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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
vinzen der Türkei sollte die Mittel gewähren für eine weitumfassende
Ländervertauschung in Osteuropa, welche sämmtliche Mächte des Ostens
mit Freuden ergreifen würden; dem preußischen Vermittler war die Er-
werbung von Schwedisch-Pommern, Danzig und Thorn, Kalisch und
Posen zugedacht, kurz die Ausfüllung der Lücken in seiner Nord- und
Ostgrenze, und dies Alles ohne daß er das Schwert zu ziehen brauchte,
allein durch die Zauberkraft der diplomatischen Federn!

Der überfeine Plan stieß sofort auf den Widerspruch der preußischen
Bundesgenossen selber: der König erfuhr wie einst sein Oheim die Un-
treue der englischen Freundschaft. Die Seemächte scheuten den offenen
Bruch mit den Kaiserhöfen weil sie den ergiebigen russischen Handel zu
verlieren fürchteten; darum hatte England im siebenjährigen Kriege die
einzige für Preußen werthvolle Bundeshilfe, die Absendung einer starken
Flotte in die Ostsee, verweigert, und noch weit weniger mochte der eng-
lische Handelsneid jetzt eine Politik unterstützen, die dem preußischen Staate
die Einverleibung des Danziger Hafens bringen sollte. Auch der Hoch-
muth der Polen widerstrebte dieser Abtretung, welche vielleicht den Fort-
bestand der polnischen Republik noch hätte retten können. Die Pforte
endlich wollte von einer Verkleinerung ihres Gebietes nichts hören. In
solcher Verlegenheit setzte Preußen seine Forderungen herab und ver-
langte nur die Wiederherstellung des Besitzstandes im Oriente. Auch jetzt
noch konnten die Verhandlungen die entscheidende Abrechnung mit Oester-
reich herbeiführen, wenn man sie also verschärfte, daß die Hofburg den
Krieg annehmen mußte. Eben dies versäumte Hertzberg, während der
König mit richtigem Gefühle eine Entscheidung durch die Waffen ver-
langte. Inmitten dieser gewaltigen Verwicklung starb Kaiser Joseph, und
nun rächte sich die hochmüthige Geringschätzung, welche Hertzberg dem
Fürstenbunde erwiesen. Der Bund war bereits dermaßen geschwächt, die
Gesinnung der kleinen Höfe so unsicher, daß die große Frage der Kaiser-
wahl kaum noch als eine Frage erschien. König Friedrich Wilhelm be-
ruhigte sich bei der Erwägung, daß sein Oheim selber die Erwerbung der
Kaiserwürde für sein Haus nicht gewünscht hatte, und bot unbedenk-
lich dem Nachfolger Josephs, Leopold II. die Kaiserwürde an, als dieser
ihm mit nachgiebigen Erklärungen entgegenkam. Er war zufrieden mit
einem halben Siege und schloß am 26. Juli 1790 den unseligen Reichen-
bacher Vertrag, der einfach den Besitzstand vor dem orientalischen Kriege
wiederherstellte.

Wohl war es ein Erfolg, daß Preußens Drohungen das Haus Loth-
ringen zwangen das eroberte Belgrad wieder herauszugeben, den mit aus-
schweifenden Hoffnungen und großem Aufwande unternommenen Türken-
krieg ruhmlos zu beendigen. Und doch wußte Leopold wohl, warum er
froh aufathmend schrieb: "Es ist der am wenigsten schlechte Friede, den
wir schließen konnten." Der Tod Josephs II. wurde für Preußens deutsche

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
vinzen der Türkei ſollte die Mittel gewähren für eine weitumfaſſende
Ländervertauſchung in Oſteuropa, welche ſämmtliche Mächte des Oſtens
mit Freuden ergreifen würden; dem preußiſchen Vermittler war die Er-
werbung von Schwediſch-Pommern, Danzig und Thorn, Kaliſch und
Poſen zugedacht, kurz die Ausfüllung der Lücken in ſeiner Nord- und
Oſtgrenze, und dies Alles ohne daß er das Schwert zu ziehen brauchte,
allein durch die Zauberkraft der diplomatiſchen Federn!

Der überfeine Plan ſtieß ſofort auf den Widerſpruch der preußiſchen
Bundesgenoſſen ſelber: der König erfuhr wie einſt ſein Oheim die Un-
treue der engliſchen Freundſchaft. Die Seemächte ſcheuten den offenen
Bruch mit den Kaiſerhöfen weil ſie den ergiebigen ruſſiſchen Handel zu
verlieren fürchteten; darum hatte England im ſiebenjährigen Kriege die
einzige für Preußen werthvolle Bundeshilfe, die Abſendung einer ſtarken
Flotte in die Oſtſee, verweigert, und noch weit weniger mochte der eng-
liſche Handelsneid jetzt eine Politik unterſtützen, die dem preußiſchen Staate
die Einverleibung des Danziger Hafens bringen ſollte. Auch der Hoch-
muth der Polen widerſtrebte dieſer Abtretung, welche vielleicht den Fort-
beſtand der polniſchen Republik noch hätte retten können. Die Pforte
endlich wollte von einer Verkleinerung ihres Gebietes nichts hören. In
ſolcher Verlegenheit ſetzte Preußen ſeine Forderungen herab und ver-
langte nur die Wiederherſtellung des Beſitzſtandes im Oriente. Auch jetzt
noch konnten die Verhandlungen die entſcheidende Abrechnung mit Oeſter-
reich herbeiführen, wenn man ſie alſo verſchärfte, daß die Hofburg den
Krieg annehmen mußte. Eben dies verſäumte Hertzberg, während der
König mit richtigem Gefühle eine Entſcheidung durch die Waffen ver-
langte. Inmitten dieſer gewaltigen Verwicklung ſtarb Kaiſer Joſeph, und
nun rächte ſich die hochmüthige Geringſchätzung, welche Hertzberg dem
Fürſtenbunde erwieſen. Der Bund war bereits dermaßen geſchwächt, die
Geſinnung der kleinen Höfe ſo unſicher, daß die große Frage der Kaiſer-
wahl kaum noch als eine Frage erſchien. König Friedrich Wilhelm be-
ruhigte ſich bei der Erwägung, daß ſein Oheim ſelber die Erwerbung der
Kaiſerwürde für ſein Haus nicht gewünſcht hatte, und bot unbedenk-
lich dem Nachfolger Joſephs, Leopold II. die Kaiſerwürde an, als dieſer
ihm mit nachgiebigen Erklärungen entgegenkam. Er war zufrieden mit
einem halben Siege und ſchloß am 26. Juli 1790 den unſeligen Reichen-
bacher Vertrag, der einfach den Beſitzſtand vor dem orientaliſchen Kriege
wiederherſtellte.

