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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 23te Februar.
Sie gehn daher und irren, wie die Schatten,
Und hüten sich, sich Ruhe zu gestatten,
Und machen sich vergebne Pein.
Sie samlen stets, und werden endlich -- sterben;
Und wisseu nicht was künftig noch für Erben
Sich über ihre Schätze freun.


Wie manches besitze ich, was gewiß nicht für mich zubereitet
ward! Solten wir die Geschichte unsrer Häuser, Gärten
und Aecker nur seit einigen Jahrhunderten wissen, so würden uns
die ungewisse Erben derselben in Erstaunen setzen. Unsre
liegende Gründe sind Abentheurer; hätten sie Verstand: sie
würden sich öfters über die Blödsichtigkeit ihres Besitzers beklagen.
Mancher Acker, dessen gieriger Inhaber nicht hundertfältig genug
ernten kan, würde ihm zurufen: o Thor! ich habe vor fünf hun-
dert, vor tausend Jahren rechtschafne Familien ernährt, welche
von mir dankbar gen Himmel sahn: und du wilst nun verhun-
gern? Warlich, es wäre ein kleiner Roman, wenn man in einer
mittelmäßigen Stadt die Folge aller Besitzer von Häusern und
Gärten wüßte! Dieses da bauete vor Jahrhunderten ein ruhm-
süchtiger Mann, auf daß es nie von seiner vornehmen Familie
abhänden kommen solte: seine vornehme Familie aber liegt jetzt in
Spitäletn, oder wohnet zur Miethe; und die Nachkommen sei-
nes verachteten Bedienten bewohnen es. Jenen Garten legte ein
Weiser zur stillen Freude an, und jetzt nach dreißig Jahren raset
der Pöbel bei üppigen Tänzen darin. Wer wird deine jetzige
Perlen und Juwelen tragen, wann du nun Asche bist?

Sie sammlen und wissen nicht, wer es krtegen wird. Der
dritte, vierte Erbe wäre oft die bitterste Satyre auf einen Geiz-

hals


Der 23te Februar.
Sie gehn daher und irren, wie die Schatten,
Und huͤten ſich, ſich Ruhe zu geſtatten,
Und machen ſich vergebne Pein.
Sie ſamlen ſtets, und werden endlich — ſterben;
Und wiſſeu nicht was kuͤnftig noch fuͤr Erben
Sich uͤber ihre Schaͤtze freun.


Wie manches beſitze ich, was gewiß nicht fuͤr mich zubereitet
ward! Solten wir die Geſchichte unſrer Haͤuſer, Gaͤrten
und Aecker nur ſeit einigen Jahrhunderten wiſſen, ſo wuͤrden uns
die ungewiſſe Erben derſelben in Erſtaunen ſetzen. Unſre
liegende Gruͤnde ſind Abentheurer; haͤtten ſie Verſtand: ſie
wuͤrden ſich oͤfters uͤber die Bloͤdſichtigkeit ihres Beſitzers beklagen.
Mancher Acker, deſſen gieriger Inhaber nicht hundertfaͤltig genug
ernten kan, wuͤrde ihm zurufen: o Thor! ich habe vor fuͤnf hun-
dert, vor tauſend Jahren rechtſchafne Familien ernaͤhrt, welche
von mir dankbar gen Himmel ſahn: und du wilſt nun verhun-
gern? Warlich, es waͤre ein kleiner Roman, wenn man in einer
mittelmaͤßigen Stadt die Folge aller Beſitzer von Haͤuſern und
Gaͤrten wuͤßte! Dieſes da bauete vor Jahrhunderten ein ruhm-
ſuͤchtiger Mann, auf daß es nie von ſeiner vornehmen Familie
abhaͤnden kommen ſolte: ſeine vornehme Familie aber liegt jetzt in
Spitaͤletn, oder wohnet zur Miethe; und die Nachkommen ſei-
nes verachteten Bedienten bewohnen es. Jenen Garten legte ein
Weiſer zur ſtillen Freude an, und jetzt nach dreißig Jahren raſet
der Poͤbel bei uͤppigen Taͤnzen darin. Wer wird deine jetzige
Perlen und Juwelen tragen, wann du nun Aſche biſt?

Sie ſammlen und wiſſen nicht, wer es krtegen wird. Der
dritte, vierte Erbe waͤre oft die bitterſte Satyre auf einen Geiz-

hals
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[111[141]/0148] Der 23te Februar. Sie gehn daher und irren, wie die Schatten, Und huͤten ſich, ſich Ruhe zu geſtatten, Und machen ſich vergebne Pein. Sie ſamlen ſtets, und werden endlich — ſterben; Und wiſſeu nicht was kuͤnftig noch fuͤr Erben Sich uͤber ihre Schaͤtze freun. Wie manches beſitze ich, was gewiß nicht fuͤr mich zubereitet ward! Solten wir die Geſchichte unſrer Haͤuſer, Gaͤrten und Aecker nur ſeit einigen Jahrhunderten wiſſen, ſo wuͤrden uns die ungewiſſe Erben derſelben in Erſtaunen ſetzen. Unſre liegende Gruͤnde ſind Abentheurer; haͤtten ſie Verſtand: ſie wuͤrden ſich oͤfters uͤber die Bloͤdſichtigkeit ihres Beſitzers beklagen. Mancher Acker, deſſen gieriger Inhaber nicht hundertfaͤltig genug ernten kan, wuͤrde ihm zurufen: o Thor! ich habe vor fuͤnf hun- dert, vor tauſend Jahren rechtſchafne Familien ernaͤhrt, welche von mir dankbar gen Himmel ſahn: und du wilſt nun verhun- gern? Warlich, es waͤre ein kleiner Roman, wenn man in einer mittelmaͤßigen Stadt die Folge aller Beſitzer von Haͤuſern und Gaͤrten wuͤßte! Dieſes da bauete vor Jahrhunderten ein ruhm- ſuͤchtiger Mann, auf daß es nie von ſeiner vornehmen Familie abhaͤnden kommen ſolte: ſeine vornehme Familie aber liegt jetzt in Spitaͤletn, oder wohnet zur Miethe; und die Nachkommen ſei- nes verachteten Bedienten bewohnen es. Jenen Garten legte ein Weiſer zur ſtillen Freude an, und jetzt nach dreißig Jahren raſet der Poͤbel bei uͤppigen Taͤnzen darin. Wer wird deine jetzige Perlen und Juwelen tragen, wann du nun Aſche biſt? Sie ſammlen und wiſſen nicht, wer es krtegen wird. Der dritte, vierte Erbe waͤre oft die bitterſte Satyre auf einen Geiz- hals

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 111[141]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/148>, abgerufen am 21.11.2024.