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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 5. Hauptst von der allgemeinen
84.

Es ist wahr/ der beleidigende Theil/ zu-
mahl wenn er in der Güte uns keine Satisfaction
geben wil/ gibt für sich gnugsam zuverstehen/ daß
er nicht viel darnach frage/ ob er mit uns in Krieg
oder Frieden lebe. Aber so lange doch der Be-
leidigte
nicht bricht/ sondern das angethane Un-
recht mit Gedult verträget/ so lange ist auch kein
Krieg zwischen ihnen beyden/ und folgends müs-
sen sie nothwendig in einem friedsamen Zustand
leben.

85.

Du schüttelst den Kopff/ und dörfftest
mich wohl gar einer Söphisterey beschuldigen.
Denn sprichstu: Was ist das für ein Friede/
darinnen ich
keine Gemüths-Ruhe habe.
Wie kan ich aber ruhig seyn/ wenn ich mich befah-
ren muß/ daß der andere meine Gemüths-Ruhe
alle Augenblick stöhren werde?
Ja gesetzt/
daß der Krieg kein wahres Mittel zu einen ruhigen
Frieden wäre/ wie kan die Gedult vermögend
hierzu seyn/ da doch dieselbige die meiste Ursache
ist/ daß der Beleidiger immer angefrischet
wird/ Beleidigung mit Beleidigung zu
hauffen.
Betrachte doch selbsten. Du hast gesagt:
Ein unvernünfftiger Mensch könne durch Furcht
für der Gewalt und Ubel nicht zur Raison gebracht
werden. So wird er ja wahrhafftig noch weni-
ger raisonabel werden/ wenn ich alles von ihm ge-
dultig leyde. Hat er mir zuvor den Mantel ge-
nommen/ wird er mir. wenn ichs leyde/ darnach
den Rock nehmen/ und mich bis auf das Hembde

aus-
Das 5. Hauptſt von der allgemeinen
84.

Es iſt wahr/ der beleidigende Theil/ zu-
mahl wenn er in der Guͤte uns keine Satisfaction
geben wil/ gibt fuͤr ſich gnugſam zuverſtehen/ daß
er nicht viel darnach frage/ ob er mit uns in Krieg
oder Frieden lebe. Aber ſo lange doch der Be-
leidigte
nicht bricht/ ſondern das angethane Un-
recht mit Gedult vertraͤget/ ſo lange iſt auch kein
Krieg zwiſchen ihnen beyden/ und folgends muͤſ-
ſen ſie nothwendig in einem friedſamen Zuſtand
leben.

85.

Du ſchuͤttelſt den Kopff/ und doͤrffteſt
mich wohl gar einer Soͤphiſterey beſchuldigen.
Denn ſprichſtu: Was iſt das fuͤr ein Friede/
darinnen ich
keine Gemuͤths-Ruhe habe.
Wie kan ich aber ruhig ſeyn/ wenn ich mich befah-
ren muß/ daß der andere meine Gemuͤths-Ruhe
alle Augenblick ſtoͤhren werde?
Ja geſetzt/
daß der Krieg kein wahres Mittel zu einen ruhigen
Frieden waͤre/ wie kan die Gedult vermoͤgend
hierzu ſeyn/ da doch dieſelbige die meiſte Urſache
iſt/ daß der Beleidiger immer angefriſchet
wird/ Beleidigung mit Beleidigung zu
hauffen.
Betꝛachte doch ſelbſten. Du haſt geſagt:
Ein unvernuͤnfftiger Menſch koͤnne durch Furcht
fuͤr der Gewalt und Ubel nicht zur Raiſon gebracht
werden. So wird er ja wahrhafftig noch weni-
ger raiſonabel werden/ wenn ich alles von ihm ge-
dultig leyde. Hat er mir zuvor den Mantel ge-
nommen/ wird er mir. wenn ichs leyde/ darnach
den Rock nehmen/ und mich bis auf das Hembde

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[242[238]/0270] Das 5. Hauptſt von der allgemeinen 84. Es iſt wahr/ der beleidigende Theil/ zu- mahl wenn er in der Guͤte uns keine Satisfaction geben wil/ gibt fuͤr ſich gnugſam zuverſtehen/ daß er nicht viel darnach frage/ ob er mit uns in Krieg oder Frieden lebe. Aber ſo lange doch der Be- leidigte nicht bricht/ ſondern das angethane Un- recht mit Gedult vertraͤget/ ſo lange iſt auch kein Krieg zwiſchen ihnen beyden/ und folgends muͤſ- ſen ſie nothwendig in einem friedſamen Zuſtand leben. 85. Du ſchuͤttelſt den Kopff/ und doͤrffteſt mich wohl gar einer Soͤphiſterey beſchuldigen. Denn ſprichſtu: Was iſt das fuͤr ein Friede/ darinnen ich keine Gemuͤths-Ruhe habe. Wie kan ich aber ruhig ſeyn/ wenn ich mich befah- ren muß/ daß der andere meine Gemuͤths-Ruhe alle Augenblick ſtoͤhren werde? Ja geſetzt/ daß der Krieg kein wahres Mittel zu einen ruhigen Frieden waͤre/ wie kan die Gedult vermoͤgend hierzu ſeyn/ da doch dieſelbige die meiſte Urſache iſt/ daß der Beleidiger immer angefriſchet wird/ Beleidigung mit Beleidigung zu hauffen. Betꝛachte doch ſelbſten. Du haſt geſagt: Ein unvernuͤnfftiger Menſch koͤnne durch Furcht fuͤr der Gewalt und Ubel nicht zur Raiſon gebracht werden. So wird er ja wahrhafftig noch weni- ger raiſonabel werden/ wenn ich alles von ihm ge- dultig leyde. Hat er mir zuvor den Mantel ge- nommen/ wird er mir. wenn ichs leyde/ darnach den Rock nehmen/ und mich bis auf das Hembde aus-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 242[238]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/270>, abgerufen am 21.11.2024.