Ich gehe itzt schon den Oertern entgegen, wo ich so hohe Entzückungen erwarte. -- Mortimer hat mich in Lyon verlassen und ist nach England zurückgegangen, sein Onkel ruft ihn dahin, Rosa und Balder sind meine Gefährten. So ungleich sich auch ihre Charaktere sind, so liebe ich sie doch itzt beide fast gleich stark; ich fange an, mich mit Empfindungen und ihren Aeusserungen zu versöhnen, die ich sonst haßte, ich schätze am Menschen die Talente, ohne seine Fehler zu über- sehn, es überrascht mich nur selten mein ehe- maliges Vorurtheil, daß ein einziger Fehler mir einen Menschen durchaus verhaßt macht.
Die Reise bis hieher hat mir außerordent- lich viel Vergnügen gemacht, so viele frohe Ge- sichter, so viele Feste in den Dörfern, ich habe mit Innigkeit an die Jahre meiner Kindheit bei manchen ländlichen Spielen der Dorfjugend zu- rückgedacht. -- Allenthalben die schönste Natur die keine trübe oder menschenfeindliche Empfin-
33. William Lovell an Eduard Burton.
Chambery.
Ich gehe itzt ſchon den Oertern entgegen, wo ich ſo hohe Entzuͤckungen erwarte. — Mortimer hat mich in Lyon verlaſſen und iſt nach England zuruͤckgegangen, ſein Onkel ruft ihn dahin, Roſa und Balder ſind meine Gefaͤhrten. So ungleich ſich auch ihre Charaktere ſind, ſo liebe ich ſie doch itzt beide faſt gleich ſtark; ich fange an, mich mit Empfindungen und ihren Aeuſſerungen zu verſoͤhnen, die ich ſonſt haßte, ich ſchaͤtze am Menſchen die Talente, ohne ſeine Fehler zu uͤber- ſehn, es uͤberraſcht mich nur ſelten mein ehe- maliges Vorurtheil, daß ein einziger Fehler mir einen Menſchen durchaus verhaßt macht.
Die Reiſe bis hieher hat mir außerordent- lich viel Vergnuͤgen gemacht, ſo viele frohe Ge- ſichter, ſo viele Feſte in den Doͤrfern, ich habe mit Innigkeit an die Jahre meiner Kindheit bei manchen laͤndlichen Spielen der Dorfjugend zu- ruͤckgedacht. — Allenthalben die ſchoͤnſte Natur die keine truͤbe oder menſchenfeindliche Empfin-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0199"n="191[189]"/><divn="2"><head>33.<lb/>
William Lovell an Eduard Burton.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Chambery.</hi></dateline><lb/><p><hirendition="#in">I</hi>ch gehe itzt ſchon den Oertern entgegen, wo<lb/>
ich ſo hohe Entzuͤckungen erwarte. — Mortimer<lb/>
hat mich in Lyon verlaſſen und iſt nach England<lb/>
zuruͤckgegangen, ſein Onkel ruft ihn dahin, Roſa<lb/>
und Balder ſind meine Gefaͤhrten. So ungleich<lb/>ſich auch ihre Charaktere ſind, ſo liebe ich ſie<lb/>
doch itzt beide faſt gleich ſtark; ich fange an,<lb/>
mich mit Empfindungen und ihren Aeuſſerungen<lb/>
zu verſoͤhnen, die ich ſonſt haßte, ich ſchaͤtze am<lb/>
Menſchen die Talente, ohne ſeine Fehler zu uͤber-<lb/>ſehn, es uͤberraſcht mich nur ſelten mein ehe-<lb/>
maliges Vorurtheil, daß ein einziger Fehler mir<lb/>
einen Menſchen durchaus verhaßt macht.</p><lb/><p>Die Reiſe bis hieher hat mir außerordent-<lb/>
lich viel Vergnuͤgen gemacht, ſo viele frohe Ge-<lb/>ſichter, ſo viele Feſte in den Doͤrfern, ich habe<lb/>
mit Innigkeit an die Jahre meiner Kindheit bei<lb/>
manchen laͤndlichen Spielen der Dorfjugend zu-<lb/>
ruͤckgedacht. — Allenthalben die ſchoͤnſte Natur<lb/>
die keine truͤbe oder menſchenfeindliche Empfin-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[191[189]/0199]
33.
William Lovell an Eduard Burton.
Chambery.
Ich gehe itzt ſchon den Oertern entgegen, wo
ich ſo hohe Entzuͤckungen erwarte. — Mortimer
hat mich in Lyon verlaſſen und iſt nach England
zuruͤckgegangen, ſein Onkel ruft ihn dahin, Roſa
und Balder ſind meine Gefaͤhrten. So ungleich
ſich auch ihre Charaktere ſind, ſo liebe ich ſie
doch itzt beide faſt gleich ſtark; ich fange an,
mich mit Empfindungen und ihren Aeuſſerungen
zu verſoͤhnen, die ich ſonſt haßte, ich ſchaͤtze am
Menſchen die Talente, ohne ſeine Fehler zu uͤber-
ſehn, es uͤberraſcht mich nur ſelten mein ehe-
maliges Vorurtheil, daß ein einziger Fehler mir
einen Menſchen durchaus verhaßt macht.
Die Reiſe bis hieher hat mir außerordent-
lich viel Vergnuͤgen gemacht, ſo viele frohe Ge-
ſichter, ſo viele Feſte in den Doͤrfern, ich habe
mit Innigkeit an die Jahre meiner Kindheit bei
manchen laͤndlichen Spielen der Dorfjugend zu-
ruͤckgedacht. — Allenthalben die ſchoͤnſte Natur
die keine truͤbe oder menſchenfeindliche Empfin-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 1. Berlin u. a., 1795, S. 191[189]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell01_1795/199>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.