Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Liebe aller Menschen. Mensch für das seinige halten/ und nachdemder Gebrauch vernünfftig oder unvernünfftig ist/ sich hochachten oder verachten kan. 55. Man muß aber diese Bescheidenheit 56. Woraus dieses noch ferner folget/ daß Chri- P
Liebe aller Menſchen. Menſch fuͤr das ſeinige halten/ und nachdemder Gebrauch vernuͤnfftig oder unvernuͤnfftig iſt/ ſich hochachten oder verachten kan. 55. Man muß aber dieſe Beſcheidenheit 56. Woraus dieſes noch ferner folget/ daß Chri- P
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb n="229[225]" facs="#f0257"/><fw type="header" place="top">Liebe aller Menſchen.</fw><lb/> Menſch fuͤr das ſeinige halten/ und nachdem<lb/> der Gebrauch vernuͤnfftig oder unvernuͤnfftig iſt/<lb/> ſich hochachten oder verachten kan.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>55.</head> <p>Man muß aber dieſe <hi rendition="#fr">Beſcheidenheit</hi><lb/> nicht mit der <hi rendition="#fr">Demuth</hi> vermiſchen. Beyde<lb/> kommen zwar darinnen uͤberein/ daß ſie den<lb/> Menſchen antreiben/ daß er ſich nicht hoͤher hal-<lb/> te als andere Menſchen; aber darinnen beſtehet<lb/> der Unterſcheid/ daß die <hi rendition="#fr">Beſcheidenheit</hi> den<lb/> Menſchen dahin anweiſet/ das er andere Men-<lb/> ſchen als ſeines gleichen betrachtet/ oder wenn<lb/> es hoch koͤmmt/ ihnen wegen eines von den Men-<lb/> ſchen eingefuͤhrten Unterſcheids eine aͤuſſerliche<lb/> Ehr-Bezeugung/ als wenn er ſich ihnen geringer<lb/> halte/ erweiſet; aber die <hi rendition="#fr">Demuth</hi> fuͤhret ihn<lb/> dahin/ daß er ſich auch innerlich geringer halte<lb/> als andere Menſchen/ und dieſe ſeine Selbſt-Ver-<lb/> kleinerung allenthalben/ wo es Gelegenheit giebt/<lb/> durch aͤuſſerliche und mit dem Hertzen <hi rendition="#aq">correſpon-<lb/> diren</hi>de Thaten bezeuge.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>56.</head> <p>Woraus dieſes noch ferner folget/ daß<lb/><hi rendition="#fr">die Vernunfft</hi> an und vor ſich nicht weiter gehe/<lb/> als worzu die Beſcheidenheit den Menſchen ver-<lb/> pflichtet. <hi rendition="#fr">Von der Demuth aber kan ſie<lb/> nichts gegruͤndetes begreiffen/</hi> weil ſie bey<lb/> ſich ſelbſt keine Urſache findet/ warum ein<lb/> Menſch ſich ſelbſt geringer halten ſolte als einen<lb/> andern Menſchen/ ſondern es gehoͤret die Er-<lb/> kaͤntniß dieſer Tugend fuͤr eine hoͤhere Gelahr-<lb/> heit/ indem dieſelbe nicht Menſchen ſondern<lb/> <fw type="sig" place="bottom">P</fw><fw type="catch" place="bottom">Chri-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [229[225]/0257]
Liebe aller Menſchen.
Menſch fuͤr das ſeinige halten/ und nachdem
der Gebrauch vernuͤnfftig oder unvernuͤnfftig iſt/
ſich hochachten oder verachten kan.
55. Man muß aber dieſe Beſcheidenheit
nicht mit der Demuth vermiſchen. Beyde
kommen zwar darinnen uͤberein/ daß ſie den
Menſchen antreiben/ daß er ſich nicht hoͤher hal-
te als andere Menſchen; aber darinnen beſtehet
der Unterſcheid/ daß die Beſcheidenheit den
Menſchen dahin anweiſet/ das er andere Men-
ſchen als ſeines gleichen betrachtet/ oder wenn
es hoch koͤmmt/ ihnen wegen eines von den Men-
ſchen eingefuͤhrten Unterſcheids eine aͤuſſerliche
Ehr-Bezeugung/ als wenn er ſich ihnen geringer
halte/ erweiſet; aber die Demuth fuͤhret ihn
dahin/ daß er ſich auch innerlich geringer halte
als andere Menſchen/ und dieſe ſeine Selbſt-Ver-
kleinerung allenthalben/ wo es Gelegenheit giebt/
durch aͤuſſerliche und mit dem Hertzen correſpon-
dirende Thaten bezeuge.
56. Woraus dieſes noch ferner folget/ daß
die Vernunfft an und vor ſich nicht weiter gehe/
als worzu die Beſcheidenheit den Menſchen ver-
pflichtet. Von der Demuth aber kan ſie
nichts gegruͤndetes begreiffen/ weil ſie bey
ſich ſelbſt keine Urſache findet/ warum ein
Menſch ſich ſelbſt geringer halten ſolte als einen
andern Menſchen/ ſondern es gehoͤret die Er-
kaͤntniß dieſer Tugend fuͤr eine hoͤhere Gelahr-
heit/ indem dieſelbe nicht Menſchen ſondern
Chri-
P
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/257 |
Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 229[225]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/257>, abgerufen am 04.03.2025. |