Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.vernünfftigen Liebe überhaupt. ist/ durch welche ein tugendlibendes Ge-müth auff des andern sein geringstes Thun und Lassen achtung giebt/ umb dadurch nicht so wohl das andere immer mehr und mehr kennen zu lernen/ als demselben hier- mit seine Hochachtung und den Unterscheid/ den es dadurch zwischen demselbigen und an- dern Leuten mache zu erkennen zu geben; massen es denn auch eben deswegen dem an- dern alle sein Verlangen gleichsam an den Augen ansiehet/ und ohne dessen Begehren ihme tausent kleine Dienste leistet/ die zwar keine Mühe oder Unkosten erfordern/ aber doch so geringe sind/ daß sie das andere je- nem nicht einmahl würde anmuthen dürf- fen/ auch dieselbigen mit einer schamhaffti- gen Sittsamkeit annimmt. 32. Diese sorgfältige Gefälligkeit ist das erste anzu-
vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt. iſt/ durch welche ein tugendlibendes Ge-muͤth auff des andern ſein geringſtes Thun und Laſſen achtung giebt/ umb dadurch nicht ſo wohl das andere immer mehr und mehr kennen zu lernen/ als demſelben hier- mit ſeine Hochachtung und den Unterſcheid/ den es dadurch zwiſchen demſelbigen und an- dern Leuten mache zu erkennen zu geben; maſſen es denn auch eben deswegen dem an- dern alle ſein Verlangen gleichſam an den Augen anſiehet/ und ohne deſſen Begehren ihme tauſent kleine Dienſte leiſtet/ die zwar keine Muͤhe oder Unkoſten erfordern/ aber doch ſo geringe ſind/ daß ſie das andere je- nem nicht einmahl wuͤrde anmuthen duͤrf- fen/ auch dieſelbigen mit einer ſchamhaffti- gen Sittſamkeit annimmt. 32. Dieſe ſorgfaͤltige Gefaͤlligkeit iſt das erſte anzu-
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vernuͤnfftigen Liebe uͤberhaupt.
iſt/ durch welche ein tugendlibendes Ge-
muͤth auff des andern ſein geringſtes Thun
und Laſſen achtung giebt/ umb dadurch
nicht ſo wohl das andere immer mehr und
mehr kennen zu lernen/ als demſelben hier-
mit ſeine Hochachtung und den Unterſcheid/
den es dadurch zwiſchen demſelbigen und an-
dern Leuten mache zu erkennen zu geben;
maſſen es denn auch eben deswegen dem an-
dern alle ſein Verlangen gleichſam an den
Augen anſiehet/ und ohne deſſen Begehren
ihme tauſent kleine Dienſte leiſtet/ die zwar
keine Muͤhe oder Unkoſten erfordern/ aber
doch ſo geringe ſind/ daß ſie das andere je-
nem nicht einmahl wuͤrde anmuthen duͤrf-
fen/ auch dieſelbigen mit einer ſchamhaffti-
gen Sittſamkeit annimmt.
32. Dieſe ſorgfaͤltige Gefaͤlligkeit iſt das erſte
unfehlbahre und nothwendigſte Kenn-Zei-
chen einer angehenden Liebe. Wo man die-
ſelbige antrifft/ darff man nur gewiß ſchlieſſen/
daß man eine Perſon liebe/ weil es unmoͤglich iſt/
daß ein Menſch continuirlich auffmerckſam ſeyn
kan/ wenn es affectirt iſt/ und nicht von Hertzen
gehet/ ſondern er muß nothwendig in die Nach-
laͤßigkeit einmahl verfallen/ und ſeine Schein-Lie-
be verrathen. Alle Worte und Douceurs alle
Oeilladen und freundliche Blicke koͤnnen triegen
und triegen taͤglich/ wenn ſie nicht mit dieſeꝛ Soꝛg-
faͤltigkeit vergeſellſchafftet ſind. Wo aber dieſe
anzu-
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 273[269]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/301>, abgerufen am 04.03.2025. |