Gott sieht mit gleichem Aug', als Schöpfer überall; Hier eines Adlers Brut, dort eines Sperlings Fall.
Wenn ich den Verheissungen deiner Offenbarung nicht trauen will, dann stellest du mir, o Gott! so viele Beweise in der Natur auf, daß jederzeit mein Unglaube beschämet wird. Die abgemeßne Erhaltung jeder Thierart beweiset dei- ne allgemeine Vorsehung.
Keine Thierart stirbt gänzlich aus, und wenn sie auch Men- schen, Elemente und viele andre Thiere zu erklärten Feinden hätte. Alle Gattungen, die vor Adam vorübergingen, und ihren Na- men erhielten, sind noch vorhanden. Jst das ein blindes Ohn- gefehr? Es gehöret die genaueste Abmessung und höchste Weis- heit dazu, wenn kein Thiergeschlecht die Oberhand über seine Ne- benbuhler oder natürliche Gegner erhalten soll. Man bedenke nur, wie wenig wir Menschen hiebei thun können, die wir zwar einzelne Thiere, aber nicht ganze Geschlechter tödten oder erhal- ten mögen. Wenn die Fluren mit Feldmäusen erst bedeckt sind, dann können wir nur seufzen oder beten. Wer kan diese frucht- bare Völkerschaften wieder ausrotten? und fünf Jahre dürften sie nur unausgerottet bleiben: dann stürben die Menschen hungers. So sind auch Heuschrecken, Raupen, und andre schädliche Thiere, den Menschen unvertilgbar; ja, unsre Vorkehrungen sind mei- stens Aeckern und Bäumen sehr schädlich. Nur Gott kan aus- rotten, ohne schädliche Folgen, und ohne daß man begreifen kan wie?
Nehmt drei Jahre an, in welchen hintereinander alle Ge- schöpfe leben blieben, welche in diesem Monat ausschliefen oder das Leben erhalten; oder daß von jeder Gattung gleichviel Brut darauf gehe: so sind wir nach solchen drei Jahren höchst unglücklich.
Es
R 5
Der 7te Mai.
Gott ſieht mit gleichem Aug’, als Schoͤpfer uͤberall; Hier eines Adlers Brut, dort eines Sperlings Fall.
Wenn ich den Verheiſſungen deiner Offenbarung nicht trauen will, dann ſtelleſt du mir, o Gott! ſo viele Beweiſe in der Natur auf, daß jederzeit mein Unglaube beſchaͤmet wird. Die abgemeßne Erhaltung jeder Thierart beweiſet dei- ne allgemeine Vorſehung.
Keine Thierart ſtirbt gaͤnzlich aus, und wenn ſie auch Men- ſchen, Elemente und viele andre Thiere zu erklaͤrten Feinden haͤtte. Alle Gattungen, die vor Adam voruͤbergingen, und ihren Na- men erhielten, ſind noch vorhanden. Jſt das ein blindes Ohn- gefehr? Es gehoͤret die genaueſte Abmeſſung und hoͤchſte Weis- heit dazu, wenn kein Thiergeſchlecht die Oberhand uͤber ſeine Ne- benbuhler oder natuͤrliche Gegner erhalten ſoll. Man bedenke nur, wie wenig wir Menſchen hiebei thun koͤnnen, die wir zwar einzelne Thiere, aber nicht ganze Geſchlechter toͤdten oder erhal- ten moͤgen. Wenn die Fluren mit Feldmaͤuſen erſt bedeckt ſind, dann koͤnnen wir nur ſeufzen oder beten. Wer kan dieſe frucht- bare Voͤlkerſchaften wieder ausrotten? und fuͤnf Jahre duͤrften ſie nur unausgerottet bleiben: dann ſtuͤrben die Menſchen hungers. So ſind auch Heuſchrecken, Raupen, und andre ſchaͤdliche Thiere, den Menſchen unvertilgbar; ja, unſre Vorkehrungen ſind mei- ſtens Aeckern und Baͤumen ſehr ſchaͤdlich. Nur Gott kan aus- rotten, ohne ſchaͤdliche Folgen, und ohne daß man begreifen kan wie?
Nehmt drei Jahre an, in welchen hintereinander alle Ge- ſchoͤpfe leben blieben, welche in dieſem Monat ausſchliefen oder das Leben erhalten; oder daß von jeder Gattung gleichviel Brut darauf gehe: ſo ſind wir nach ſolchen drei Jahren hoͤchſt ungluͤcklich.
