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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der König der Bettler.
Gebot der Selbsterhaltung; sie führten mit Stolz den Namen "Könige
der Bettler", den ihnen Frankreichs Hohn ersann. Die Krone verbot
das Auskaufen der Bauerngüter, das in Mecklenburg und Schwedisch-
Pommern dem Adel die Alleinherrschaft auf dem flachen Lande ver-
schaffte; sie rettete den ländlichen Mittelstand vom Untergange, und seit
Friedrich Wilhelm I. arbeitete eine durchdachte Agrargesetzgebung an der
Entfesselung des Landvolkes. Der König wünschte die Erbunterthänigkeit
aufzuheben, allen bäuerlichen Besitz in freies Grundeigenthum zu ver-
wandeln; schon im Jahre 1719 sprach er aus, "was es denn für eine
edle Sache sei, wenn die Unterthanen statt der Leibeigenschaft sich der
Freiheit rühmen, das Ihrige desto besser genießen, ihr Gewerbe und
Wesen mit um so mehr Begierde und Eifer als ihr eigenes treiben".
Diesen Herzenswunsch der Krone zu erfüllen blieb freilich noch auf lange
hinaus unmöglich; zu leidenschaftlich war der Widerspruch des mächtigen
Adels, der schon die Aufhebung des Lehenswesens als eine Kränkung
empfand, zu zähe das stille Widerstreben der rohen Bauern selber, die
jede Aenderung des Hergebrachten mit Argwohn betrachteten. Aber stetig
und unaufhaltsam hat sich der König seinem Ziele angenähert. Sein
Prügelmandat schützte den Gutsunterthan vor Mißhandlung; die bäuer-
lichen Dienste und Abgaben wurden erleichtert, die Auftheilung der Ge-
meinheiten und die Zusammenlegung der Grundstücke begonnen, überall
die Bahn gebrochen für die Befreiung der Scholle und der Arbeitskraft.
Die Reformen Steins und Hardenbergs konnten nur darum einen so
durchschlagenden Erfolg erringen, weil sie vorbereitet waren durch die
Gesetzgebung dreier Menschenalter. Bei dem Beamtenthum der Krone
fand der kleine Mann Schutz gegen adlichen Uebermuth, sachkundigen
Rath und unerbittlich strenge Aufsicht; kein Opfer schien dem sparsamen
Könige zu schwer für das Beste seiner Bauern; die gesammte Staatsein-
nahme eines vollen Jahres hat er aufgewendet um sein Schmerzenskind,
das von Pest und Krieg verheerte Ostpreußen der Gesittung zurückzu-
geben, die weite Wüste am Memel und Pregel mit fleißigen Arbeitern zu
bevölkern.

Der treuen Sorgfalt für das Wohl der Massen, nicht dem Glanze
des Kriegsruhms dankten die Hohenzollern das in aller Noth und Ver-
suchung unerschütterliche Vertrauen des Volkes zu der Krone. Zeiten der
Erstarrung und Ermattung blieben dem preußischen Staate so wenig
erspart wie andern Völkern; sie erscheinen sogar in seiner Geschichte
auffälliger, häßlicher als irgendwo sonst, weil immer tausend feindselige
Augen nach seinen Schwächen spähten und der vielumkämpfte zu versinken
drohte ohne die Spannkraft des Willens. Wer längere Zeiträume ruhig
überblickt, kann gleichwohl das stetige Fortschreiten der Monarchie zur
Staatseinheit und Rechtsgleichheit nicht verkennen. Wie die Bilder der
Hohenzollern zwar nicht die geistlos eintönige Gleichheit habsburgischer

Der König der Bettler.
Gebot der Selbſterhaltung; ſie führten mit Stolz den Namen „Könige
der Bettler“, den ihnen Frankreichs Hohn erſann. Die Krone verbot
das Auskaufen der Bauerngüter, das in Mecklenburg und Schwediſch-
Pommern dem Adel die Alleinherrſchaft auf dem flachen Lande ver-
ſchaffte; ſie rettete den ländlichen Mittelſtand vom Untergange, und ſeit
Friedrich Wilhelm I. arbeitete eine durchdachte Agrargeſetzgebung an der
Entfeſſelung des Landvolkes. Der König wünſchte die Erbunterthänigkeit
aufzuheben, allen bäuerlichen Beſitz in freies Grundeigenthum zu ver-
wandeln; ſchon im Jahre 1719 ſprach er aus, „was es denn für eine
edle Sache ſei, wenn die Unterthanen ſtatt der Leibeigenſchaft ſich der
Freiheit rühmen, das Ihrige deſto beſſer genießen, ihr Gewerbe und
Weſen mit um ſo mehr Begierde und Eifer als ihr eigenes treiben“.
Dieſen Herzenswunſch der Krone zu erfüllen blieb freilich noch auf lange
hinaus unmöglich; zu leidenſchaftlich war der Widerſpruch des mächtigen
Adels, der ſchon die Aufhebung des Lehensweſens als eine Kränkung
empfand, zu zähe das ſtille Widerſtreben der rohen Bauern ſelber, die
jede Aenderung des Hergebrachten mit Argwohn betrachteten. Aber ſtetig
und unaufhaltſam hat ſich der König ſeinem Ziele angenähert. Sein
Prügelmandat ſchützte den Gutsunterthan vor Mißhandlung; die bäuer-
lichen Dienſte und Abgaben wurden erleichtert, die Auftheilung der Ge-
meinheiten und die Zuſammenlegung der Grundſtücke begonnen, überall
die Bahn gebrochen für die Befreiung der Scholle und der Arbeitskraft.
Die Reformen Steins und Hardenbergs konnten nur darum einen ſo
durchſchlagenden Erfolg erringen, weil ſie vorbereitet waren durch die
Geſetzgebung dreier Menſchenalter. Bei dem Beamtenthum der Krone
fand der kleine Mann Schutz gegen adlichen Uebermuth, ſachkundigen
Rath und unerbittlich ſtrenge Aufſicht; kein Opfer ſchien dem ſparſamen
Könige zu ſchwer für das Beſte ſeiner Bauern; die geſammte Staatsein-
nahme eines vollen Jahres hat er aufgewendet um ſein Schmerzenskind,
das von Peſt und Krieg verheerte Oſtpreußen der Geſittung zurückzu-
geben, die weite Wüſte am Memel und Pregel mit fleißigen Arbeitern zu
bevölkern.

