der Vergangenheit könnte gesetzt werden. Dass es zu ir- gend einer Zeit wirklich gewesen sei, wird nicht als historische Ansicht, sondern als ein zweckmässig fingirtes Schema gemeint, welches der Absicht dienen soll, jenen Begriff in die zukünftige Wirklichkeit zu übertragen. Die- selbe Fiction wird allerdings erleichtert durch die Vorstel- lung, dass ein Allgemein-Menschliches als Kern in allen sonderbaren Gebräuchen und Formen enthalten sei, und dass die bewusste Auffassung desselben mit demjenigen sich decke, was die Vernunft auch ohne alle Erfahrung denken und be- greifen müsse. "Ius gentium war thatsächlich die Summe der gemeinsamen Bestandtheile in den Gewohnheiten der alten italischen Stämme, denn sie waren "alle Nationen", welche die Römer in der Lage waren zu beobachten und welche von Zeit zu Zeit Schwärme von Einwanderern auf römischen Boden entsandten. So oft als gesehen wurde, dass ein be- sonderer Brauch in gemeinsamer Uebung sich fand bei einer grossen Zahl getrennter Völkerschaften, so ward derselbe gebucht als Theil des Rechtes, das allen Nationen gemein sei, des Ius gentium. Also, obgleich die Uebertragung von Eigenthum sicherlich in den zahlreichen Republiken, welche Rom umgaben, sehr verschiedene Formen angenommen hatte, so war doch die eigentliche Uebergabe (Tradition) des Gegenstandes, der übertragen werden sollte, ein Theil des Ceremoniells in allen [und schien, füge ich hinzu, allein das Wesen der Sache darzustellen] .... diese wurde folg- lich aufgefasst als Institution des gemeinen Rechtes" (H. Maine A. L. p. 49). Allerdings aber, auch wenn die Uebersicht der Erfahrung weiter ging und über die höher ausgebildeten griechischen Rechtssysteme sich erstreckte, so wurden die Thatsachen der mannigfachen Contracte als Kauf, Miethe, Depositum, Mandat, ebenso wie die Institutionen der Ehe, der Vormundschaft u. s. w., wenn auch in bunten Verkleidungen, in allen entdeckt; mithin das Gerüste der entsprechenden Rechtsformen als allgemein und nothwendig erkannt.
§ 17.
Folglich schloss man: dies sei das Wesentliche, dass alle Menschen mit einander handeln und Verhältnisse
der Vergangenheit könnte gesetzt werden. Dass es zu ir- gend einer Zeit wirklich gewesen sei, wird nicht als historische Ansicht, sondern als ein zweckmässig fingirtes Schema gemeint, welches der Absicht dienen soll, jenen Begriff in die zukünftige Wirklichkeit zu übertragen. Die- selbe Fiction wird allerdings erleichtert durch die Vorstel- lung, dass ein Allgemein-Menschliches als Kern in allen sonderbaren Gebräuchen und Formen enthalten sei, und dass die bewusste Auffassung desselben mit demjenigen sich decke, was die Vernunft auch ohne alle Erfahrung denken und be- greifen müsse. »Ius gentium war thatsächlich die Summe der gemeinsamen Bestandtheile in den Gewohnheiten der alten italischen Stämme, denn sie waren »alle Nationen«, welche die Römer in der Lage waren zu beobachten und welche von Zeit zu Zeit Schwärme von Einwanderern auf römischen Boden entsandten. So oft als gesehen wurde, dass ein be- sonderer Brauch in gemeinsamer Uebung sich fand bei einer grossen Zahl getrennter Völkerschaften, so ward derselbe gebucht als Theil des Rechtes, das allen Nationen gemein sei, des Ius gentium. Also, obgleich die Uebertragung von Eigenthum sicherlich in den zahlreichen Republiken, welche Rom umgaben, sehr verschiedene Formen angenommen hatte, so war doch die eigentliche Uebergabe (Tradition) des Gegenstandes, der übertragen werden sollte, ein Theil des Ceremoniells in allen [und schien, füge ich hinzu, allein das Wesen der Sache darzustellen] .... diese wurde folg- lich aufgefasst als Institution des gemeinen Rechtes« (H. Maine A. L. p. 49). Allerdings aber, auch wenn die Uebersicht der Erfahrung weiter ging und über die höher ausgebildeten griechischen Rechtssysteme sich erstreckte, so wurden die Thatsachen der mannigfachen Contracte als Kauf, Miethe, Depositum, Mandat, ebenso wie die Institutionen der Ehe, der Vormundschaft u. s. w., wenn auch in bunten Verkleidungen, in allen entdeckt; mithin das Gerüste der entsprechenden Rechtsformen als allgemein und nothwendig erkannt.
§ 17.
Folglich schloss man: dies sei das Wesentliche, dass alle Menschen mit einander handeln und Verhältnisse
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der Vergangenheit könnte gesetzt werden. Dass es zu ir-
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Schema gemeint, welches der Absicht dienen soll, jenen
Begriff in die zukünftige Wirklichkeit zu übertragen. Die-
selbe Fiction wird allerdings erleichtert durch die Vorstel-
lung, dass ein Allgemein-Menschliches als Kern in allen
sonderbaren Gebräuchen und Formen enthalten sei, und dass
die bewusste Auffassung desselben mit demjenigen sich decke,
was die Vernunft auch ohne alle Erfahrung denken und be-
greifen müsse. »Ius gentium war thatsächlich die Summe der
gemeinsamen Bestandtheile in den Gewohnheiten der alten
italischen Stämme, denn sie waren »alle Nationen«, welche
die Römer in der Lage waren zu beobachten und welche
von Zeit zu Zeit Schwärme von Einwanderern auf römischen
Boden entsandten. So oft als gesehen wurde, dass ein be-
sonderer Brauch in gemeinsamer Uebung sich fand bei einer
grossen Zahl getrennter Völkerschaften, so ward derselbe
gebucht als Theil des Rechtes, das allen Nationen gemein
sei, des Ius gentium. Also, obgleich die Uebertragung von
Eigenthum sicherlich in den zahlreichen Republiken, welche
Rom umgaben, sehr verschiedene Formen angenommen
hatte, so war doch die eigentliche Uebergabe (Tradition)
des Gegenstandes, der übertragen werden sollte, ein Theil
des Ceremoniells in allen [und schien, füge ich hinzu, allein
das Wesen der Sache darzustellen] .... diese wurde folg-
lich aufgefasst als Institution des gemeinen Rechtes« (H. Maine
A. L. p. 49). Allerdings aber, auch wenn die Uebersicht
der Erfahrung weiter ging und über die höher ausgebildeten
griechischen Rechtssysteme sich erstreckte, so wurden die
Thatsachen der mannigfachen Contracte als Kauf, Miethe,
Depositum, Mandat, ebenso wie die Institutionen der Ehe, der
Vormundschaft u. s. w., wenn auch in bunten Verkleidungen,
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/274>, abgerufen am 19.11.2024.
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