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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Friedrichs Tod.
richt seines Todes kam, rief ein schwäbisches Bäuerlein, unzähligen
Deutschen aus der Seele: wer soll nun die Welt regieren? Bis zu seinem
letzten Athemzuge strömte alle Willenskraft der preußischen Monarchie
von diesem einen Manne aus; der Tag seines Todes war der erste
Rasttag seines Lebens. Sein Testament erzählte der Nation noch einmal,
wie anders als die Hauspolitik der kleinen Höfe das politische Königthum
der Hohenzollern seinen Beruf verstanden hatte: "Meine letzten Wünsche
im Augenblicke meines Todes werden dem Glücke dieses Staates gelten;
möge er der glücklichste der Staaten sein durch die Milde seiner Gesetze,
der am gerechtesten verwaltete in seinem Haushalt, der am tapfersten
vertheidigte durch ein Heer, das nur Ehre und edlen Ruhm athmet, und
möge er blühend dauern bis an das Ende der Zeiten!"

Anderthalb Jahrhunderte waren vergangen, seit jener Friedrich Wilhelm
unter den Trümmern des alten Reichs die ersten Werkstücke zusammensuchte
für das Gebäude der neuen Großmacht. Hunderttausende preußischer
Männer hatten den Heldentod gefunden, eine ungeheure Arbeit war aufge-
wendet um das neue deutsche Königthum zu sichern, und mindestens ein
reicher Segen dieser furchtbaren Kämpfe ward im Reiche lebhaft empfunden:
die Nation fühlte sich wieder daheim, als Herrin auf eigenem Boden. Ein
lang entbehrtes Bewußtsein der Sicherheit verschönte den Deutschen im
Reiche das Leben; ihnen war, als sei dies Preußen von der Natur be-
stimmt die Friedenswerke der Nation gegen alle fremden Störer mit
seinem Schilde zu decken; ohne dies kräftige Gefühl bürgerlichen Behagens
hätte unsere deutsche Dichtung den frohen Muth zu großem Schaffen nicht
gefunden. Die öffentliche Meinung begann sich nach und nach mit dem
Staate zu versöhnen, der wider ihren Willen emporgewachsen war; man
nahm ihn hin als eine Nothwendigkeit des deutschen Lebens, ohne viel
um seine Zukunft zu sorgen. Die schwere Frage: wie eine so verwegene
Staatsbildung ohne die belebende Kraft des Genie's sich behaupten solle?
ward in vollem Ernst nur von einem Zeitgenossen aufgeworfen, von
Mirabeau. Die alte und die neue Zeit begrüßten einander noch einmal
freundlich, als der Tribun der nahenden Revolution kurz vor dem Tode des
Königs am Tische von Sanssouci weilte. Mit der glühenden Farbenpracht
seiner Rhetorik hat Mirabeau dann den größten Menschen, der seinen
Blicken begegnet war, geschildert; er nannte den Staat Friedrichs ein
wahrhaft schönes Kunstwerk, den einzigen Staat der Gegenwart, der
einen geistreichen Kopf ernstlich beschäftigen könne, doch ihm entging nicht,
daß dieser kühne Bau leider auf allzuschwachem Grunde ruhe. Von
den Preußen jener Tage wurden solche Zweifel nicht verstanden; die
Glorie der fridericianischen Zeit erschien so wunderbar, daß selbst dies
tadelsüchtigste aller europäischen Völker davon geblendet wurde. Für die
nächste Generation ward der Ruhm Friedrichs zum Verderben; man
lebte dahin in trügerischer Sicherheit und vergaß, daß nur neue schwere

Friedrichs Tod.
richt ſeines Todes kam, rief ein ſchwäbiſches Bäuerlein, unzähligen
Deutſchen aus der Seele: wer ſoll nun die Welt regieren? Bis zu ſeinem
letzten Athemzuge ſtrömte alle Willenskraft der preußiſchen Monarchie
von dieſem einen Manne aus; der Tag ſeines Todes war der erſte
Raſttag ſeines Lebens. Sein Teſtament erzählte der Nation noch einmal,
wie anders als die Hauspolitik der kleinen Höfe das politiſche Königthum
der Hohenzollern ſeinen Beruf verſtanden hatte: „Meine letzten Wünſche
im Augenblicke meines Todes werden dem Glücke dieſes Staates gelten;
möge er der glücklichſte der Staaten ſein durch die Milde ſeiner Geſetze,
der am gerechteſten verwaltete in ſeinem Haushalt, der am tapferſten
vertheidigte durch ein Heer, das nur Ehre und edlen Ruhm athmet, und
möge er blühend dauern bis an das Ende der Zeiten!“