Der treuen Sorgfalt für das Wohl der Maſſen, nicht dem Glanze
des Kriegsruhms dankten die Hohenzollern das in aller Noth und Ver-
ſuchung unerſchütterliche Vertrauen des Volkes zu der Krone. Zeiten der
Erſtarrung und Ermattung blieben dem preußiſchen Staate ſo wenig
erſpart wie andern Völkern; ſie erſcheinen ſogar in ſeiner Geſchichte
auffälliger, häßlicher als irgendwo ſonſt, weil immer tauſend feindſelige
Augen nach ſeinen Schwächen ſpähten und der vielumkämpfte zu verſinken
drohte ohne die Spannkraft des Willens. Wer längere Zeiträume ruhig
überblickt, kann gleichwohl das ſtetige Fortſchreiten der Monarchie zur
Staatseinheit und Rechtsgleichheit nicht verkennen. Wie die Bilder der
Hohenzollern zwar nicht die geiſtlos eintönige Gleichheit habsburgiſcher

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[45/0061] Der König der Bettler. Gebot der Selbſterhaltung; ſie führten mit Stolz den Namen „Könige der Bettler“, den ihnen Frankreichs Hohn erſann. Die Krone verbot das Auskaufen der Bauerngüter, das in Mecklenburg und Schwediſch- Pommern dem Adel die Alleinherrſchaft auf dem flachen Lande ver- ſchaffte; ſie rettete den ländlichen Mittelſtand vom Untergange, und ſeit Friedrich Wilhelm I. arbeitete eine durchdachte Agrargeſetzgebung an der Entfeſſelung des Landvolkes. Der König wünſchte die Erbunterthänigkeit aufzuheben, allen bäuerlichen Beſitz in freies Grundeigenthum zu ver- wandeln; ſchon im Jahre 1719 ſprach er aus, „was es denn für eine edle Sache ſei, wenn die Unterthanen ſtatt der Leibeigenſchaft ſich der Freiheit rühmen, das Ihrige deſto beſſer genießen, ihr Gewerbe und Weſen mit um ſo mehr Begierde und Eifer als ihr eigenes treiben“. Dieſen Herzenswunſch der Krone zu erfüllen blieb freilich noch auf lange hinaus unmöglich; zu leidenſchaftlich war der Widerſpruch des mächtigen Adels, der ſchon die Aufhebung des Lehensweſens als eine Kränkung empfand, zu zähe das ſtille Widerſtreben der rohen Bauern ſelber, die jede Aenderung des Hergebrachten mit Argwohn betrachteten. Aber ſtetig und unaufhaltſam hat ſich der König ſeinem Ziele angenähert. Sein Prügelmandat ſchützte den Gutsunterthan vor Mißhandlung; die bäuer- lichen Dienſte und Abgaben wurden erleichtert, die Auftheilung der Ge- meinheiten und die Zuſammenlegung der Grundſtücke begonnen, überall die Bahn gebrochen für die Befreiung der Scholle und der Arbeitskraft. Die Reformen Steins und Hardenbergs konnten nur darum einen ſo durchſchlagenden Erfolg erringen, weil ſie vorbereitet waren durch die Geſetzgebung dreier Menſchenalter. Bei dem Beamtenthum der Krone fand der kleine Mann Schutz gegen adlichen Uebermuth, ſachkundigen Rath und unerbittlich ſtrenge Aufſicht; kein Opfer ſchien dem ſparſamen Könige zu ſchwer für das Beſte ſeiner Bauern; die geſammte Staatsein- nahme eines vollen Jahres hat er aufgewendet um ſein Schmerzenskind, das von Peſt und Krieg verheerte Oſtpreußen der Geſittung zurückzu- geben, die weite Wüſte am Memel und Pregel mit fleißigen Arbeitern zu bevölkern. Der treuen Sorgfalt für das Wohl der Maſſen, nicht dem Glanze des Kriegsruhms dankten die Hohenzollern das in aller Noth und Ver- ſuchung unerſchütterliche Vertrauen des Volkes zu der Krone. Zeiten der Erſtarrung und Ermattung blieben dem preußiſchen Staate ſo wenig erſpart wie andern Völkern; ſie erſcheinen ſogar in ſeiner Geſchichte auffälliger, häßlicher als irgendwo ſonſt, weil immer tauſend feindſelige Augen nach ſeinen Schwächen ſpähten und der vielumkämpfte zu verſinken drohte ohne die Spannkraft des Willens. Wer längere Zeiträume ruhig überblickt, kann gleichwohl das ſtetige Fortſchreiten der Monarchie zur Staatseinheit und Rechtsgleichheit nicht verkennen. Wie die Bilder der Hohenzollern zwar nicht die geiſtlos eintönige Gleichheit habsburgiſcher

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/61>, abgerufen am 27.04.2024.