Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

wird zwiefach gebunden: durch Acker und durch Haus
zumal, d. i. durch seine eigenen Werke. --

§ 12.

In dauernder Beziehung auf Acker und Haus ent-
wickelt sich das gemeinschaftliche Leben. Es ist nur aus
sich selber erklärbar, denn sein Keim und also, in irgend-
welcher Stärke, seine Wirklichkeit, ist die Natur der Dinge.
Gemeinschaft überhaupt ist zwischen allen organischen
Wesen, menschliche vernünftige Gemeinschaft zwischen
Menschen. Man unterscheidet zusammenlebende und nicht
zusammenlebende -- sociale und unsociale -- Thiere. Das
ist gut. Aber man vernachlässigt, dass es dabei nur um
verschiedene Grade und Arten des Zusammenlebens sich
handelt, wie das der Zugvögel ein anderes ist als der Raub-
thiere. Und man vergisst, dass Zusammenbleiben das von
Natur Gegebene ist; für Trennung liegt gleichsam die Last
des Beweises ob. Dies will sagen: besondere Ursachen
bewirken, frühere oder spätere, Scheidung, den Zerfall
grösserer in kleinere Gruppen; aber die grössere ist vor
der kleineren, wie Wachsthum vor der Propagation (welche
als ein hyperindividuales Wachsthum begriffen wird). Und
jede hat eine Tendenz und Möglichkeit zu bleiben, trotz
ihrer Division, in den auseinander gegangenen Stücken als
in ihren Gliedern; noch Wirkungen auszuüben, in repräsen-
tativen Gliedern sich darzustellen. Wenn wir daher ein
Schema der Entwicklung denken als von einem Centro
nach verschiedenen Richtungen Linien entsendend, so be-
deutet das Centrum selber die Einheit des Ganzen, und
inwiefern das Ganze als Wille sich auf sich selber bezieht,
so muss in jenem solcher Wille eminenter vorhanden sein.
Aber in den Radien entwickeln sich Punkte zu neuen Cen-
tren und je mehr sie Energie nöthig haben, in ihre Peri-
pherie auszubreiten und zugleich sich zu erhalten, desto
mehr entziehen sie dem früheren Centro, welches nun, wenn
es nicht in gleicher Weise auf ein ursprüngliches sich zu
beziehen vermag, durch Noth schwächer wird und unfähiger,
nach anderen Seiten Wirkungen auszuüben. Immerhin
aber stellen wir vor, dass die Einheit und Verbindung sich

wird zwiefach gebunden: durch Acker und durch Haus
zumal, d. i. durch seine eigenen Werke. —

§ 12.

