Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Liebe aller Menschen. durch Zwang diese Leutseeligkeit ohne eine abson-derliche Zusage/ oder eine andere special Ursache erpressen/ so würde man ja gantz offenbarlich den- selben aus dem Stand der Gleichheit dadurch se- tzen/ und ihn andern Menschen ungleich ma- chen. 29. Was aber die Gutthätigkeit und 30. Solte ja jemand dieser Satz über- Hertzen O 2
Liebe aller Menſchen. durch Zwang dieſe Leutſeeligkeit ohne eine abſon-derliche Zuſage/ oder eine andere ſpecial Urſache erpreſſen/ ſo wuͤrde man ja gantz offenbarlich den- ſelben aus dem Stand der Gleichheit dadurch ſe- tzen/ und ihn andern Menſchen ungleich ma- chen. 29. Was aber die Gutthaͤtigkeit und 30. Solte ja jemand dieſer Satz uͤber- Hertzen O 2
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Liebe aller Menſchen.
durch Zwang dieſe Leutſeeligkeit ohne eine abſon-
derliche Zuſage/ oder eine andere ſpecial Urſache
erpreſſen/ ſo wuͤrde man ja gantz offenbarlich den-
ſelben aus dem Stand der Gleichheit dadurch ſe-
tzen/ und ihn andern Menſchen ungleich ma-
chen.
29. Was aber die Gutthaͤtigkeit und
Danckbarkeit betrifft/ ſo weiſet das Weſen einer
wahrhafftigen Liebe/ zu welcher auch dieſelbigen
gehoͤren/ gantz klar und deutlich/ daß ob ſchon
dieſelbige nur auff diejenigen ihr Abſehen
richtet/ die in gegenwaͤrtigen verderbten Zuſtande
andern ungleich ſind/ und mit denen Liebenden fuͤr
andern nach der wahren Gemuͤths-Ruhe trach-
ten/ auch ſolcheꝛgeſtalt die im voꝛigen Paragrapho
angefuͤhrte Gleichheit hieher nicht gebracht wer-
den kan; dennoch auch hierinnen kein Zwang zu-
gelaſſen werden koͤnne/ weil ohnmoͤglich eine
Liebe ſeyn kan/ wo auch nur der geringſte
Zwang vorgehet.
30. Solte ja jemand dieſer Satz uͤber-
Verhoffen etwas frembde oder zwetffelhaffte
vorkommen/ der wolle nur auff dieſe Erfahrung
ſeines eigenen Hertzens ein wenig zu ruͤcke gehen.
Hat er jemahlen geliebet/ und nur im geringſten
Grad eine vernuͤnfftige Weichhertzigkeit darbey
befunden/ ſo wird er bekennen muͤſſen/ daß gleich
wie bey ihm auch nur die ſchlechteſte Liebes-
Bezeigung ein groſſes Vergnuͤgen erwecket/
wenn er erkennet/ daß ſelbige aus einen guten
Hertzen
O 2
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 213[211]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/243>, abgerufen am 04.03.2025. |