Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Die verkehrte Welt. Siebente Scene. (Wirthshaus.) Der Wirth, Anne. Wirth. Von unserm Fremden haben wir doch gar nichts weiter gehört. Anne. Er war ein sehr uninteressanter Mensch. Wirth. Wußte dabei gar nichts einmal von den simpelsten dramatischen Regeln, verwunderte sich über alles. Es ist recht gut, daß er kein Fürst oder dergleichen war, denn da er die ars apoetica nicht studirt hatte, wäre er gewiß aus seinem Cha- rakter gefallen. Anne. Habt Ihr denn Euern Charakter auch daher, Vater? Wirth. Eigentlich wohl nicht, denn die Wirthe sind dort nicht namentlich mit aufgeführt; aber ich habe mir aus allen meinen Erfahrungen eine Art von Theorie zusammengesetzt, so daß ich nicht leicht irren kann. Anne. Wie fangt Ihrs nun an? Wirth. Das Hauptsächlichste, worauf ich zu sehn habe, ist, daß ich nicht unnatürlich werde; alles andre giebt sich schon eher. Ich muß also allen Schwulst vermeiden, alle poetischen Ausdrücke, ich darf nicht zu verständig sprechen. Anne. Also daran liegts? Hab ich doch im- mer nicht gewußt -- Die verkehrte Welt. Siebente Scene. (Wirthshaus.) Der Wirth, Anne. Wirth. Von unſerm Fremden haben wir doch gar nichts weiter gehoͤrt. Anne. Er war ein ſehr unintereſſanter Menſch. Wirth. Wußte dabei gar nichts einmal von den ſimpelſten dramatiſchen Regeln, verwunderte ſich uͤber alles. Es iſt recht gut, daß er kein Fuͤrſt oder dergleichen war, denn da er die ars apoetica nicht ſtudirt hatte, waͤre er gewiß aus ſeinem Cha- rakter gefallen. Anne. Habt Ihr denn Euern Charakter auch daher, Vater? Wirth. Eigentlich wohl nicht, denn die Wirthe ſind dort nicht namentlich mit aufgefuͤhrt; aber ich habe mir aus allen meinen Erfahrungen eine Art von Theorie zuſammengeſetzt, ſo daß ich nicht leicht irren kann. Anne. Wie fangt Ihrs nun an? Wirth. Das Hauptſaͤchlichſte, worauf ich zu ſehn habe, iſt, daß ich nicht unnatuͤrlich werde; alles andre giebt ſich ſchon eher. Ich muß alſo allen Schwulſt vermeiden, alle poetiſchen Ausdruͤcke, ich darf nicht zu verſtaͤndig ſprechen. Anne. Alſo daran liegts? Hab ich doch im- mer nicht gewußt — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0368" n="359"/> <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die verkehrte Welt</hi>.</fw><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Siebente Scene</hi>.</hi> </head><lb/> <stage> <hi rendition="#c">(<hi rendition="#g">Wirthshaus</hi>.)</hi> </stage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <stage> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Wirth, Anne</hi>.</hi> </stage><lb/> <sp who="#WIRTH"> <speaker><hi rendition="#g">Wirth</hi>.</speaker> <p>Von unſerm Fremden haben wir<lb/> doch gar nichts weiter gehoͤrt.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Er war ein ſehr unintereſſanter Menſch.</p> </sp><lb/> <sp who="#WIRTH"> <speaker><hi rendition="#g">Wirth</hi>.</speaker> <p>Wußte dabei gar nichts einmal von<lb/> den ſimpelſten dramatiſchen Regeln, verwunderte<lb/> ſich uͤber alles. Es iſt recht gut, daß er kein Fuͤrſt<lb/> oder dergleichen war, denn da er die <hi rendition="#aq">ars apoetica</hi><lb/> nicht ſtudirt hatte, waͤre er gewiß aus ſeinem Cha-<lb/> rakter gefallen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Habt Ihr denn Euern Charakter auch<lb/> daher, Vater?</p> </sp><lb/> <sp who="#WIRTH"> <speaker><hi rendition="#g">Wirth</hi>.</speaker> <p>Eigentlich wohl nicht, denn die<lb/> Wirthe ſind dort nicht namentlich mit aufgefuͤhrt;<lb/> aber ich habe mir aus allen meinen Erfahrungen<lb/> eine Art von Theorie zuſammengeſetzt, ſo daß ich<lb/> nicht leicht irren kann.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Wie fangt Ihrs nun an?</p> </sp><lb/> <sp who="#WIRTH"> <speaker><hi rendition="#g">Wirth</hi>.</speaker> <p>Das Hauptſaͤchlichſte, worauf ich zu<lb/> ſehn habe, iſt, daß ich nicht unnatuͤrlich werde;<lb/> alles andre giebt ſich ſchon eher. Ich muß alſo<lb/> allen Schwulſt vermeiden, alle poetiſchen Ausdruͤcke,<lb/> ich darf nicht zu verſtaͤndig ſprechen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANN"> <speaker><hi rendition="#g">Anne</hi>.</speaker> <p>Alſo daran liegts? Hab ich doch im-<lb/> mer nicht gewußt —</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [359/0368]
Die verkehrte Welt.
Siebente Scene.
(Wirthshaus.)
Der Wirth, Anne.
Wirth. Von unſerm Fremden haben wir
doch gar nichts weiter gehoͤrt.
Anne. Er war ein ſehr unintereſſanter Menſch.
Wirth. Wußte dabei gar nichts einmal von
den ſimpelſten dramatiſchen Regeln, verwunderte
ſich uͤber alles. Es iſt recht gut, daß er kein Fuͤrſt
oder dergleichen war, denn da er die ars apoetica
nicht ſtudirt hatte, waͤre er gewiß aus ſeinem Cha-
rakter gefallen.
Anne. Habt Ihr denn Euern Charakter auch
daher, Vater?
Wirth. Eigentlich wohl nicht, denn die
Wirthe ſind dort nicht namentlich mit aufgefuͤhrt;
aber ich habe mir aus allen meinen Erfahrungen
eine Art von Theorie zuſammengeſetzt, ſo daß ich
nicht leicht irren kann.
Anne. Wie fangt Ihrs nun an?
Wirth. Das Hauptſaͤchlichſte, worauf ich zu
ſehn habe, iſt, daß ich nicht unnatuͤrlich werde;
alles andre giebt ſich ſchon eher. Ich muß alſo
allen Schwulſt vermeiden, alle poetiſchen Ausdruͤcke,
ich darf nicht zu verſtaͤndig ſprechen.
Anne. Alſo daran liegts? Hab ich doch im-
mer nicht gewußt —
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