Es
R 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0302"n="265[295]"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Der 7<hirendition="#sup">te</hi> Mai.</hi></head><lb/><lgtype="poem"><l><hirendition="#in">G</hi>ott ſieht mit gleichem Aug’, als Schoͤpfer uͤberall;</l><lb/><l>Hier eines Adlers Brut, dort eines Sperlings Fall.</l></lg><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">W</hi>enn ich den Verheiſſungen deiner Offenbarung nicht trauen<lb/>
will, dann ſtelleſt du mir, o Gott! ſo viele Beweiſe in<lb/>
der Natur auf, daß jederzeit mein Unglaube beſchaͤmet wird.<lb/><hirendition="#fr">Die abgemeßne Erhaltung jeder Thierart</hi> beweiſet dei-<lb/>
ne allgemeine Vorſehung.</p><lb/><p>Keine Thierart ſtirbt gaͤnzlich aus, und wenn ſie auch Men-<lb/>ſchen, Elemente und viele andre Thiere zu erklaͤrten Feinden haͤtte.<lb/>
Alle Gattungen, die vor Adam voruͤbergingen, und ihren Na-<lb/>
men erhielten, ſind noch vorhanden. Jſt das ein blindes Ohn-<lb/>
gefehr? Es gehoͤret die genaueſte Abmeſſung und hoͤchſte Weis-<lb/>
heit dazu, wenn kein Thiergeſchlecht die Oberhand uͤber ſeine Ne-<lb/>
benbuhler oder natuͤrliche Gegner erhalten ſoll. Man bedenke<lb/>
nur, wie wenig wir Menſchen hiebei thun koͤnnen, die wir zwar<lb/>
einzelne Thiere, aber nicht ganze Geſchlechter toͤdten oder erhal-<lb/>
ten moͤgen. Wenn die Fluren mit Feldmaͤuſen erſt bedeckt ſind,<lb/>
dann koͤnnen wir nur ſeufzen oder beten. Wer kan dieſe frucht-<lb/>
bare Voͤlkerſchaften wieder ausrotten? und fuͤnf Jahre duͤrften<lb/>ſie nur unausgerottet bleiben: dann ſtuͤrben die Menſchen hungers.<lb/>
So ſind auch Heuſchrecken, Raupen, und andre ſchaͤdliche Thiere,<lb/>
den Menſchen unvertilgbar; ja, unſre Vorkehrungen ſind mei-<lb/>ſtens Aeckern und Baͤumen ſehr ſchaͤdlich. Nur Gott kan aus-<lb/>
rotten, ohne ſchaͤdliche Folgen, und ohne daß man begreifen kan wie?</p><lb/><p>Nehmt drei Jahre an, in welchen hintereinander alle Ge-<lb/>ſchoͤpfe leben blieben, welche in dieſem Monat ausſchliefen oder<lb/>
das Leben erhalten; oder daß von jeder Gattung gleichviel Brut<lb/>
darauf gehe: ſo ſind wir nach ſolchen drei Jahren hoͤchſt ungluͤcklich.<lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Es</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[265[295]/0302]
Der 7te Mai.
Gott ſieht mit gleichem Aug’, als Schoͤpfer uͤberall;
Hier eines Adlers Brut, dort eines Sperlings Fall.
Wenn ich den Verheiſſungen deiner Offenbarung nicht trauen
will, dann ſtelleſt du mir, o Gott! ſo viele Beweiſe in
der Natur auf, daß jederzeit mein Unglaube beſchaͤmet wird.
Die abgemeßne Erhaltung jeder Thierart beweiſet dei-
ne allgemeine Vorſehung.
Keine Thierart ſtirbt gaͤnzlich aus, und wenn ſie auch Men-
ſchen, Elemente und viele andre Thiere zu erklaͤrten Feinden haͤtte.
Alle Gattungen, die vor Adam voruͤbergingen, und ihren Na-
men erhielten, ſind noch vorhanden. Jſt das ein blindes Ohn-
gefehr? Es gehoͤret die genaueſte Abmeſſung und hoͤchſte Weis-
heit dazu, wenn kein Thiergeſchlecht die Oberhand uͤber ſeine Ne-
benbuhler oder natuͤrliche Gegner erhalten ſoll. Man bedenke
nur, wie wenig wir Menſchen hiebei thun koͤnnen, die wir zwar
einzelne Thiere, aber nicht ganze Geſchlechter toͤdten oder erhal-
ten moͤgen. Wenn die Fluren mit Feldmaͤuſen erſt bedeckt ſind,
dann koͤnnen wir nur ſeufzen oder beten. Wer kan dieſe frucht-
bare Voͤlkerſchaften wieder ausrotten? und fuͤnf Jahre duͤrften
ſie nur unausgerottet bleiben: dann ſtuͤrben die Menſchen hungers.
So ſind auch Heuſchrecken, Raupen, und andre ſchaͤdliche Thiere,
den Menſchen unvertilgbar; ja, unſre Vorkehrungen ſind mei-
ſtens Aeckern und Baͤumen ſehr ſchaͤdlich. Nur Gott kan aus-
rotten, ohne ſchaͤdliche Folgen, und ohne daß man begreifen kan wie?
Nehmt drei Jahre an, in welchen hintereinander alle Ge-
ſchoͤpfe leben blieben, welche in dieſem Monat ausſchliefen oder
das Leben erhalten; oder daß von jeder Gattung gleichviel Brut
darauf gehe: ſo ſind wir nach ſolchen drei Jahren hoͤchſt ungluͤcklich.
Es
R 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 265[295]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/302>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.