Wohl war es ein Erfolg, daß Preußens Drohungen das Haus Loth-
ringen zwangen das eroberte Belgrad wieder herauszugeben, den mit aus-
ſchweifenden Hoffnungen und großem Aufwande unternommenen Türken-
krieg ruhmlos zu beendigen. Und doch wußte Leopold wohl, warum er
froh aufathmend ſchrieb: „Es iſt der am wenigſten ſchlechte Friede, den
wir ſchließen konnten.“ Der Tod Joſephs II. wurde für Preußens deutſche

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[110/0126] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. vinzen der Türkei ſollte die Mittel gewähren für eine weitumfaſſende Ländervertauſchung in Oſteuropa, welche ſämmtliche Mächte des Oſtens mit Freuden ergreifen würden; dem preußiſchen Vermittler war die Er- werbung von Schwediſch-Pommern, Danzig und Thorn, Kaliſch und Poſen zugedacht, kurz die Ausfüllung der Lücken in ſeiner Nord- und Oſtgrenze, und dies Alles ohne daß er das Schwert zu ziehen brauchte, allein durch die Zauberkraft der diplomatiſchen Federn! Der überfeine Plan ſtieß ſofort auf den Widerſpruch der preußiſchen Bundesgenoſſen ſelber: der König erfuhr wie einſt ſein Oheim die Un- treue der engliſchen Freundſchaft. Die Seemächte ſcheuten den offenen Bruch mit den Kaiſerhöfen weil ſie den ergiebigen ruſſiſchen Handel zu verlieren fürchteten; darum hatte England im ſiebenjährigen Kriege die einzige für Preußen werthvolle Bundeshilfe, die Abſendung einer ſtarken Flotte in die Oſtſee, verweigert, und noch weit weniger mochte der eng- liſche Handelsneid jetzt eine Politik unterſtützen, die dem preußiſchen Staate die Einverleibung des Danziger Hafens bringen ſollte. Auch der Hoch- muth der Polen widerſtrebte dieſer Abtretung, welche vielleicht den Fort- beſtand der polniſchen Republik noch hätte retten können. Die Pforte endlich wollte von einer Verkleinerung ihres Gebietes nichts hören. In ſolcher Verlegenheit ſetzte Preußen ſeine Forderungen herab und ver- langte nur die Wiederherſtellung des Beſitzſtandes im Oriente. Auch jetzt noch konnten die Verhandlungen die entſcheidende Abrechnung mit Oeſter- reich herbeiführen, wenn man ſie alſo verſchärfte, daß die Hofburg den Krieg annehmen mußte. Eben dies verſäumte Hertzberg, während der König mit richtigem Gefühle eine Entſcheidung durch die Waffen ver- langte. Inmitten dieſer gewaltigen Verwicklung ſtarb Kaiſer Joſeph, und nun rächte ſich die hochmüthige Geringſchätzung, welche Hertzberg dem Fürſtenbunde erwieſen. Der Bund war bereits dermaßen geſchwächt, die Geſinnung der kleinen Höfe ſo unſicher, daß die große Frage der Kaiſer- wahl kaum noch als eine Frage erſchien. König Friedrich Wilhelm be- ruhigte ſich bei der Erwägung, daß ſein Oheim ſelber die Erwerbung der Kaiſerwürde für ſein Haus nicht gewünſcht hatte, und bot unbedenk- lich dem Nachfolger Joſephs, Leopold II. die Kaiſerwürde an, als dieſer ihm mit nachgiebigen Erklärungen entgegenkam. Er war zufrieden mit einem halben Siege und ſchloß am 26. Juli 1790 den unſeligen Reichen- bacher Vertrag, der einfach den Beſitzſtand vor dem orientaliſchen Kriege wiederherſtellte. Wohl war es ein Erfolg, daß Preußens Drohungen das Haus Loth- ringen zwangen das eroberte Belgrad wieder herauszugeben, den mit aus- ſchweifenden Hoffnungen und großem Aufwande unternommenen Türken- krieg ruhmlos zu beendigen. Und doch wußte Leopold wohl, warum er froh aufathmend ſchrieb: „Es iſt der am wenigſten ſchlechte Friede, den wir ſchließen konnten.“ Der Tod Joſephs II. wurde für Preußens deutſche

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/126>, abgerufen am 26.04.2024.