Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.Das 4. Hauptst. von der vernünfftigen neue Liebe wircke; sondern es giebet es auch dieBeschreibung der Gemuths-Ruhe genug zu erkenen. Wir haben oben gesagt/ sie sey ein ru- higes Vergnügen ohne empfindliche Freude und ohne Schmertzen. Nun sage mir eine einige Sache in der Welt/ darinnen du dieses ruhige Vergnugen antreffen köntest als in der vernünff- tigen Liebe anderer Menschen. Was für ein Vergnügen ist dieser Liebe vorzuziehen? Was ist ruhiger? Alle Wollust/ Ehr- und Geld-Geitz müssen sich wegen ihrer bey sich führenden Unru- he verkriechen. Welche Liebe ist ohne eine hupffende Freude/ als diese? Und was für ein Vergnügen ist endlich ohne Schmertzen/ als diese Liebe. Ja wo kan ein grösserer Schmertzen seyn/ als wo diese Liebe auffhöret/ und den Men- schen in Haß und Unfriede setzet/ woraus die grö- ste Unruhe und folglich auch das gröste Unglück entstehet. 61. Ja/ sagstu/ ich habe aber gleichwol gehö- und
Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen neue Liebe wircke; ſondern es giebet es auch dieBeſchreibung der Gemůths-Ruhe genug zu erkenen. Wir haben oben geſagt/ ſie ſey ein ru- higes Vergnuͤgen ohne empfindliche Freude und ohne Schmertzen. Nun ſage mir eine einige Sache in der Welt/ darinnen du dieſes ruhige Vergnůgen antreffen koͤnteſt als in der vernuͤnff- tigen Liebe anderer Menſchen. Was fuͤr ein Vergnuͤgen iſt dieſer Liebe vorzuziehen? Was iſt ruhiger? Alle Wolluſt/ Ehr- und Geld-Geitz muͤſſen ſich wegen ihrer bey ſich fuͤhrenden Unru- he verkriechen. Welche Liebe iſt ohne eine hůpffende Freude/ als dieſe? Und was fuͤr ein Vergnuͤgen iſt endlich ohne Schmertzen/ als dieſe Liebe. Ja wo kan ein groͤſſerer Schmertzen ſeyn/ als wo dieſe Liebe auffhoͤret/ und den Men- ſchen in Haß und Unfriede ſetzet/ woraus die groͤ- ſte Unruhe und folglich auch das groͤſte Ungluͤck entſtehet. 61. Ja/ ſagſtu/ ich habe aber gleichwol gehoͤ- und
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Das 4. Hauptſt. von der vernuͤnfftigen
neue Liebe wircke; ſondern es giebet es auch die
Beſchreibung der Gemůths-Ruhe genug zu
erkenen. Wir haben oben geſagt/ ſie ſey ein ru-
higes Vergnuͤgen ohne empfindliche Freude und
ohne Schmertzen. Nun ſage mir eine einige
Sache in der Welt/ darinnen du dieſes ruhige
Vergnůgen antreffen koͤnteſt als in der vernuͤnff-
tigen Liebe anderer Menſchen. Was fuͤr ein
Vergnuͤgen iſt dieſer Liebe vorzuziehen? Was
iſt ruhiger? Alle Wolluſt/ Ehr- und Geld-Geitz
muͤſſen ſich wegen ihrer bey ſich fuͤhrenden Unru-
he verkriechen. Welche Liebe iſt ohne eine
hůpffende Freude/ als dieſe? Und was fuͤr ein
Vergnuͤgen iſt endlich ohne Schmertzen/ als
dieſe Liebe. Ja wo kan ein groͤſſerer Schmertzen
ſeyn/ als wo dieſe Liebe auffhoͤret/ und den Men-
ſchen in Haß und Unfriede ſetzet/ woraus die groͤ-
ſte Unruhe und folglich auch das groͤſte Ungluͤck
entſtehet.
61. Ja/ ſagſtu/ ich habe aber gleichwol gehoͤ-
ret/ daß eine recht vernuͤnfftige Liebe nicht oh-
ne Unruhe/ Schmertzen/ und darauff erfolgen-
de empfindliche Freude ſeyn koͤnne; und daß die
Eyfferſucht und die kleine Zanckereyen die
Probe und der Zunder einer vernuͤnfftigen Liebe
ſey. Alle Liebes-Buͤcher/ die von vernuͤnfftigen
Autoren geſchrieben/ bezeugen ſolches/ und der
Mangel der Eyfferſucht iſt auch der Mangel der
Liebe. Wo aber Eyfferſucht iſt/ da iſt Unruhe
und
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Zitationshilfe: | Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/220>, abgerufen am 04.03.2025. |