Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795.

Bild:
<< vorherige Seite
35.
William Lovell an Rosa.


Ich bin kälter geworden, seit einiger Zeit? --
Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, so war
es nur um desto glühender zu Ihnen zurückzu-
kommen. Nein, Ihre Freundschaft ist mir noch
immer eben so theuer, ja theurer als ehemals,
lassen Sie uns nicht den Bund zerreissen, den
wir geschlossen hatten.

Hoch triumphirend steh ich oben, über dem
Leben und seinen Freuden und Leiden erhaben,
ich sehe mit stolzer Verachtung in das Gewühl
der Welt hinab. -- Wer sind jene armseeligen
Geschöpfe die so schwer und keichend an den
Bürden der Pflichten und der Tugenden tra-
gen? -- Meine Brüder? -- Nimmermehr! --
Die Willkühr stempelt den freyen Menschen;
von allen Banden losgelassen rausch' ich wie
ein Sturmwind dahin, Wälder niederreissend
und mit lautem und wildem Geheul über die
steilen Gebirge hinfahrend. Mag's hinter mir
stürzen und vor mir wanken, was sind mir

35.
William Lovell an Roſa.


Ich bin kaͤlter geworden, ſeit einiger Zeit? —
Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, ſo war
es nur um deſto gluͤhender zu Ihnen zuruͤckzu-
kommen. Nein, Ihre Freundſchaft iſt mir noch
immer eben ſo theuer, ja theurer als ehemals,
laſſen Sie uns nicht den Bund zerreiſſen, den
wir geſchloſſen hatten.

Hoch triumphirend ſteh ich oben, uͤber dem
Leben und ſeinen Freuden und Leiden erhaben,
ich ſehe mit ſtolzer Verachtung in das Gewuͤhl
der Welt hinab. — Wer ſind jene armſeeligen
Geſchoͤpfe die ſo ſchwer und keichend an den
Buͤrden der Pflichten und der Tugenden tra-
gen? — Meine Bruͤder? — Nimmermehr! —
Die Willkuͤhr ſtempelt den freyen Menſchen;
von allen Banden losgelaſſen rauſch’ ich wie
ein Sturmwind dahin, Waͤlder niederreiſſend
und mit lautem und wildem Geheul uͤber die
ſteilen Gebirge hinfahrend. Mag’s hinter mir
ſtuͤrzen und vor mir wanken, was ſind mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0366" n="358[356]"/>
        <div n="2">
          <head>35.<lb/>
William Lovell an Ro&#x017F;a.</head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Rom.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch bin <hi rendition="#g">ka&#x0364;lter</hi> geworden, &#x017F;eit einiger Zeit? &#x2014;<lb/>
Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, &#x017F;o war<lb/>
es nur um de&#x017F;to glu&#x0364;hender zu Ihnen zuru&#x0364;ckzu-<lb/>
kommen. Nein, Ihre Freund&#x017F;chaft i&#x017F;t mir noch<lb/>
immer eben &#x017F;o theuer, ja theurer als ehemals,<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en Sie uns nicht den Bund zerrei&#x017F;&#x017F;en, den<lb/>
wir ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hatten.</p><lb/>
          <p>Hoch triumphirend &#x017F;teh ich oben, u&#x0364;ber dem<lb/>
Leben und &#x017F;einen Freuden und Leiden erhaben,<lb/>
ich &#x017F;ehe mit &#x017F;tolzer Verachtung in das Gewu&#x0364;hl<lb/>
der Welt hinab. &#x2014; Wer &#x017F;ind jene arm&#x017F;eeligen<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe die &#x017F;o &#x017F;chwer und keichend an den<lb/>
Bu&#x0364;rden der Pflichten und der Tugenden tra-<lb/>
gen? &#x2014; Meine Bru&#x0364;der? &#x2014; Nimmermehr! &#x2014;<lb/>
Die Willku&#x0364;hr &#x017F;tempelt den freyen Men&#x017F;chen;<lb/>
von allen Banden losgela&#x017F;&#x017F;en rau&#x017F;ch&#x2019; ich wie<lb/>
ein Sturmwind dahin, Wa&#x0364;lder niederrei&#x017F;&#x017F;end<lb/>
und mit lautem und wildem Geheul u&#x0364;ber die<lb/>
&#x017F;teilen Gebirge hinfahrend. Mag&#x2019;s hinter mir<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rzen und vor mir wanken, was &#x017F;ind mir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358[356]/0366] 35. William Lovell an Roſa. Rom. Ich bin kaͤlter geworden, ſeit einiger Zeit? — Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, ſo war es nur um deſto gluͤhender zu Ihnen zuruͤckzu- kommen. Nein, Ihre Freundſchaft iſt mir noch immer eben ſo theuer, ja theurer als ehemals, laſſen Sie uns nicht den Bund zerreiſſen, den wir geſchloſſen hatten. Hoch triumphirend ſteh ich oben, uͤber dem Leben und ſeinen Freuden und Leiden erhaben, ich ſehe mit ſtolzer Verachtung in das Gewuͤhl der Welt hinab. — Wer ſind jene armſeeligen Geſchoͤpfe die ſo ſchwer und keichend an den Buͤrden der Pflichten und der Tugenden tra- gen? — Meine Bruͤder? — Nimmermehr! — Die Willkuͤhr ſtempelt den freyen Menſchen; von allen Banden losgelaſſen rauſch’ ich wie ein Sturmwind dahin, Waͤlder niederreiſſend und mit lautem und wildem Geheul uͤber die ſteilen Gebirge hinfahrend. Mag’s hinter mir ſtuͤrzen und vor mir wanken, was ſind mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/366
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 358[356]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/366>, abgerufen am 21.11.2024.