Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
41.
William Lovell an Rosa.

Ich bin wohl recht der Narr des Schicksals,
möcht' ich mit Lear ausrufen. Hierhin und
dorthin werd' ich gestoßen; wie eine wunderbare
Seltenheit gehe ich durch alle Hände, jeder-
mann betrachtet mich genau, und ich kann es
nicht unterlassen, mich über mich selbst zu ver-
wundern. -- Ich weiß noch nicht, wie Sie die-
sen Brief erhalten werden, aber ich muß mich
zerstreuen, ich muß mich beschäftigen, und dar-
um schreibe ich Ihnen. -- Ich bin nun hier in
einer ganz neuen Situation, ich kann nicht fort
und möchte doch nicht gerne bleiben: doch, ich
will Ihnen ruhig erzählen, wie ich hieherge-
kommen bin.

Ich reisete mit meinem neuerworbenen Gelde
von Chambery aus, mein Herz war ziemlich
leicht, mein Gemüth zuweilen heiter gestimmt,
die ganze Welt kam mir vor wie eine große
Räuberhöle, in der alles gemeinschaftliches Gut

41.
William Lovell an Roſa.

Ich bin wohl recht der Narr des Schickſals,
moͤcht' ich mit Lear ausrufen. Hierhin und
dorthin werd' ich geſtoßen; wie eine wunderbare
Seltenheit gehe ich durch alle Haͤnde, jeder-
mann betrachtet mich genau, und ich kann es
nicht unterlaſſen, mich uͤber mich ſelbſt zu ver-
wundern. — Ich weiß noch nicht, wie Sie die-
ſen Brief erhalten werden, aber ich muß mich
zerſtreuen, ich muß mich beſchaͤftigen, und dar-
um ſchreibe ich Ihnen. — Ich bin nun hier in
einer ganz neuen Situation, ich kann nicht fort
und moͤchte doch nicht gerne bleiben: doch, ich
will Ihnen ruhig erzaͤhlen, wie ich hieherge-
kommen bin.

Ich reiſete mit meinem neuerworbenen Gelde
von Chambery aus, mein Herz war ziemlich
leicht, mein Gemuͤth zuweilen heiter geſtimmt,
die ganze Welt kam mir vor wie eine große
Raͤuberhoͤle, in der alles gemeinſchaftliches Gut

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0283" n="276"/>
        <div n="2">
          <head>41.<lb/><hi rendition="#g">William Lovell</hi> an <hi rendition="#g">Ro&#x017F;a</hi>.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Aus den Piemonte&#x017F;i&#x017F;chen Bergen.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch bin wohl recht der Narr des Schick&#x017F;als,<lb/>
mo&#x0364;cht' ich mit <hi rendition="#g">Lear</hi> ausrufen. Hierhin und<lb/>
dorthin werd' ich ge&#x017F;toßen; wie eine wunderbare<lb/>
Seltenheit gehe ich durch alle Ha&#x0364;nde, jeder-<lb/>
mann betrachtet mich genau, und ich kann es<lb/>
nicht unterla&#x017F;&#x017F;en, mich u&#x0364;ber mich &#x017F;elb&#x017F;t zu ver-<lb/>
wundern. &#x2014; Ich weiß noch nicht, wie Sie die-<lb/>
&#x017F;en Brief erhalten werden, aber ich muß mich<lb/>
zer&#x017F;treuen, ich muß mich be&#x017F;cha&#x0364;ftigen, und dar-<lb/>
um &#x017F;chreibe ich Ihnen. &#x2014; Ich bin nun hier in<lb/>
einer ganz neuen Situation, ich kann nicht fort<lb/>
und mo&#x0364;chte doch nicht gerne bleiben: doch, ich<lb/>
will Ihnen ruhig erza&#x0364;hlen, wie ich hieherge-<lb/>
kommen bin.</p><lb/>
          <p>Ich rei&#x017F;ete mit meinem neuerworbenen Gelde<lb/>
von Chambery aus, mein Herz war ziemlich<lb/>
leicht, mein Gemu&#x0364;th zuweilen heiter ge&#x017F;timmt,<lb/>
die ganze Welt kam mir vor wie eine große<lb/>
Ra&#x0364;uberho&#x0364;le, in der alles gemein&#x017F;chaftliches Gut<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0283] 41. William Lovell an Roſa. Aus den Piemonteſiſchen Bergen. Ich bin wohl recht der Narr des Schickſals, moͤcht' ich mit Lear ausrufen. Hierhin und dorthin werd' ich geſtoßen; wie eine wunderbare Seltenheit gehe ich durch alle Haͤnde, jeder- mann betrachtet mich genau, und ich kann es nicht unterlaſſen, mich uͤber mich ſelbſt zu ver- wundern. — Ich weiß noch nicht, wie Sie die- ſen Brief erhalten werden, aber ich muß mich zerſtreuen, ich muß mich beſchaͤftigen, und dar- um ſchreibe ich Ihnen. — Ich bin nun hier in einer ganz neuen Situation, ich kann nicht fort und moͤchte doch nicht gerne bleiben: doch, ich will Ihnen ruhig erzaͤhlen, wie ich hieherge- kommen bin. Ich reiſete mit meinem neuerworbenen Gelde von Chambery aus, mein Herz war ziemlich leicht, mein Gemuͤth zuweilen heiter geſtimmt, die ganze Welt kam mir vor wie eine große Raͤuberhoͤle, in der alles gemeinſchaftliches Gut

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/283
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 3. Berlin u. a., 1796, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell03_1796/283>, abgerufen am 21.12.2024.