferten Anſchauungen des Beamtenthums und die Unreife der Volkswirthſchaft jede Anleihe verboten. Wie kräftig auch der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/92>, abgerufen am 26.04.2024.