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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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das Gute u. Böse zu erkennen überhaupt.
es möge nun diese Erhaltung und Vermeh-
rung sich alsobald ereignen/ oder erst eine
geraume Zeit hernach zu spühren seyn/
und
daß dasjenige würcklich böse sey/ was eine dau-
erhaffte Verringerung oder gäntzliche Austilgung
des menschlichen Wesens und seiner Kräffte ver-
ursachet/ ob gleich diese Verringerung und Austil-
gung erst eine geraume Zeit hernach sich blicken
läst/ oder eine gegenwärtige augenblickliche und
sehr empfindliche Bermehrung derselben vorher
zu gehen seheinet.

29.

So leichte aber als die Warheit dieses
Grundes zu begreiffen ist/ umb so viel destomehr
muß ein junger Mensch beobachten/ daß er in
Applicirung desselbigen niemahln davon ab-
weiche/
je gewöhnlicher das Vortheil dem
menschlichen Geschlechte eingewurtzelt ist/ daß
so wohl Hohen als Niedern Standes/ Gelehrt
und Ungelehrt/ Alt und Jung alleine nach solchen
Dingen trachtet und verlanget/ die eine gegen-
wärtige und merckliche Vermehrung der natür-
lichen Kräffte nach sich ziehen/ und in Gegentheil
für andern Dingen einen Eckel hat/ die leine dau-
erhaffte aber entfernete und nicht so leichte zu spü-
rende Erhaltung des Menschen würcken/ welches
theils von denen bösen und unweisen Exempeln
derer andern Menschen/ mit denen wir täglich
von Jugend auff umbgehen/ und derer Nachah-
mung zu einer andern Natur bey uns wird/ theils
aus der von Jugend auff uns anklebenden Unge-

dult

das Gute u. Boͤſe zu erkennen uͤberhaupt.
es moͤge nun dieſe Erhaltung und Vermeh-
rung ſich alſobald ereignen/ oder erſt eine
geraume Zeit hernach zu ſpuͤhren ſeyn/
und
daß dasjenige wuͤrcklich boͤſe ſey/ was eine dau-
erhaffte Verꝛingerung oder gaͤntzliche Austilgung
des menſchlichen Weſens und ſeiner Kraͤffte ver-
urſachet/ ob gleich dieſe Verringerung und Austil-
gung erſt eine geraume Zeit hernach ſich blicken
laͤſt/ oder eine gegenwaͤrtige augenblickliche und
ſehr empfindliche Bermehrung derſelben vorher
zu gehen ſeheinet.

29.

So leichte aber als die Warheit dieſes
Grundes zu begreiffen iſt/ umb ſo viel deſtomehr
muß ein junger Menſch beobachten/ daß er in
Applicirung deſſelbigen niemahln davon ab-
weiche/
je gewoͤhnlicher das Vortheil dem
menſchlichen Geſchlechte eingewurtzelt iſt/ daß
ſo wohl Hohen als Niedern Standes/ Gelehrt
und Ungelehrt/ Alt und Jung alleine nach ſolchen
Dingen trachtet und verlanget/ die eine gegen-
waͤrtige und merckliche Vermehrung der natuͤr-
lichen Kraͤffte nach ſich ziehen/ und in Gegentheil
fuͤr andern Dingen einen Eckel hat/ die leine dau-
erhaffte aber entfernete und nicht ſo leichte zu ſpuͤ-
rende Erhaltung des Menſchen wuͤrcken/ welches
theils von denen boͤſen und unweiſen Exempeln
derer andern Menſchen/ mit denen wir taͤglich
von Jugend auff umbgehen/ und derer Nachah-
mung zu einer andern Natur bey uns wird/ theils
aus der von Jugend auff uns anklebenden Unge-

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[13/0045] das Gute u. Boͤſe zu erkennen uͤberhaupt. es moͤge nun dieſe Erhaltung und Vermeh- rung ſich alſobald ereignen/ oder erſt eine geraume Zeit hernach zu ſpuͤhren ſeyn/ und daß dasjenige wuͤrcklich boͤſe ſey/ was eine dau- erhaffte Verꝛingerung oder gaͤntzliche Austilgung des menſchlichen Weſens und ſeiner Kraͤffte ver- urſachet/ ob gleich dieſe Verringerung und Austil- gung erſt eine geraume Zeit hernach ſich blicken laͤſt/ oder eine gegenwaͤrtige augenblickliche und ſehr empfindliche Bermehrung derſelben vorher zu gehen ſeheinet. 29. So leichte aber als die Warheit dieſes Grundes zu begreiffen iſt/ umb ſo viel deſtomehr muß ein junger Menſch beobachten/ daß er in Applicirung deſſelbigen niemahln davon ab- weiche/ je gewoͤhnlicher das Vortheil dem menſchlichen Geſchlechte eingewurtzelt iſt/ daß ſo wohl Hohen als Niedern Standes/ Gelehrt und Ungelehrt/ Alt und Jung alleine nach ſolchen Dingen trachtet und verlanget/ die eine gegen- waͤrtige und merckliche Vermehrung der natuͤr- lichen Kraͤffte nach ſich ziehen/ und in Gegentheil fuͤr andern Dingen einen Eckel hat/ die leine dau- erhaffte aber entfernete und nicht ſo leichte zu ſpuͤ- rende Erhaltung des Menſchen wuͤrcken/ welches theils von denen boͤſen und unweiſen Exempeln derer andern Menſchen/ mit denen wir taͤglich von Jugend auff umbgehen/ und derer Nachah- mung zu einer andern Natur bey uns wird/ theils aus der von Jugend auff uns anklebenden Unge- dult

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/45>, abgerufen am 13.11.2024.