Liebe Freundinn, ich fühle mich zum Schreib- tische ordentlich mit Gewalt hingezogen, um mich mit Ihnen zu unterhalten. Sie haben so oft Ihren Kummer in Briefen gegen mich aus- geschüttet, und ich denke eben darüber nach, ob jetzt vielleicht an mich die Reihe ist. Ich habe oft von Rührung reden hören und selbst gesprochen, aber bis jetzt ist es nur ein Wort für mich gewesen, dessen eigentliche Bedeutung ich erst heute habe kennen lernen.
Schon seit einigen Tagen hält sich ein kran- ker armer Mensch in unserm Hause auf, dem mein Bruder aus Mitleid ein klein Zimmer hat einräumen lassen, weil der Gärtner für ihn bat. Die Bedienten haben ihn bis jetzt ver- pflegt, und wir bekamen ihn fast gar nicht zu sehn, denn er hielt sich immer ausserordentlich still und eingezogen, und jedermann im Hause
7. Emilie Burton an ihre Freundinn Amalie.
Bonſtreet.
Liebe Freundinn, ich fuͤhle mich zum Schreib- tiſche ordentlich mit Gewalt hingezogen, um mich mit Ihnen zu unterhalten. Sie haben ſo oft Ihren Kummer in Briefen gegen mich aus- geſchuͤttet, und ich denke eben daruͤber nach, ob jetzt vielleicht an mich die Reihe iſt. Ich habe oft von Ruͤhrung reden hoͤren und ſelbſt geſprochen, aber bis jetzt iſt es nur ein Wort fuͤr mich geweſen, deſſen eigentliche Bedeutung ich erſt heute habe kennen lernen.
Schon ſeit einigen Tagen haͤlt ſich ein kran- ker armer Menſch in unſerm Hauſe auf, dem mein Bruder aus Mitleid ein klein Zimmer hat einraͤumen laſſen, weil der Gaͤrtner fuͤr ihn bat. Die Bedienten haben ihn bis jetzt ver- pflegt, und wir bekamen ihn faſt gar nicht zu ſehn, denn er hielt ſich immer auſſerordentlich ſtill und eingezogen, und jedermann im Hauſe
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0033"n="26"/><divn="2"><head>7.<lb/><hirendition="#g">Emilie Burton an ihre Freundinn<lb/>
Amalie</hi>.</head><lb/><dateline><hirendition="#et"><hirendition="#g">Bonſtreet</hi>.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">L</hi>iebe Freundinn, ich fuͤhle mich zum Schreib-<lb/>
tiſche ordentlich mit Gewalt hingezogen, um<lb/>
mich mit Ihnen zu unterhalten. Sie haben ſo<lb/>
oft Ihren Kummer in Briefen gegen mich aus-<lb/>
geſchuͤttet, und ich denke eben daruͤber nach,<lb/>
ob jetzt vielleicht an mich die Reihe iſt. Ich<lb/>
habe oft von Ruͤhrung reden hoͤren und ſelbſt<lb/>
geſprochen, aber bis jetzt iſt es nur ein Wort<lb/>
fuͤr mich geweſen, deſſen eigentliche Bedeutung<lb/>
ich erſt heute habe kennen lernen.</p><lb/><p>Schon ſeit einigen Tagen haͤlt ſich ein kran-<lb/>
ker armer Menſch in unſerm Hauſe auf, dem<lb/>
mein Bruder aus Mitleid ein klein Zimmer<lb/>
hat einraͤumen laſſen, weil der Gaͤrtner fuͤr ihn<lb/>
bat. Die Bedienten haben ihn bis jetzt ver-<lb/>
pflegt, und wir bekamen ihn faſt gar nicht zu<lb/>ſehn, denn er hielt ſich immer auſſerordentlich<lb/>ſtill und eingezogen, und jedermann im Hauſe<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[26/0033]
7.
Emilie Burton an ihre Freundinn
Amalie.
Bonſtreet.
Liebe Freundinn, ich fuͤhle mich zum Schreib-
tiſche ordentlich mit Gewalt hingezogen, um
mich mit Ihnen zu unterhalten. Sie haben ſo
oft Ihren Kummer in Briefen gegen mich aus-
geſchuͤttet, und ich denke eben daruͤber nach,
ob jetzt vielleicht an mich die Reihe iſt. Ich
habe oft von Ruͤhrung reden hoͤren und ſelbſt
geſprochen, aber bis jetzt iſt es nur ein Wort
fuͤr mich geweſen, deſſen eigentliche Bedeutung
ich erſt heute habe kennen lernen.
Schon ſeit einigen Tagen haͤlt ſich ein kran-
ker armer Menſch in unſerm Hauſe auf, dem
mein Bruder aus Mitleid ein klein Zimmer
hat einraͤumen laſſen, weil der Gaͤrtner fuͤr ihn
bat. Die Bedienten haben ihn bis jetzt ver-
pflegt, und wir bekamen ihn faſt gar nicht zu
ſehn, denn er hielt ſich immer auſſerordentlich
ſtill und eingezogen, und jedermann im Hauſe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/33>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.