Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite
Liebe gegen uns selbst.
11.

Laß uns vielmehr dieses etwas genauer
erwegen/ worum wir in Beschreibung der ver-
nünfftigen Liebe gegen sich selbst gedacht/ daß die
Erhaltung des Lebens denen Menschen/ die
wir vernünfftig lieben/ zu gut geschehen
müs-
se. Denn es fliesset nicht alleine/ wie gedacht/
die Liebe gegen uns selbst aus der Liebe an-
derer Menschen
her/ sondern die Liebe anderer
Menschen ist auch eine Richt-Schnur der Lie-
be gegen uns selbst.

12.

Was das erste betrifft/ so erfordert so
wohl die allgemeine als fürnemlich die abson-
derliche
Liebe/ daß wir unser Leben zu erhalten
uns angelegen seyn lassen. Jene zwar/ weil wir
ohne Unterscheid anderer Menschen Hülffe/ und
derer ihres Lebens benöthiget sind; Diese aber/
weil die Liebe erfordert/ daß wir der geliebten
Person ihr Vergnügen mehr als das unserige su-
chen sollen; und weil wir dann wissen/ daß der-
selbe mehr in uns als in sich selbst lebet; als wür-
den wir die Liebe höchlich beleidigen/ wenn wir in
Erhaltung unseres Lebens uns nachläßig bezei-
gen solten.

13.

So ist auch hiernechst die Liebe anderer
Menschen eine Richt-Schnur der Liebe ge-
gen uns selbst/
theils in Betrachtung/ wie die-
selbe einzurichten
sey/ theils in Ansehen/ wie
die Liebe gegen uns selbst der Liebe anderer
Menschen weichen
müsse.

14. Jn
Y 2
Liebe gegen uns ſelbſt.
11.

Laß uns vielmehr dieſes etwas genauer
erwegen/ worum wir in Beſchreibung der ver-
nuͤnfftigen Liebe gegen ſich ſelbſt gedacht/ daß die
Erhaltung des Lebens denen Menſchen/ die
wir vernuͤnfftig lieben/ zu gut geſchehen
muͤſ-
ſe. Denn es flieſſet nicht alleine/ wie gedacht/
die Liebe gegen uns ſelbſt aus der Liebe an-
derer Menſchen
her/ ſondern die Liebe anderer
Menſchen iſt auch eine Richt-Schnur der Lie-
be gegen uns ſelbſt.

12.

Was das erſte betrifft/ ſo erfordert ſo
wohl die allgemeine als fuͤrnemlich die abſon-
derliche
Liebe/ daß wir unſer Leben zu erhalten
uns angelegen ſeyn laſſen. Jene zwar/ weil wir
ohne Unterſcheid anderer Menſchen Huͤlffe/ und
derer ihres Lebens benoͤthiget ſind; Dieſe aber/
weil die Liebe erfordert/ daß wir der geliebten
Perſon ihr Vergnuͤgen mehr als das unſerige ſu-
chen ſollen; und weil wir dann wiſſen/ daß der-
ſelbe mehr in uns als in ſich ſelbſt lebet; als wuͤr-
den wir die Liebe hoͤchlich beleidigen/ wenn wir in
Erhaltung unſeres Lebens uns nachlaͤßig bezei-
gen ſolten.

13.

So iſt auch hiernechſt die Liebe anderer
Menſchen eine Richt-Schnur der Liebe ge-
gen uns ſelbſt/
theils in Betrachtung/ wie die-
ſelbe einzurichten
ſey/ theils in Anſehen/ wie
die Liebe gegen uns ſelbſt der Liebe anderer
Menſchen weichen
muͤſſe.

