Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 6. Hauptst. von der absonderlichen
ein jedweder sich bemühet/ durch seine Erfindun-
gen/ immer was neues auff die Bahn zu bringen/
dadurch die auff eitele Curiosität zielende Ge-
müther der Menschen an sich zu locken/ oder ihnen
dadurch Gelegenheit zu geben/ sich von andern
Menschen/ als wenn sie vortrefflicher wären/ desto
mehr abzusondern/ oder unter dem Schein dem
menschlichen Geschlecht zu nützen/ demselben viel-
mehr auff tausenderley Weise zu schaden. Wer
wolte aber sagen/ daß dadurch dem gemeinen
Wesen ein Abbruch geschehe/ wenn durch die Ge-
meinschafft aller Güter diese Stände auffgehoben
und geändert würden/ da sie doch vielmehr das
gemeine Wesen so sehr hindern/ daß/ wie die täg-
liche Erfahrung weiset/ die so vielfältig wieder-
holeten Policey-Ordnungen nicht vermögend
sind/ das durch dieselben eingeführte Ubel aus-
zu tilgen.

89.

Ja sprichst du/ das gemeine Wesen
würde durch die Gemeinschafft der Güter selbst
auffgehoben werden/ und wenn kein Eigenthum
wäre/ würde kein Mensch unterthan seyn/ son-
dern ein jeder seine Freyheit haben wollen. Und
solcher Gestalt würde das Band der bürgerlichen
Gesellschafft gantz offenbahr getrennet werden/
als welches ohne Obrigkeit und Unterthanen
nicht werden kan.

90.

Aber wer siehet nicht/ daß dieser Einwurff
der Vollkommenheit der Gemeinmachung aller
Güter am wenigsten zu wieder sey. Wir wollen

jetzo

Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen
ein jedweder ſich bemuͤhet/ durch ſeine Erfindun-
gen/ immer was neues auff die Bahn zu bringen/
dadurch die auff eitele Curioſitaͤt zielende Ge-
muͤther der Menſchen an ſich zu locken/ oder ihnen
dadurch Gelegenheit zu geben/ ſich von andern
Menſchen/ als wenn ſie vortrefflicher waͤren/ deſto
mehr abzuſondern/ oder unter dem Schein dem
menſchlichen Geſchlecht zu nuͤtzen/ demſelben viel-
mehr auff tauſenderley Weiſe zu ſchaden. Wer
wolte aber ſagen/ daß dadurch dem gemeinen
Weſen ein Abbruch geſchehe/ wenn durch die Ge-
meinſchafft aller Guͤter dieſe Staͤnde auffgehoben
und geaͤndert wuͤrden/ da ſie doch vielmehr das
gemeine Weſen ſo ſehr hindern/ daß/ wie die taͤg-
liche Erfahrung weiſet/ die ſo vielfaͤltig wieder-
holeten Policey-Ordnungen nicht vermoͤgend
ſind/ das durch dieſelben eingefuͤhrte Ubel aus-
zu tilgen.

89.

Ja ſprichſt du/ das gemeine Weſen
wuͤrde durch die Gemeinſchafft der Guͤter ſelbſt
auffgehoben werden/ und wenn kein Eigenthum
waͤre/ wuͤrde kein Menſch unterthan ſeyn/ ſon-
dern ein jeder ſeine Freyheit haben wollen. Und
ſolcher Geſtalt wuͤrde das Band der buͤrgerlichen
Geſellſchafft gantz offenbahr getrennet werden/
als welches ohne Obrigkeit und Unterthanen
nicht werden kan.

90.

Aber wer ſiehet nicht/ daß dieſer Einwurff
der Vollkommenheit der Gemeinmachung aller
Guͤter am wenigſten zu wieder ſey. Wir wollen

