Was für Erkentnisse! Für köstliche Gedanken! Unzählbar sind sie mir; Denn sie sind ohne Schranken! Mit Ehrfurcht will ich stets Auf dich, mein Schöpfer! sehn; Dir folgen, und dein Lob, So gut ich kan, erhöhn.
Dis ist der längste Tag im Jahre, und je weiter gegen Norden, desto länger ist er. Länder in heissen Erdstrichen bedurften zur Fruchtbarkeit keines so lang anhaltenden Sonnen- scheins; ihnen war mehr mit der Kühlung der Nächte gedient. Der Schöpfer gab jedem das Beste: ihnen also beständige Tag- und Nachtgleiche. Könten Menschen den Bau der Welt ver- rücken: (sie thäten es gewiß, wenn Gott ihnen die Macht dazu gegeben hätte!) so würde das grosse Uhrwerk bald stocken, und die Kreatur umkommen. Der Allweise sah an alles was er gemacht hatte, und siehe da: es war alles sehr gut. Es hat Thoren gegeben, welche sagten: es sey alles ein blinder Zufall und die Welt nicht des Aufenthalts werth.
Jndem wir uns heute des längsten Tages erfreuen: so seuf- zen unsre Gegenfüßler über die Länge der Nacht. Jedoch, wir brauchen uns des Sonnenscheins wegen nicht untereinander zu beneiden: denn, wenn alle Völker der Erde das Jahr zusammen- rechnen, so haben sie gleich viel Antheil daran. Jede Gegend wird vier tausend, drei hundert und drei und achzig Stunden lang oder die Hälfte des Jahres durch beschienen. Warnende Lehre für dich, mein Herz! daß du bei trüben Tagen nicht neidisch auf andre schielen, dich nicht über Gewalt und Unrecht beschweren solst!
Er-
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Der 21te Junius.
Was fuͤr Erkentniſſe! Fuͤr koͤſtliche Gedanken! Unzaͤhlbar ſind ſie mir; Denn ſie ſind ohne Schranken! Mit Ehrfurcht will ich ſtets Auf dich, mein Schoͤpfer! ſehn; Dir folgen, und dein Lob, So gut ich kan, erhoͤhn.
Dis iſt der laͤngſte Tag im Jahre, und je weiter gegen Norden, deſto laͤnger iſt er. Laͤnder in heiſſen Erdſtrichen bedurften zur Fruchtbarkeit keines ſo lang anhaltenden Sonnen- ſcheins; ihnen war mehr mit der Kuͤhlung der Naͤchte gedient. Der Schoͤpfer gab jedem das Beſte: ihnen alſo beſtaͤndige Tag- und Nachtgleiche. Koͤnten Menſchen den Bau der Welt ver- ruͤcken: (ſie thaͤten es gewiß, wenn Gott ihnen die Macht dazu gegeben haͤtte!) ſo wuͤrde das groſſe Uhrwerk bald ſtocken, und die Kreatur umkommen. Der Allweiſe ſah an alles was er gemacht hatte, und ſiehe da: es war alles ſehr gut. Es hat Thoren gegeben, welche ſagten: es ſey alles ein blinder Zufall und die Welt nicht des Aufenthalts werth.
Jndem wir uns heute des laͤngſten Tages erfreuen: ſo ſeuf- zen unſre Gegenfuͤßler uͤber die Laͤnge der Nacht. Jedoch, wir brauchen uns des Sonnenſcheins wegen nicht untereinander zu beneiden: denn, wenn alle Voͤlker der Erde das Jahr zuſammen- rechnen, ſo haben ſie gleich viel Antheil daran. Jede Gegend wird vier tauſend, drei hundert und drei und achzig Stunden lang oder die Haͤlfte des Jahres durch beſchienen. Warnende Lehre fuͤr dich, mein Herz! daß du bei truͤben Tagen nicht neidiſch auf andre ſchielen, dich nicht uͤber Gewalt und Unrecht beſchweren ſolſt!
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[357[387]/0394]
Der 21te Junius.
Was fuͤr Erkentniſſe!
Fuͤr koͤſtliche Gedanken!
Unzaͤhlbar ſind ſie mir;
Denn ſie ſind ohne Schranken!
Mit Ehrfurcht will ich ſtets
Auf dich, mein Schoͤpfer! ſehn;
Dir folgen, und dein Lob,
So gut ich kan, erhoͤhn.
Dis iſt der laͤngſte Tag im Jahre, und je weiter gegen
Norden, deſto laͤnger iſt er. Laͤnder in heiſſen Erdſtrichen
bedurften zur Fruchtbarkeit keines ſo lang anhaltenden Sonnen-
ſcheins; ihnen war mehr mit der Kuͤhlung der Naͤchte gedient.
Der Schoͤpfer gab jedem das Beſte: ihnen alſo beſtaͤndige Tag-
und Nachtgleiche. Koͤnten Menſchen den Bau der Welt ver-
ruͤcken: (ſie thaͤten es gewiß, wenn Gott ihnen die Macht dazu
gegeben haͤtte!) ſo wuͤrde das groſſe Uhrwerk bald ſtocken, und
die Kreatur umkommen. Der Allweiſe ſah an alles was er
gemacht hatte, und ſiehe da: es war alles ſehr gut. Es hat
Thoren gegeben, welche ſagten: es ſey alles ein blinder Zufall
und die Welt nicht des Aufenthalts werth.
Jndem wir uns heute des laͤngſten Tages erfreuen: ſo ſeuf-
zen unſre Gegenfuͤßler uͤber die Laͤnge der Nacht. Jedoch, wir
brauchen uns des Sonnenſcheins wegen nicht untereinander zu
beneiden: denn, wenn alle Voͤlker der Erde das Jahr zuſammen-
rechnen, ſo haben ſie gleich viel Antheil daran. Jede Gegend
wird vier tauſend, drei hundert und drei und achzig Stunden lang
oder die Haͤlfte des Jahres durch beſchienen. Warnende Lehre
fuͤr dich, mein Herz! daß du bei truͤben Tagen nicht neidiſch auf
andre ſchielen, dich nicht uͤber Gewalt und Unrecht beſchweren
ſolſt!
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 357[387]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/394>, abgerufen am 21.11.2024.
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