Anderthalb Jahrhunderte waren vergangen, ſeit jener Friedrich Wilhelm
unter den Trümmern des alten Reichs die erſten Werkſtücke zuſammenſuchte
für das Gebäude der neuen Großmacht. Hunderttauſende preußiſcher
Männer hatten den Heldentod gefunden, eine ungeheure Arbeit war aufge-
wendet um das neue deutſche Königthum zu ſichern, und mindeſtens ein
reicher Segen dieſer furchtbaren Kämpfe ward im Reiche lebhaft empfunden:
die Nation fühlte ſich wieder daheim, als Herrin auf eigenem Boden. Ein
lang entbehrtes Bewußtſein der Sicherheit verſchönte den Deutſchen im
Reiche das Leben; ihnen war, als ſei dies Preußen von der Natur be-
ſtimmt die Friedenswerke der Nation gegen alle fremden Störer mit
ſeinem Schilde zu decken; ohne dies kräftige Gefühl bürgerlichen Behagens
hätte unſere deutſche Dichtung den frohen Muth zu großem Schaffen nicht
gefunden. Die öffentliche Meinung begann ſich nach und nach mit dem
Staate zu verſöhnen, der wider ihren Willen emporgewachſen war; man
nahm ihn hin als eine Nothwendigkeit des deutſchen Lebens, ohne viel
um ſeine Zukunft zu ſorgen. Die ſchwere Frage: wie eine ſo verwegene
Staatsbildung ohne die belebende Kraft des Genie’s ſich behaupten ſolle?
ward in vollem Ernſt nur von einem Zeitgenoſſen aufgeworfen, von
Mirabeau. Die alte und die neue Zeit begrüßten einander noch einmal
freundlich, als der Tribun der nahenden Revolution kurz vor dem Tode des
Königs am Tiſche von Sansſouci weilte. Mit der glühenden Farbenpracht
ſeiner Rhetorik hat Mirabeau dann den größten Menſchen, der ſeinen
Blicken begegnet war, geſchildert; er nannte den Staat Friedrichs ein
wahrhaft ſchönes Kunſtwerk, den einzigen Staat der Gegenwart, der
einen geiſtreichen Kopf ernſtlich beſchäftigen könne, doch ihm entging nicht,
daß dieſer kühne Bau leider auf allzuſchwachem Grunde ruhe. Von
den Preußen jener Tage wurden ſolche Zweifel nicht verſtanden; die
Glorie der fridericianiſchen Zeit erſchien ſo wunderbar, daß ſelbſt dies
tadelſüchtigſte aller europäiſchen Völker davon geblendet wurde. Für die
nächſte Generation ward der Ruhm Friedrichs zum Verderben; man
lebte dahin in trügeriſcher Sicherheit und vergaß, daß nur neue ſchwere

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[85/0101] Friedrichs Tod. richt ſeines Todes kam, rief ein ſchwäbiſches Bäuerlein, unzähligen Deutſchen aus der Seele: wer ſoll nun die Welt regieren? Bis zu ſeinem letzten Athemzuge ſtrömte alle Willenskraft der preußiſchen Monarchie von dieſem einen Manne aus; der Tag ſeines Todes war der erſte Raſttag ſeines Lebens. Sein Teſtament erzählte der Nation noch einmal, wie anders als die Hauspolitik der kleinen Höfe das politiſche Königthum der Hohenzollern ſeinen Beruf verſtanden hatte: „Meine letzten Wünſche im Augenblicke meines Todes werden dem Glücke dieſes Staates gelten; möge er der glücklichſte der Staaten ſein durch die Milde ſeiner Geſetze, der am gerechteſten verwaltete in ſeinem Haushalt, der am tapferſten vertheidigte durch ein Heer, das nur Ehre und edlen Ruhm athmet, und möge er blühend dauern bis an das Ende der Zeiten!“ Anderthalb Jahrhunderte waren vergangen, ſeit jener Friedrich Wilhelm unter den Trümmern des alten Reichs die erſten Werkſtücke zuſammenſuchte für das Gebäude der neuen Großmacht. Hunderttauſende preußiſcher Männer hatten den Heldentod gefunden, eine ungeheure Arbeit war aufge- wendet um das neue deutſche Königthum zu ſichern, und mindeſtens ein reicher Segen dieſer furchtbaren Kämpfe ward im Reiche lebhaft empfunden: die Nation fühlte ſich wieder daheim, als Herrin auf eigenem Boden. Ein lang entbehrtes Bewußtſein der Sicherheit verſchönte den Deutſchen im Reiche das Leben; ihnen war, als ſei dies Preußen von der Natur be- ſtimmt die Friedenswerke der Nation gegen alle fremden Störer mit ſeinem Schilde zu decken; ohne dies kräftige Gefühl bürgerlichen Behagens hätte unſere deutſche Dichtung den frohen Muth zu großem Schaffen nicht gefunden. Die öffentliche Meinung begann ſich nach und nach mit dem Staate zu verſöhnen, der wider ihren Willen emporgewachſen war; man nahm ihn hin als eine Nothwendigkeit des deutſchen Lebens, ohne viel um ſeine Zukunft zu ſorgen. Die ſchwere Frage: wie eine ſo verwegene Staatsbildung ohne die belebende Kraft des Genie’s ſich behaupten ſolle? ward in vollem Ernſt nur von einem Zeitgenoſſen aufgeworfen, von Mirabeau. Die alte und die neue Zeit begrüßten einander noch einmal freundlich, als der Tribun der nahenden Revolution kurz vor dem Tode des Königs am Tiſche von Sansſouci weilte. Mit der glühenden Farbenpracht ſeiner Rhetorik hat Mirabeau dann den größten Menſchen, der ſeinen Blicken begegnet war, geſchildert; er nannte den Staat Friedrichs ein wahrhaft ſchönes Kunſtwerk, den einzigen Staat der Gegenwart, der einen geiſtreichen Kopf ernſtlich beſchäftigen könne, doch ihm entging nicht, daß dieſer kühne Bau leider auf allzuſchwachem Grunde ruhe. Von den Preußen jener Tage wurden ſolche Zweifel nicht verſtanden; die Glorie der fridericianiſchen Zeit erſchien ſo wunderbar, daß ſelbſt dies tadelſüchtigſte aller europäiſchen Völker davon geblendet wurde. Für die nächſte Generation ward der Ruhm Friedrichs zum Verderben; man lebte dahin in trügeriſcher Sicherheit und vergaß, daß nur neue ſchwere

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/101>, abgerufen am 26.04.2024.