jetzo
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0332" n="304[300]"/><fw place="top" type="header">Das 6. Haupt&#x017F;t. von der ab&#x017F;onderlichen</fw><lb/>
ein jedweder &#x017F;ich bemu&#x0364;het/ durch &#x017F;eine Erfindun-<lb/>
gen/ immer was neues auff die Bahn zu bringen/<lb/>
dadurch die auff eitele <hi rendition="#aq">Curio&#x017F;i</hi>ta&#x0364;t zielende Ge-<lb/>
mu&#x0364;ther der Men&#x017F;chen an &#x017F;ich zu locken/ oder ihnen<lb/>
dadurch Gelegenheit zu geben/ &#x017F;ich von andern<lb/>
Men&#x017F;chen/ als wenn &#x017F;ie vortrefflicher wa&#x0364;ren/ de&#x017F;to<lb/>
mehr abzu&#x017F;ondern/ oder unter dem Schein dem<lb/>
men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlecht zu nu&#x0364;tzen/ dem&#x017F;elben viel-<lb/>
mehr auff tau&#x017F;enderley Wei&#x017F;e zu &#x017F;chaden. Wer<lb/>
wolte aber &#x017F;agen/ daß dadurch dem gemeinen<lb/>
We&#x017F;en ein Abbruch ge&#x017F;chehe/ wenn durch die Ge-<lb/>
mein&#x017F;chafft aller Gu&#x0364;ter die&#x017F;e Sta&#x0364;nde auffgehoben<lb/>
und gea&#x0364;ndert wu&#x0364;rden/ da &#x017F;ie doch vielmehr das<lb/>
gemeine We&#x017F;en &#x017F;o &#x017F;ehr hindern/ daß/ wie die ta&#x0364;g-<lb/>
liche Erfahrung wei&#x017F;et/ die &#x017F;o vielfa&#x0364;ltig wieder-<lb/>
holeten Policey-Ordnungen nicht vermo&#x0364;gend<lb/>
&#x017F;ind/ das durch die&#x017F;elben eingefu&#x0364;hrte Ubel aus-<lb/>
zu tilgen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>89.</head>
            <p>Ja &#x017F;prich&#x017F;t du/ <hi rendition="#fr">das gemeine We&#x017F;en</hi><lb/>
wu&#x0364;rde durch die Gemein&#x017F;chafft der Gu&#x0364;ter &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
auffgehoben werden/ und wenn kein Eigenthum<lb/>
wa&#x0364;re/ wu&#x0364;rde kein Men&#x017F;ch unterthan &#x017F;eyn/ &#x017F;on-<lb/>
dern ein jeder &#x017F;eine Freyheit haben wollen. Und<lb/>
&#x017F;olcher Ge&#x017F;talt wu&#x0364;rde das Band der bu&#x0364;rgerlichen<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft gantz offenbahr getrennet werden/<lb/>
als welches ohne Obrigkeit und Unterthanen<lb/>
nicht werden kan.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>90.</head>
            <p>Aber wer &#x017F;iehet nicht/ daß die&#x017F;er Einwurff<lb/>
der Vollkommenheit der Gemeinmachung aller<lb/>
Gu&#x0364;ter am wenig&#x017F;ten zu wieder &#x017F;ey. Wir wollen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">jetzo</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304[300]/0332] Das 6. Hauptſt. von der abſonderlichen ein jedweder ſich bemuͤhet/ durch ſeine Erfindun- gen/ immer was neues auff die Bahn zu bringen/ dadurch die auff eitele Curioſitaͤt zielende Ge- muͤther der Menſchen an ſich zu locken/ oder ihnen dadurch Gelegenheit zu geben/ ſich von andern Menſchen/ als wenn ſie vortrefflicher waͤren/ deſto mehr abzuſondern/ oder unter dem Schein dem menſchlichen Geſchlecht zu nuͤtzen/ demſelben viel- mehr auff tauſenderley Weiſe zu ſchaden. Wer wolte aber ſagen/ daß dadurch dem gemeinen Weſen ein Abbruch geſchehe/ wenn durch die Ge- meinſchafft aller Guͤter dieſe Staͤnde auffgehoben und geaͤndert wuͤrden/ da ſie doch vielmehr das gemeine Weſen ſo ſehr hindern/ daß/ wie die taͤg- liche Erfahrung weiſet/ die ſo vielfaͤltig wieder- holeten Policey-Ordnungen nicht vermoͤgend ſind/ das durch dieſelben eingefuͤhrte Ubel aus- zu tilgen. 89. Ja ſprichſt du/ das gemeine Weſen wuͤrde durch die Gemeinſchafft der Guͤter ſelbſt auffgehoben werden/ und wenn kein Eigenthum waͤre/ wuͤrde kein Menſch unterthan ſeyn/ ſon- dern ein jeder ſeine Freyheit haben wollen. Und ſolcher Geſtalt wuͤrde das Band der buͤrgerlichen Geſellſchafft gantz offenbahr getrennet werden/ als welches ohne Obrigkeit und Unterthanen nicht werden kan. 90. Aber wer ſiehet nicht/ daß dieſer Einwurff der Vollkommenheit der Gemeinmachung aller Guͤter am wenigſten zu wieder ſey. Wir wollen jetzo

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/332
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 304[300]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/332>, abgerufen am 21.11.2024.