In dauernder Beziehung auf Acker und Haus ent-
wickelt sich das gemeinschaftliche Leben. Es ist nur aus
sich selber erklärbar, denn sein Keim und also, in irgend-
welcher Stärke, seine Wirklichkeit, ist die Natur der Dinge.
Gemeinschaft überhaupt ist zwischen allen organischen
Wesen, menschliche vernünftige Gemeinschaft zwischen
Menschen. Man unterscheidet zusammenlebende und nicht
zusammenlebende — sociale und unsociale — Thiere. Das
ist gut. Aber man vernachlässigt, dass es dabei nur um
verschiedene Grade und Arten des Zusammenlebens sich
handelt, wie das der Zugvögel ein anderes ist als der Raub-
thiere. Und man vergisst, dass Zusammenbleiben das von
Natur Gegebene ist; für Trennung liegt gleichsam die Last
des Beweises ob. Dies will sagen: besondere Ursachen
bewirken, frühere oder spätere, Scheidung, den Zerfall
grösserer in kleinere Gruppen; aber die grössere ist vor
der kleineren, wie Wachsthum vor der Propagation (welche
als ein hyperindividuales Wachsthum begriffen wird). Und
jede hat eine Tendenz und Möglichkeit zu bleiben, trotz
ihrer Division, in den auseinander gegangenen Stücken als
in ihren Gliedern; noch Wirkungen auszuüben, in repräsen-
tativen Gliedern sich darzustellen. Wenn wir daher ein
Schema der Entwicklung denken als von einem Centro
nach verschiedenen Richtungen Linien entsendend, so be-
deutet das Centrum selber die Einheit des Ganzen, und
inwiefern das Ganze als Wille sich auf sich selber bezieht,
so muss in jenem solcher Wille eminenter vorhanden sein.
Aber in den Radien entwickeln sich Punkte zu neuen Cen-
tren und je mehr sie Energie nöthig haben, in ihre Peri-
pherie auszubreiten und zugleich sich zu erhalten, desto
mehr entziehen sie dem früheren Centro, welches nun, wenn
es nicht in gleicher Weise auf ein ursprüngliches sich zu
beziehen vermag, durch Noth schwächer wird und unfähiger,
nach anderen Seiten Wirkungen auszuüben. Immerhin
aber stellen wir vor, dass die Einheit und Verbindung sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0065" n="29"/>
wird zwiefach gebunden: durch Acker und durch Haus<lb/>
zumal, d. i. durch seine eigenen <hi rendition="#g">Werke</hi>. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 12.</head><lb/>
            <p>In dauernder Beziehung auf Acker und Haus ent-<lb/>
wickelt sich das gemeinschaftliche Leben. Es ist nur aus<lb/>
sich selber erklärbar, denn sein Keim und also, in irgend-<lb/>
welcher Stärke, seine Wirklichkeit, ist die Natur der Dinge.<lb/>
Gemeinschaft überhaupt ist zwischen allen organischen<lb/>
Wesen, menschliche vernünftige Gemeinschaft zwischen<lb/>
Menschen. Man unterscheidet zusammenlebende und nicht<lb/>
zusammenlebende &#x2014; sociale und unsociale &#x2014; Thiere. Das<lb/>
ist gut. Aber man vernachlässigt, dass es dabei nur um<lb/>
verschiedene Grade und Arten des Zusammenlebens sich<lb/>
handelt, wie das der Zugvögel ein anderes ist als der Raub-<lb/>
thiere. Und man vergisst, dass Zusammenbleiben das von<lb/>
Natur Gegebene ist; für Trennung liegt gleichsam die Last<lb/>
des Beweises ob. Dies will sagen: <hi rendition="#g">besondere</hi> Ursachen<lb/>
bewirken, frühere oder spätere, Scheidung, den Zerfall<lb/>
grösserer in kleinere Gruppen; aber die grössere ist <hi rendition="#g">vor</hi><lb/>
der kleineren, wie Wachsthum vor der Propagation (welche<lb/>
als ein hyperindividuales Wachsthum begriffen wird). Und<lb/>
jede hat eine Tendenz und Möglichkeit zu bleiben, trotz<lb/>
ihrer Division, in den auseinander gegangenen Stücken als<lb/>
in ihren Gliedern; noch Wirkungen auszuüben, in repräsen-<lb/>
tativen Gliedern sich darzustellen. Wenn wir daher ein<lb/>
Schema der Entwicklung denken als von einem Centro<lb/>
nach verschiedenen Richtungen Linien entsendend, so be-<lb/>
deutet das Centrum selber die Einheit des Ganzen, und<lb/>
inwiefern das Ganze als Wille sich auf sich selber bezieht,<lb/>
so muss in jenem solcher Wille eminenter vorhanden sein.<lb/>
Aber in den Radien entwickeln sich Punkte zu neuen Cen-<lb/>
tren und je mehr sie Energie nöthig haben, in ihre Peri-<lb/>
pherie auszubreiten und zugleich sich zu erhalten, desto<lb/>
mehr entziehen sie dem früheren Centro, welches nun, wenn<lb/>
es nicht in gleicher Weise auf ein ursprüngliches sich zu<lb/>
beziehen vermag, durch Noth schwächer wird und unfähiger,<lb/>
nach anderen Seiten Wirkungen auszuüben. Immerhin<lb/>
aber stellen wir vor, dass die Einheit und Verbindung sich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0065] wird zwiefach gebunden: durch Acker und durch Haus zumal, d. i. durch seine eigenen Werke. — § 12. In dauernder Beziehung auf Acker und Haus ent- wickelt sich das gemeinschaftliche Leben. Es ist nur aus sich selber erklärbar, denn sein Keim und also, in irgend- welcher Stärke, seine Wirklichkeit, ist die Natur der Dinge. Gemeinschaft überhaupt ist zwischen allen organischen Wesen, menschliche vernünftige Gemeinschaft zwischen Menschen. Man unterscheidet zusammenlebende und nicht zusammenlebende — sociale und unsociale — Thiere. Das ist gut. Aber man vernachlässigt, dass es dabei nur um verschiedene Grade und Arten des Zusammenlebens sich handelt, wie das der Zugvögel ein anderes ist als der Raub- thiere. Und man vergisst, dass Zusammenbleiben das von Natur Gegebene ist; für Trennung liegt gleichsam die Last des Beweises ob. Dies will sagen: besondere Ursachen bewirken, frühere oder spätere, Scheidung, den Zerfall grösserer in kleinere Gruppen; aber die grössere ist vor der kleineren, wie Wachsthum vor der Propagation (welche als ein hyperindividuales Wachsthum begriffen wird). Und jede hat eine Tendenz und Möglichkeit zu bleiben, trotz ihrer Division, in den auseinander gegangenen Stücken als in ihren Gliedern; noch Wirkungen auszuüben, in repräsen- tativen Gliedern sich darzustellen. Wenn wir daher ein Schema der Entwicklung denken als von einem Centro nach verschiedenen Richtungen Linien entsendend, so be- deutet das Centrum selber die Einheit des Ganzen, und inwiefern das Ganze als Wille sich auf sich selber bezieht, so muss in jenem solcher Wille eminenter vorhanden sein. Aber in den Radien entwickeln sich Punkte zu neuen Cen- tren und je mehr sie Energie nöthig haben, in ihre Peri- pherie auszubreiten und zugleich sich zu erhalten, desto mehr entziehen sie dem früheren Centro, welches nun, wenn es nicht in gleicher Weise auf ein ursprüngliches sich zu beziehen vermag, durch Noth schwächer wird und unfähiger, nach anderen Seiten Wirkungen auszuüben. Immerhin aber stellen wir vor, dass die Einheit und Verbindung sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/65
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/65>, abgerufen am 20.12.2024.