So füß ein Laster ist, So gibts doch keinen Frieden: Der Tugend nur allein Hat Gott dis Glück beschieden. Ein Mensch, der Gott gehorcht, Erwählt das beste Theil; Ein Mensch der Gott verläßt, Verläßt sein eignes Heil.
Könte man irgend einer Tugend aufbürden, daß sie den Men- schen so ungesund mache, als Trunkenheit, Rachgier und Geilheit; daß sie solche Verachtung zuziehe, als Geiz, Verläum- dung und Dieberei: oder daß sie solche Arbeit und Gefahren mit sich führe, als Ehrgeiz, Betrug und Tollkühnheit: alsdann würde man diejenigen auszischen, welche die Tugend liebenswerth und das Laster greulich schildern. So aber sind alle Laster, wenn sie am schönsten sind, ein übertünchtes Grab; von aussen gemahlte Blumen, inwendig Todengebein. Die Frucht von Tugend und Laster ist für den Tugendlehrer ein triftiges Argument.
Der Mensch soll noch geboren werden, der sterbend sagen könte: mich machten die Laster glücklich; sie vergnügten mein Le- ben und versüssen mir den Tod! Aber vieleicht hat das Weltmeer nicht so viel Tropfen, als schon aus den Augen der Lasterhaften geströmet sind. Es gibt ein Gift, welches erst dem Scheine nach zu lachen macht, und dann den Tod oder die schwerste Zufälle verursacht: dieser Art des Gifts sind alle Laster ähnlich. Anfangs Freude, das Ende Wehklagen. Und auch die kurze Freude des Lasters muß theuer erkauft werden. Ohne Gesundheit, Geld
und
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Der 30te Maͤrz.
So fuͤß ein Laſter iſt, So gibts doch keinen Frieden: Der Tugend nur allein Hat Gott dis Gluͤck beſchieden. Ein Menſch, der Gott gehorcht, Erwaͤhlt das beſte Theil; Ein Menſch der Gott verlaͤßt, Verlaͤßt ſein eignes Heil.
Koͤnte man irgend einer Tugend aufbuͤrden, daß ſie den Men- ſchen ſo ungeſund mache, als Trunkenheit, Rachgier und Geilheit; daß ſie ſolche Verachtung zuziehe, als Geiz, Verlaͤum- dung und Dieberei: oder daß ſie ſolche Arbeit und Gefahren mit ſich fuͤhre, als Ehrgeiz, Betrug und Tollkuͤhnheit: alsdann wuͤrde man diejenigen ausziſchen, welche die Tugend liebenswerth und das Laſter greulich ſchildern. So aber ſind alle Laſter, wenn ſie am ſchoͤnſten ſind, ein uͤbertuͤnchtes Grab; von auſſen gemahlte Blumen, inwendig Todengebein. Die Frucht von Tugend und Laſter iſt fuͤr den Tugendlehrer ein triftiges Argument.
Der Menſch ſoll noch geboren werden, der ſterbend ſagen koͤnte: mich machten die Laſter gluͤcklich; ſie vergnuͤgten mein Le- ben und verſuͤſſen mir den Tod! Aber vieleicht hat das Weltmeer nicht ſo viel Tropfen, als ſchon aus den Augen der Laſterhaften geſtroͤmet ſind. Es gibt ein Gift, welches erſt dem Scheine nach zu lachen macht, und dann den Tod oder die ſchwerſte Zufaͤlle verurſacht: dieſer Art des Gifts ſind alle Laſter aͤhnlich. Anfangs Freude, das Ende Wehklagen. Und auch die kurze Freude des Laſters muß theuer erkauft werden. Ohne Geſundheit, Geld
und
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[185[215]/0222]
Der 30te Maͤrz.
So fuͤß ein Laſter iſt,
So gibts doch keinen Frieden:
Der Tugend nur allein
Hat Gott dis Gluͤck beſchieden.
Ein Menſch, der Gott gehorcht,
Erwaͤhlt das beſte Theil;
Ein Menſch der Gott verlaͤßt,
Verlaͤßt ſein eignes Heil.
Koͤnte man irgend einer Tugend aufbuͤrden, daß ſie den Men-
ſchen ſo ungeſund mache, als Trunkenheit, Rachgier und
Geilheit; daß ſie ſolche Verachtung zuziehe, als Geiz, Verlaͤum-
dung und Dieberei: oder daß ſie ſolche Arbeit und Gefahren mit
ſich fuͤhre, als Ehrgeiz, Betrug und Tollkuͤhnheit: alsdann wuͤrde
man diejenigen ausziſchen, welche die Tugend liebenswerth und
das Laſter greulich ſchildern. So aber ſind alle Laſter, wenn ſie
am ſchoͤnſten ſind, ein uͤbertuͤnchtes Grab; von auſſen gemahlte
Blumen, inwendig Todengebein. Die Frucht von Tugend
und Laſter iſt fuͤr den Tugendlehrer ein triftiges Argument.
Der Menſch ſoll noch geboren werden, der ſterbend ſagen
koͤnte: mich machten die Laſter gluͤcklich; ſie vergnuͤgten mein Le-
ben und verſuͤſſen mir den Tod! Aber vieleicht hat das Weltmeer
nicht ſo viel Tropfen, als ſchon aus den Augen der Laſterhaften
geſtroͤmet ſind. Es gibt ein Gift, welches erſt dem Scheine nach
zu lachen macht, und dann den Tod oder die ſchwerſte Zufaͤlle
verurſacht: dieſer Art des Gifts ſind alle Laſter aͤhnlich. Anfangs
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 185[215]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/222>, abgerufen am 21.11.2024.
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