Erwa[unleserliches Material - 1 Zeichen fehlt]e nur der Zeit: So wirst du schon erblicken Die Sonn der schönsten Freud.
Die Natur hat nun auf dis Jahr ihre Arbeit meistens für uns vollendet. Sie fängt nun an, sich auszuruhen, wie ein vierzigjähriger Mensch. Sie wird merklich ernsthafter. Statt jugendliches Lichtgrün wälet sie sittsame dunkle Farben zu ihrem Gewande. Die Nachtigall schweigt, die Spaziergänge werden, der Hitze wegen, beschwerlich, der arbeitende Landmann mähet die Blumen einiger Wiesen hinweg, und ergreift schon die Sichel zur Wintergerste. -- Ein Bild des menschlichen Lebens! Wo es auch unnatürlich ist, im Sommer des Lebens tändeln und nicht arbeiten zu wollen.
Mein Gott! deine Sonne bescheinet jetzt fast alle meine Handlungen: ach! daß ich doch keine Werke der Finsterniß aus- übte! Von nun an nehmen die Tage, wiewol unmerklich ab: mögte ich doch bedenken, daß die Tage meines Lebens beständig unvermerkt abnehmen, und daß mein Gang zu deinem Gerichts- stule mit jedem Abend kürzer wird! Du segensreicher Gott über- strömest uns jetzt mit Wohlthun: aber das alles ist doch nur eine Kleinigkeit gegen die Fülle deiner Gnade, welche du uns in Christo anbeutst! Er ist die Sonne der Gerechtigkeit, und ge- het niemals unter. Jedes finstre und kalte Herz kan von ihm erleuchtet, und zur Tugend belebet werden. Ach! mein Helland! ohne dich bin ich todt, und alles ist dunkel und Winter um mich. Laß deine Gnade gegen mich Sünder nicht abnehmen, und werde des Erbarmens und Sündevergebens nicht müde! Jch bereue abermals meine Kälte gegen dich und meine Trägheit im Guten: o! wäre doch meine Dankbarkeit feuriger; denn meine Tage nehmen ab, und im Tode gedenket man deiner nicht! Wer wird in der langen Nacht des Grabes erst anfangen, dir zu danken?
Der
Der 21te Junius.
Erwa[unleserliches Material – 1 Zeichen fehlt]e nur der Zeit: So wirſt du ſchon erblicken Die Sonn der ſchoͤnſten Freud.
Die Natur hat nun auf dis Jahr ihre Arbeit meiſtens fuͤr uns vollendet. Sie faͤngt nun an, ſich auszuruhen, wie ein vierzigjaͤhriger Menſch. Sie wird merklich ernſthafter. Statt jugendliches Lichtgruͤn waͤlet ſie ſittſame dunkle Farben zu ihrem Gewande. Die Nachtigall ſchweigt, die Spaziergaͤnge werden, der Hitze wegen, beſchwerlich, der arbeitende Landmann maͤhet die Blumen einiger Wieſen hinweg, und ergreift ſchon die Sichel zur Wintergerſte. — Ein Bild des menſchlichen Lebens! Wo es auch unnatuͤrlich iſt, im Sommer des Lebens taͤndeln und nicht arbeiten zu wollen.
Mein Gott! deine Sonne beſcheinet jetzt faſt alle meine Handlungen: ach! daß ich doch keine Werke der Finſterniß aus- uͤbte! Von nun an nehmen die Tage, wiewol unmerklich ab: moͤgte ich doch bedenken, daß die Tage meines Lebens beſtaͤndig unvermerkt abnehmen, und daß mein Gang zu deinem Gerichts- ſtule mit jedem Abend kuͤrzer wird! Du ſegensreicher Gott uͤber- ſtroͤmeſt uns jetzt mit Wohlthun: aber das alles iſt doch nur eine Kleinigkeit gegen die Fuͤlle deiner Gnade, welche du uns in Chriſto anbeutſt! Er iſt die Sonne der Gerechtigkeit, und ge- het niemals unter. Jedes finſtre und kalte Herz kan von ihm erleuchtet, und zur Tugend belebet werden. Ach! mein Helland! ohne dich bin ich todt, und alles iſt dunkel und Winter um mich. Laß deine Gnade gegen mich Suͤnder nicht abnehmen, und werde des Erbarmens und Suͤndevergebens nicht muͤde! Jch bereue abermals meine Kaͤlte gegen dich und meine Traͤgheit im Guten: o! waͤre doch meine Dankbarkeit feuriger; denn meine Tage nehmen ab, und im Tode gedenket man deiner nicht! Wer wird in der langen Nacht des Grabes erſt anfangen, dir zu danken?
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Die Natur hat nun auf dis Jahr ihre Arbeit meiſtens fuͤr
uns vollendet. Sie faͤngt nun an, ſich auszuruhen, wie ein
vierzigjaͤhriger Menſch. Sie wird merklich ernſthafter. Statt
jugendliches Lichtgruͤn waͤlet ſie ſittſame dunkle Farben zu ihrem
Gewande. Die Nachtigall ſchweigt, die Spaziergaͤnge werden,
der Hitze wegen, beſchwerlich, der arbeitende Landmann maͤhet
die Blumen einiger Wieſen hinweg, und ergreift ſchon die Sichel
zur Wintergerſte. — Ein Bild des menſchlichen Lebens! Wo
es auch unnatuͤrlich iſt, im Sommer des Lebens taͤndeln und nicht
arbeiten zu wollen.
Mein Gott! deine Sonne beſcheinet jetzt faſt alle meine
Handlungen: ach! daß ich doch keine Werke der Finſterniß aus-
uͤbte! Von nun an nehmen die Tage, wiewol unmerklich ab:
moͤgte ich doch bedenken, daß die Tage meines Lebens beſtaͤndig
unvermerkt abnehmen, und daß mein Gang zu deinem Gerichts-
ſtule mit jedem Abend kuͤrzer wird! Du ſegensreicher Gott uͤber-
ſtroͤmeſt uns jetzt mit Wohlthun: aber das alles iſt doch nur
eine Kleinigkeit gegen die Fuͤlle deiner Gnade, welche du uns in
Chriſto anbeutſt! Er iſt die Sonne der Gerechtigkeit, und ge-
het niemals unter. Jedes finſtre und kalte Herz kan von ihm
erleuchtet, und zur Tugend belebet werden. Ach! mein Helland!
ohne dich bin ich todt, und alles iſt dunkel und Winter um mich.
Laß deine Gnade gegen mich Suͤnder nicht abnehmen, und werde
des Erbarmens und Suͤndevergebens nicht muͤde! Jch bereue
abermals meine Kaͤlte gegen dich und meine Traͤgheit im Guten:
o! waͤre doch meine Dankbarkeit feuriger; denn meine Tage
nehmen ab, und im Tode gedenket man deiner nicht! Wer
wird in der langen Nacht des Grabes erſt anfangen, dir zu
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 358[388]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/395>, abgerufen am 30.12.2024.
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