Trakl, Georg: Gedichte. Leipzig, 1913.DER SPAZIERGANG 1. Musik summt im Gehölz am Nachmittag. Im Korn sich ernste Vogelscheuchen drehn. Hollunderbüsche sacht am Weg verwehn; Ein Haus zerflimmert wunderlich und vag. In Goldnem schwebt ein Duft von Thymian, Auf einem Stein steht eine heitere Zahl. Auf einer Wiese spielen Kinder Ball, Dann hebt ein Baum vor dir zu kreisen an. Du träumst: die Schwester kämmt ihr blondes Haar, Auch schreibt ein ferner Freund dir einen Brief. Ein Schober flieht durchs Grau vergilbt und schief Und manchmal schwebst du leicht und wunderbar. 2. Die Zeit verrinnt. O süßer Helios! O Bild im Krötentümpel süß und klar; Im Sand versinkt ein Eden wunderbar. Goldammern wiegt ein Busch in seinem Schoß. Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land Und stählern schaun dich deine Augen an. In Goldnem dort ein Duft von Thymian. Ein Knabe legt am Weiler einen Brand. Die Liebenden in Faltern neu erglühn
Und schaukeln heiter hin um Stein und Zahl. Aufflattern Krähen um ein ekles Mahl Und deine Stirne tost durchs sanfte Grün. DER SPAZIERGANG 1. Musik summt im Gehölz am Nachmittag. Im Korn sich ernste Vogelscheuchen drehn. Hollunderbüsche sacht am Weg verwehn; Ein Haus zerflimmert wunderlich und vag. In Goldnem schwebt ein Duft von Thymian, Auf einem Stein steht eine heitere Zahl. Auf einer Wiese spielen Kinder Ball, Dann hebt ein Baum vor dir zu kreisen an. Du träumst: die Schwester kämmt ihr blondes Haar, Auch schreibt ein ferner Freund dir einen Brief. Ein Schober flieht durchs Grau vergilbt und schief Und manchmal schwebst du leicht und wunderbar. 2. Die Zeit verrinnt. O süßer Helios! O Bild im Krötentümpel süß und klar; Im Sand versinkt ein Eden wunderbar. Goldammern wiegt ein Busch in seinem Schoß. Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land Und stählern schaun dich deine Augen an. In Goldnem dort ein Duft von Thymian. Ein Knabe legt am Weiler einen Brand. Die Liebenden in Faltern neu erglühn
Und schaukeln heiter hin um Stein und Zahl. Aufflattern Krähen um ein ekles Mahl Und deine Stirne tost durchs sanfte Grün. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0034" n="36"/> <div n="1"> <lg type="poem"> <head>DER SPAZIERGANG</head><lb/> <lg n="1"> <head>1.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Musik summt im Gehölz am Nachmittag.</l><lb/> <l>Im Korn sich ernste Vogelscheuchen drehn.</l><lb/> <l>Hollunderbüsche sacht am Weg verwehn;</l><lb/> <l>Ein Haus zerflimmert wunderlich und vag.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>In Goldnem schwebt ein Duft von Thymian,</l><lb/> <l>Auf einem Stein steht eine heitere Zahl.</l><lb/> <l>Auf einer Wiese spielen Kinder Ball,</l><lb/> <l>Dann hebt ein Baum vor dir zu kreisen an.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Du träumst: die Schwester kämmt ihr blondes Haar,</l><lb/> <l>Auch schreibt ein ferner Freund dir einen Brief.</l><lb/> <l>Ein Schober flieht durchs Grau vergilbt und schief</l><lb/> <l>Und manchmal schwebst du leicht und wunderbar.</l><lb/> </lg> </lg> <lg n="2"> <head>2.</head><lb/> <lg n="1"> <l>Die Zeit verrinnt. O süßer Helios!</l><lb/> <l>O Bild im Krötentümpel süß und klar;</l><lb/> <l>Im Sand versinkt ein Eden wunderbar.</l><lb/> <l>Goldammern wiegt ein Busch in seinem Schoß.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land</l><lb/> <l>Und stählern schaun dich deine Augen an.</l><lb/> <l>In Goldnem dort ein Duft von Thymian.</l><lb/> <l>Ein Knabe legt am Weiler einen Brand.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Die Liebenden in Faltern neu erglühn</l><lb/> <l>Und schaukeln heiter hin um Stein und Zahl.</l><lb/> <l>Aufflattern Krähen um ein ekles Mahl</l><lb/> <l>Und deine Stirne tost durchs sanfte Grün.</l><lb/> </lg> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [36/0034]
DER SPAZIERGANG
1.
Musik summt im Gehölz am Nachmittag.
Im Korn sich ernste Vogelscheuchen drehn.
Hollunderbüsche sacht am Weg verwehn;
Ein Haus zerflimmert wunderlich und vag.
In Goldnem schwebt ein Duft von Thymian,
Auf einem Stein steht eine heitere Zahl.
Auf einer Wiese spielen Kinder Ball,
Dann hebt ein Baum vor dir zu kreisen an.
Du träumst: die Schwester kämmt ihr blondes Haar,
Auch schreibt ein ferner Freund dir einen Brief.
Ein Schober flieht durchs Grau vergilbt und schief
Und manchmal schwebst du leicht und wunderbar.
2.
Die Zeit verrinnt. O süßer Helios!
O Bild im Krötentümpel süß und klar;
Im Sand versinkt ein Eden wunderbar.
Goldammern wiegt ein Busch in seinem Schoß.
Ein Bruder stirbt dir in verwunschnem Land
Und stählern schaun dich deine Augen an.
In Goldnem dort ein Duft von Thymian.
Ein Knabe legt am Weiler einen Brand.
Die Liebenden in Faltern neu erglühn
Und schaukeln heiter hin um Stein und Zahl.
Aufflattern Krähen um ein ekles Mahl
Und deine Stirne tost durchs sanfte Grün.
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Zitationshilfe: | Trakl, Georg: Gedichte. Leipzig, 1913, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/trakl_gedichte_1913/34>, abgerufen am 12.02.2025. |