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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 5. Hauptst. von der allgemeinen
berlege diese Frage ein wenig genau: Wer ist
wohl glücklicher/ oder besser zu reden/ weniger e-
lende/ alß diese beyden Nationes bey dem Exceß
ihrer Gedult?

103

Und also siehest du/ daß doch die Gedult
den Preiß behält/ es mag dich verdriessen wie du
wilst. Schmähe noch mehr auff sie/ wir wollen
dir weiter kein Wort antworten/ sondern der Ge-
dult zu Ehren als mit Gedult vertragen. Je-
doch laß dir rathen/ und mache es nicht zu arg; da-
mit unsere Gedult nicht zerreisset. Denn es ist
ein schlimm Ding umb eine in den Harnisch ge-
brachte Gedult/ und du must wissen/ daß sie dieses
mit der Leutseeligkeit gemein habe/ und von der
Wahrhafftigkeit/ Bescheidenheit und Verträg-
ligkeit dadurch entschieden sey daß man zu der
Gedult keinen zwingen könne/
sondern es bloß
seiner Liebe anheim stellen müsse. Das ist es e-
ben was wir oben erwehnet/ daß der Beleydiger
von Rechts wegen keine Gedult von dem Beley-
digten praetendiren könne.

104.

Nunmehro erkennestu leichtlich/ was für
ein Unterscheid unter der Gerechtigkeit und Liebe
überhaupt sey. Die Gerechtigkeit ist dasjenige
Theil der Liebe/ daß dem Menschen das Vermö-
gen giebet den andern zu dem/ was er ihm willig
leisten solte zu zwingen; Derowegen kan wohl
Liebe ohne Gerechtigkeit/ nicht aber Gerechtigkeit
ohne Liebe seyn. Ja es verliehret die Gerechtig-
keit den Nahmen der Liebe/ wenn man den Zwang

würck

Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen
berlege dieſe Frage ein wenig genau: Wer iſt
wohl gluͤcklicher/ oder beſſer zu reden/ weniger e-
lende/ alß dieſe beyden Nationes bey dem Exceß
ihrer Gedult?

103

Und alſo ſieheſt du/ daß doch die Gedult
den Preiß behaͤlt/ es mag dich verdrieſſen wie du
wilſt. Schmaͤhe noch mehr auff ſie/ wir wollen
dir weiter kein Wort antworten/ ſondern der Ge-
dult zu Ehren als mit Gedult vertragen. Je-
doch laß dir rathen/ und mache es nicht zu arg; da-
mit unſere Gedult nicht zerreiſſet. Denn es iſt
ein ſchlimm Ding umb eine in den Harniſch ge-
brachte Gedult/ und du muſt wiſſen/ daß ſie dieſes
mit der Leutſeeligkeit gemein habe/ und von der
Wahrhafftigkeit/ Beſcheidenheit und Vertraͤg-
ligkeit dadurch entſchieden ſey daß man zu der
Gedult keinen zwingen koͤnne/
ſondern es bloß
ſeiner Liebe anheim ſtellen muͤſſe. Das iſt es e-
ben was wir oben erwehnet/ daß der Beleydiger
von Rechts wegen keine Gedult von dem Beley-
digten prætendiren koͤnne.

104.

Nunmehro erkenneſtu leichtlich/ was fuͤr
ein Unteꝛſcheid unter deꝛ Geꝛechtigkeit und Liebe
uͤberhaupt ſey. Die Gerechtigkeit iſt dasjenige
Theil der Liebe/ daß dem Menſchen das Vermoͤ-
gen giebet den andern zu dem/ was er ihm willig
leiſten ſolte zu zwingen; Derowegen kan wohl
Liebe ohne Gerechtigkeit/ nicht aber Gerechtigkeit
ohne Liebe ſeyn. Ja es verliehret die Gerechtig-
keit den Nahmen der Liebe/ wenn man den Zwang

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[250[246]/0278] Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen berlege dieſe Frage ein wenig genau: Wer iſt wohl gluͤcklicher/ oder beſſer zu reden/ weniger e- lende/ alß dieſe beyden Nationes bey dem Exceß ihrer Gedult? 103 Und alſo ſieheſt du/ daß doch die Gedult den Preiß behaͤlt/ es mag dich verdrieſſen wie du wilſt. Schmaͤhe noch mehr auff ſie/ wir wollen dir weiter kein Wort antworten/ ſondern der Ge- dult zu Ehren als mit Gedult vertragen. Je- doch laß dir rathen/ und mache es nicht zu arg; da- mit unſere Gedult nicht zerreiſſet. Denn es iſt ein ſchlimm Ding umb eine in den Harniſch ge- brachte Gedult/ und du muſt wiſſen/ daß ſie dieſes mit der Leutſeeligkeit gemein habe/ und von der Wahrhafftigkeit/ Beſcheidenheit und Vertraͤg- ligkeit dadurch entſchieden ſey daß man zu der Gedult keinen zwingen koͤnne/ ſondern es bloß ſeiner Liebe anheim ſtellen muͤſſe. Das iſt es e- ben was wir oben erwehnet/ daß der Beleydiger von Rechts wegen keine Gedult von dem Beley- digten prætendiren koͤnne. 104. Nunmehro erkenneſtu leichtlich/ was fuͤr ein Unteꝛſcheid unter deꝛ Geꝛechtigkeit und Liebe uͤberhaupt ſey. Die Gerechtigkeit iſt dasjenige Theil der Liebe/ daß dem Menſchen das Vermoͤ- gen giebet den andern zu dem/ was er ihm willig leiſten ſolte zu zwingen; Derowegen kan wohl Liebe ohne Gerechtigkeit/ nicht aber Gerechtigkeit ohne Liebe ſeyn. Ja es verliehret die Gerechtig- keit den Nahmen der Liebe/ wenn man den Zwang wuͤrck

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 250[246]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/278>, abgerufen am 13.11.2024.