14. Jn
Y 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0371" n="343[339]"/>
          <fw place="top" type="header">Liebe gegen uns &#x017F;elb&#x017F;t.</fw><lb/>
          <div n="3">
            <head>11.</head>
            <p>Laß uns vielmehr die&#x017F;es etwas genauer<lb/>
erwegen/ worum wir in Be&#x017F;chreibung der ver-<lb/>
nu&#x0364;nfftigen Liebe gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gedacht/ daß die<lb/>
Erhaltung des Lebens <hi rendition="#fr">denen Men&#x017F;chen/ die<lb/>
wir vernu&#x0364;nfftig lieben/ zu gut ge&#x017F;chehen</hi> mu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e. Denn es flie&#x017F;&#x017F;et nicht alleine/ wie gedacht/<lb/>
die <hi rendition="#fr">Liebe gegen uns &#x017F;elb&#x017F;t aus der Liebe an-<lb/>
derer Men&#x017F;chen</hi> her/ &#x017F;ondern die Liebe anderer<lb/>
Men&#x017F;chen <hi rendition="#fr">i&#x017F;t auch eine Richt-Schnur</hi> der Lie-<lb/>
be gegen uns &#x017F;elb&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>12.</head>
            <p>Was <hi rendition="#fr">das er&#x017F;te</hi> betrifft/ &#x017F;o erfordert &#x017F;o<lb/>
wohl <hi rendition="#fr">die allgemeine</hi> als fu&#x0364;rnemlich die <hi rendition="#fr">ab&#x017F;on-<lb/>
derliche</hi> Liebe/ daß wir un&#x017F;er Leben zu erhalten<lb/>
uns angelegen &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#fr">Jene</hi> zwar/ weil wir<lb/>
ohne Unter&#x017F;cheid anderer Men&#x017F;chen Hu&#x0364;lffe/ und<lb/>
derer ihres Lebens beno&#x0364;thiget &#x017F;ind; <hi rendition="#fr">Die&#x017F;e</hi> aber/<lb/>
weil die Liebe erfordert/ daß wir der geliebten<lb/>
Per&#x017F;on ihr Vergnu&#x0364;gen mehr als das un&#x017F;erige &#x017F;u-<lb/>
chen &#x017F;ollen; und weil wir dann wi&#x017F;&#x017F;en/ daß der-<lb/>
&#x017F;elbe mehr in uns als in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t lebet; als wu&#x0364;r-<lb/>
den wir die Liebe ho&#x0364;chlich beleidigen/ wenn wir in<lb/>
Erhaltung un&#x017F;eres Lebens uns nachla&#x0364;ßig bezei-<lb/>
gen &#x017F;olten.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>13.</head>
            <p>So i&#x017F;t auch hiernech&#x017F;t die Liebe anderer<lb/>
Men&#x017F;chen <hi rendition="#fr">eine Richt-Schnur der Liebe ge-<lb/>
gen uns &#x017F;elb&#x017F;t/</hi> theils in Betrachtung/ <hi rendition="#fr">wie die-<lb/>
&#x017F;elbe einzurichten</hi> &#x017F;ey/ theils in An&#x017F;ehen/ wie<lb/>
die Liebe gegen uns &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#fr">der Liebe anderer<lb/>
Men&#x017F;chen weichen</hi> mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">Y 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">14. Jn</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343[339]/0371] Liebe gegen uns ſelbſt. 11. Laß uns vielmehr dieſes etwas genauer erwegen/ worum wir in Beſchreibung der ver- nuͤnfftigen Liebe gegen ſich ſelbſt gedacht/ daß die Erhaltung des Lebens denen Menſchen/ die wir vernuͤnfftig lieben/ zu gut geſchehen muͤſ- ſe. Denn es flieſſet nicht alleine/ wie gedacht/ die Liebe gegen uns ſelbſt aus der Liebe an- derer Menſchen her/ ſondern die Liebe anderer Menſchen iſt auch eine Richt-Schnur der Lie- be gegen uns ſelbſt. 12. Was das erſte betrifft/ ſo erfordert ſo wohl die allgemeine als fuͤrnemlich die abſon- derliche Liebe/ daß wir unſer Leben zu erhalten uns angelegen ſeyn laſſen. Jene zwar/ weil wir ohne Unterſcheid anderer Menſchen Huͤlffe/ und derer ihres Lebens benoͤthiget ſind; Dieſe aber/ weil die Liebe erfordert/ daß wir der geliebten Perſon ihr Vergnuͤgen mehr als das unſerige ſu- chen ſollen; und weil wir dann wiſſen/ daß der- ſelbe mehr in uns als in ſich ſelbſt lebet; als wuͤr- den wir die Liebe hoͤchlich beleidigen/ wenn wir in Erhaltung unſeres Lebens uns nachlaͤßig bezei- gen ſolten. 13. So iſt auch hiernechſt die Liebe anderer Menſchen eine Richt-Schnur der Liebe ge- gen uns ſelbſt/ theils in Betrachtung/ wie die- ſelbe einzurichten ſey/ theils in Anſehen/ wie die Liebe gegen uns ſelbſt der Liebe anderer Menſchen weichen muͤſſe. 14. Jn Y 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/371
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 343[339]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/371>, abgerufen am 21.12.2024.