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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 23te Mai.
Für Geister nur, und nur für Seelen,
Die zu den Geistern Gott erhob.
Sind Welten herrlich. Sie erzählen
Nur ihnen meines Schöpfers Lob.
O Seele! jauchze, daß der Ruf
Der Allmacht dich zum Geiste schuf!


Sehr viele Thiere setzen mich durch ihre Künste sich zu erhal-
ten, zu wehren, einander zu überlisten, in Bewunderung
und Nachdenken. Solten ihre Seelen nicht werth seyn, daß sie
vom Allgütigen erhalten, folglich nicht vernichtet würden? Es
wäre verwegen, einen richterlichen Ausspruch hierin zu thun. Aber
wahrscheinlich wird es durch die Vernunft, daß Gott sie erhalten
werde. Und selbst die heilige Schrift scheinet diese Vermuthung
zu bestätigen, wenn sie sagt: daß die Kreatur frei werden solle
von ihrer ängstlichen Arbeit, womit sie von Menschen beleget wird.
Wie also auf einer Seite die Menschen zu leichtsinnig denken,
wenn sie die Thiere wie blosses Spielzeug für sich ansehen: so han-
deln andre dagegen höchst unverantwortlich, wenn sie die Seelen
der unvernünftigen Geschöpfe mit unsern Geistern in Eine Klasse
setzen, und daraus gefährliche Folgen für Tugend und Religion
erzwingen wollen. Der Vorzug unsrer Geister vor den
Seelen der Thiere
ist augenscheinlich groß.

Alle Thiere haben enge Schranken, in denen sie sind und
bleiben: der Mensch hingegen dringet mit seinem Verstande im-
mer weiter. Sie bauen ihre Nester und Höhlen noch wie zu
Adams Zeiten: wir aber haben Gebüsche und Felsenklüfte mit
Häusern und Pallästen vertauscht. Wir empfinden, machen Ent-
deckungen, erleichtern uns die Arbeit und verfeinern unsre Be-

quem-
T 5


Der 23te Mai.
Fuͤr Geiſter nur, und nur fuͤr Seelen,
Die zu den Geiſtern Gott erhob.
Sind Welten herrlich. Sie erzaͤhlen
Nur ihnen meines Schoͤpfers Lob.
O Seele! jauchze, daß der Ruf
Der Allmacht dich zum Geiſte ſchuf!


Sehr viele Thiere ſetzen mich durch ihre Kuͤnſte ſich zu erhal-
ten, zu wehren, einander zu uͤberliſten, in Bewunderung
und Nachdenken. Solten ihre Seelen nicht werth ſeyn, daß ſie
vom Allguͤtigen erhalten, folglich nicht vernichtet wuͤrden? Es
waͤre verwegen, einen richterlichen Ausſpruch hierin zu thun. Aber
wahrſcheinlich wird es durch die Vernunft, daß Gott ſie erhalten
werde. Und ſelbſt die heilige Schrift ſcheinet dieſe Vermuthung
zu beſtaͤtigen, wenn ſie ſagt: daß die Kreatur frei werden ſolle
von ihrer aͤngſtlichen Arbeit, womit ſie von Menſchen beleget wird.
Wie alſo auf einer Seite die Menſchen zu leichtſinnig denken,
wenn ſie die Thiere wie bloſſes Spielzeug fuͤr ſich anſehen: ſo han-
deln andre dagegen hoͤchſt unverantwortlich, wenn ſie die Seelen
der unvernuͤnftigen Geſchoͤpfe mit unſern Geiſtern in Eine Klaſſe
ſetzen, und daraus gefaͤhrliche Folgen fuͤr Tugend und Religion
erzwingen wollen. Der Vorzug unſrer Geiſter vor den
Seelen der Thiere
iſt augenſcheinlich groß.

Alle Thiere haben enge Schranken, in denen ſie ſind und
bleiben: der Menſch hingegen dringet mit ſeinem Verſtande im-
mer weiter. Sie bauen ihre Neſter und Hoͤhlen noch wie zu
Adams Zeiten: wir aber haben Gebuͤſche und Felſenkluͤfte mit
Haͤuſern und Pallaͤſten vertauſcht. Wir empfinden, machen Ent-
deckungen, erleichtern uns die Arbeit und verfeinern unſre Be-

quem-
T 5
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[297[327]/0334] Der 23te Mai. Fuͤr Geiſter nur, und nur fuͤr Seelen, Die zu den Geiſtern Gott erhob. Sind Welten herrlich. Sie erzaͤhlen Nur ihnen meines Schoͤpfers Lob. O Seele! jauchze, daß der Ruf Der Allmacht dich zum Geiſte ſchuf! Sehr viele Thiere ſetzen mich durch ihre Kuͤnſte ſich zu erhal- ten, zu wehren, einander zu uͤberliſten, in Bewunderung und Nachdenken. Solten ihre Seelen nicht werth ſeyn, daß ſie vom Allguͤtigen erhalten, folglich nicht vernichtet wuͤrden? Es waͤre verwegen, einen richterlichen Ausſpruch hierin zu thun. Aber wahrſcheinlich wird es durch die Vernunft, daß Gott ſie erhalten werde. Und ſelbſt die heilige Schrift ſcheinet dieſe Vermuthung zu beſtaͤtigen, wenn ſie ſagt: daß die Kreatur frei werden ſolle von ihrer aͤngſtlichen Arbeit, womit ſie von Menſchen beleget wird. Wie alſo auf einer Seite die Menſchen zu leichtſinnig denken, wenn ſie die Thiere wie bloſſes Spielzeug fuͤr ſich anſehen: ſo han- deln andre dagegen hoͤchſt unverantwortlich, wenn ſie die Seelen der unvernuͤnftigen Geſchoͤpfe mit unſern Geiſtern in Eine Klaſſe ſetzen, und daraus gefaͤhrliche Folgen fuͤr Tugend und Religion erzwingen wollen. Der Vorzug unſrer Geiſter vor den Seelen der Thiere iſt augenſcheinlich groß. Alle Thiere haben enge Schranken, in denen ſie ſind und bleiben: der Menſch hingegen dringet mit ſeinem Verſtande im- mer weiter. Sie bauen ihre Neſter und Hoͤhlen noch wie zu Adams Zeiten: wir aber haben Gebuͤſche und Felſenkluͤfte mit Haͤuſern und Pallaͤſten vertauſcht. Wir empfinden, machen Ent- deckungen, erleichtern uns die Arbeit und verfeinern unſre Be- quem- T 5

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 297[327]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/334>, abgerufen am 21.11.2024.