Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
16.
Eduard Burton an Mortimer.

Wie soll ich diesen Brief anfangen, mein Freund,
wie soll ich ihn endigen? -- Noch nie bin ich
auf diese Art erschüttert gewesen, noch nie so sehr
aller meiner Besinnung beraubt. Ich sitze hier
einsam auf meinem Zimmer und weine, und bin
noch immer erstarrt. -- Daß ich das erleben
mußte! -- Haben Sie Geduld mit mir, lieber Mor-
timer, ich kann mich noch immer nicht trösten.

Seit einigen Tagen hatte ich einen armen
Kranken in meinem Hause aufgenommen, der
mich durch einem meiner Leute um eine Frey-
stätte auf einige Tage hatte bitten lassen. Man
beschrieb ihn mir als so schwermüthig, und un-
glücklich daß ich mich lebhaft für ihn interessirte.

Ich ließ mir heute am Morgen, wie ge-
wöhnlich, ein Glas Wein vom Bedienten brin-
gen, er stellte es hin, und ich wollte eben zu
frühstücken anfangen, als der alte Willy plötz-
lich bleich und mit weinenden Augen herein-
stürzte, und mich beschwur den Wein nicht an-

16.
Eduard Burton an Mortimer.

Wie ſoll ich dieſen Brief anfangen, mein Freund,
wie ſoll ich ihn endigen? — Noch nie bin ich
auf dieſe Art erſchuͤttert geweſen, noch nie ſo ſehr
aller meiner Beſinnung beraubt. Ich ſitze hier
einſam auf meinem Zimmer und weine, und bin
noch immer erſtarrt. — Daß ich das erleben
mußte! — Haben Sie Geduld mit mir, lieber Mor-
timer, ich kann mich noch immer nicht troͤſten.

Seit einigen Tagen hatte ich einen armen
Kranken in meinem Hauſe aufgenommen, der
mich durch einem meiner Leute um eine Frey-
ſtaͤtte auf einige Tage hatte bitten laſſen. Man
beſchrieb ihn mir als ſo ſchwermuͤthig, und un-
gluͤcklich daß ich mich lebhaft fuͤr ihn intereſſirte.

Ich ließ mir heute am Morgen, wie ge-
woͤhnlich, ein Glas Wein vom Bedienten brin-
gen, er ſtellte es hin, und ich wollte eben zu
fruͤhſtuͤcken anfangen, als der alte Willy ploͤtz-
lich bleich und mit weinenden Augen herein-
ſtuͤrzte, und mich beſchwur den Wein nicht an-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0064" n="57"/>
        <div n="2">
          <head>16.<lb/><hi rendition="#g">Eduard Burton</hi> an <hi rendition="#g">Mortimer</hi>.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Bon&#x017F;treet</hi>.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>ie &#x017F;oll ich die&#x017F;en Brief anfangen, mein Freund,<lb/>
wie &#x017F;oll ich ihn endigen? &#x2014; Noch nie bin ich<lb/>
auf die&#x017F;e Art er&#x017F;chu&#x0364;ttert gewe&#x017F;en, noch nie &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
aller meiner Be&#x017F;innung beraubt. Ich &#x017F;itze hier<lb/>
ein&#x017F;am auf meinem Zimmer und weine, und bin<lb/>
noch immer er&#x017F;tarrt. &#x2014; Daß ich das erleben<lb/>
mußte! &#x2014; Haben Sie Geduld mit mir, lieber Mor-<lb/>
timer, ich kann mich noch immer nicht tro&#x0364;&#x017F;ten.</p><lb/>
          <p>Seit einigen Tagen hatte ich einen armen<lb/>
Kranken in meinem Hau&#x017F;e aufgenommen, der<lb/>
mich durch einem meiner Leute um eine Frey-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;tte auf einige Tage hatte bitten la&#x017F;&#x017F;en. Man<lb/>
be&#x017F;chrieb ihn mir als &#x017F;o &#x017F;chwermu&#x0364;thig, und un-<lb/>
glu&#x0364;cklich daß ich mich lebhaft fu&#x0364;r ihn intere&#x017F;&#x017F;irte.</p><lb/>
          <p>Ich ließ mir heute am Morgen, wie ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlich, ein Glas Wein vom Bedienten brin-<lb/>
gen, er &#x017F;tellte es hin, und ich wollte eben zu<lb/>
fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;cken anfangen, als der alte Willy plo&#x0364;tz-<lb/>
lich bleich und mit weinenden Augen herein-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzte, und mich be&#x017F;chwur den Wein nicht an-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0064] 16. Eduard Burton an Mortimer. Bonſtreet. Wie ſoll ich dieſen Brief anfangen, mein Freund, wie ſoll ich ihn endigen? — Noch nie bin ich auf dieſe Art erſchuͤttert geweſen, noch nie ſo ſehr aller meiner Beſinnung beraubt. Ich ſitze hier einſam auf meinem Zimmer und weine, und bin noch immer erſtarrt. — Daß ich das erleben mußte! — Haben Sie Geduld mit mir, lieber Mor- timer, ich kann mich noch immer nicht troͤſten. Seit einigen Tagen hatte ich einen armen Kranken in meinem Hauſe aufgenommen, der mich durch einem meiner Leute um eine Frey- ſtaͤtte auf einige Tage hatte bitten laſſen. Man beſchrieb ihn mir als ſo ſchwermuͤthig, und un- gluͤcklich daß ich mich lebhaft fuͤr ihn intereſſirte. Ich ließ mir heute am Morgen, wie ge- woͤhnlich, ein Glas Wein vom Bedienten brin- gen, er ſtellte es hin, und ich wollte eben zu fruͤhſtuͤcken anfangen, als der alte Willy ploͤtz- lich bleich und mit weinenden Augen herein- ſtuͤrzte, und mich beſchwur den Wein nicht an-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/64
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/64>, abgerufen am 21.11.2024.