Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 2. Hauptst. von der grösten
des Geblütes/ nicht aber einen grossen Schmer-
tzen in denen nerven verursachen; ist darinnen
ein grosser Unterschied zwischen einen Menschen
der die Gemüths-Ruhe besitzet/ und der diesel-
be noch nicht erhalten hat. Dieser wird auch
in seinem Gemüthe unruhig seyn/ theils weil sein
Gemüthe von der deposition des Leibes bald da
bald dorthin gezogen zu werden gewohnet ist/
und also die unordentliche Bewegung des Ge-
blüts auch nothmendig eine unordentliche unru-
hige Bewegung in seinen Gedancken verursa-
chen muß/ theils weil er diese Kranckheiten als
eine Hinderniß betrachtet seinen Reichthumb zu-
vermehren oder seine Wohllust zu sättigen/ oder
seine Ehrgierde zu stillen/ als worinnen er irriger
weise sein höchstes Vergnügen sucht.

119.

Aber ein weiser Mann der gewohnet
ist/ daß sein Gemüthe von dem augenblicklichen
unordentlichen Bewegungen des Geblütes (wo-
durch bey andern sonst der affect pfleget erre-
get zu werden) nicht beweget wird/ hat durch
diese Gewohnheit so viel erhalten/ daß auch her-
nach durch dergleichen dauerhaffte unordent-
liche Bewegungen des Geblütes/ ebenfalls seine
Gemüths-Ruhe nicht gestöhret wird/ und in
dem er also ausser dieser keine andere Glücksee-
ligkeit erkennet/ so afficiret ihn auch in geringsten
nicht/ ob schon durch die Kranckheit/ Reichthum/
sinnliche Belustigungen und lobwürdige Thaten
hindan gesetzet werden müssen.

120. Aber

Das 2. Hauptſt. von der groͤſten
des Gebluͤtes/ nicht aber einen groſſen Schmer-
tzen in denen nerven verurſachen; iſt darinnen
ein groſſer Unterſchied zwiſchen einen Menſchen
der die Gemuͤths-Ruhe beſitzet/ und der dieſel-
be noch nicht erhalten hat. Dieſer wird auch
in ſeinem Gemuͤthe unruhig ſeyn/ theils weil ſein
Gemuͤthe von der depoſition des Leibes bald da
bald dorthin gezogen zu werden gewohnet iſt/
und alſo die unordentliche Bewegung des Ge-
bluͤts auch nothmendig eine unordentliche unru-
hige Bewegung in ſeinen Gedancken verurſa-
chen muß/ theils weil er dieſe Kranckheiten als
eine Hinderniß betrachtet ſeinen Reichthumb zu-
vermehren oder ſeine Wohlluſt zu ſaͤttigen/ oder
ſeine Ehrgierde zu ſtillen/ als worinnen er irriger
weiſe ſein hoͤchſtes Vergnuͤgen ſucht.

119.

Aber ein weiſer Mann der gewohnet
iſt/ daß ſein Gemuͤthe von dem augenblicklichen
unordentlichen Bewegungen des Gebluͤtes (wo-
durch bey andern ſonſt der affect pfleget erre-
get zu werden) nicht beweget wird/ hat durch
dieſe Gewohnheit ſo viel erhalten/ daß auch her-
nach durch dergleichen dauerhaffte unordent-
liche Bewegungen des Gebluͤtes/ ebenfalls ſeine
Gemuͤths-Ruhe nicht geſtoͤhret wird/ und in
dem er alſo auſſer dieſer keine andere Gluͤckſee-
ligkeit erkennet/ ſo afficiret ihn auch in geringſten
nicht/ ob ſchon durch die Kranckheit/ Reichthum/
ſinnliche Beluſtigungen und lobwuͤrdige Thaten
hindan geſetzet werden muͤſſen.

120. Aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0140" n="108"/><fw place="top" type="header">Das 2. Haupt&#x017F;t. von der gro&#x0364;&#x017F;ten</fw><lb/><hi rendition="#fr">des Geblu&#x0364;tes/</hi> nicht aber einen gro&#x017F;&#x017F;en Schmer-<lb/>
tzen in denen <hi rendition="#aq">nerv</hi>en verur&#x017F;achen; i&#x017F;t darinnen<lb/>
ein gro&#x017F;&#x017F;er Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen einen Men&#x017F;chen<lb/>
der die Gemu&#x0364;ths-Ruhe be&#x017F;itzet/ und der die&#x017F;el-<lb/>
be noch nicht erhalten hat. <hi rendition="#fr">Die&#x017F;er</hi> wird auch<lb/>
in &#x017F;einem Gemu&#x0364;the unruhig &#x017F;eyn/ theils weil &#x017F;ein<lb/>
Gemu&#x0364;the von der <hi rendition="#aq">depo&#x017F;ition</hi> des Leibes bald da<lb/>
bald dorthin gezogen zu werden gewohnet i&#x017F;t/<lb/>
und al&#x017F;o die unordentliche Bewegung des Ge-<lb/>
blu&#x0364;ts auch nothmendig eine unordentliche unru-<lb/>
hige Bewegung in &#x017F;einen Gedancken verur&#x017F;a-<lb/>
chen muß/ theils weil er die&#x017F;e Kranckheiten als<lb/>
eine Hinderniß betrachtet &#x017F;einen Reichthumb zu-<lb/>
vermehren oder &#x017F;eine Wohllu&#x017F;t zu &#x017F;a&#x0364;ttigen/ oder<lb/>
&#x017F;eine Ehrgierde zu &#x017F;tillen/ als worinnen er irriger<lb/>
wei&#x017F;e &#x017F;ein ho&#x0364;ch&#x017F;tes Vergnu&#x0364;gen &#x017F;ucht.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>119.</head>
          <p>Aber <hi rendition="#fr">ein wei&#x017F;er Mann</hi> der gewohnet<lb/>
i&#x017F;t/ daß &#x017F;ein Gemu&#x0364;the von dem augenblicklichen<lb/>
unordentlichen Bewegungen des Geblu&#x0364;tes (wo-<lb/>
durch bey andern &#x017F;on&#x017F;t der <hi rendition="#aq">affect</hi> pfleget erre-<lb/>
get zu werden) nicht beweget wird/ hat durch<lb/>
die&#x017F;e Gewohnheit &#x017F;o viel erhalten/ daß auch her-<lb/>
nach durch dergleichen dauerhaffte unordent-<lb/>
liche Bewegungen des Geblu&#x0364;tes/ ebenfalls &#x017F;eine<lb/>
Gemu&#x0364;ths-Ruhe nicht ge&#x017F;to&#x0364;hret wird/ und in<lb/>
dem er al&#x017F;o au&#x017F;&#x017F;er die&#x017F;er keine andere Glu&#x0364;ck&#x017F;ee-<lb/>
ligkeit erkennet/ &#x017F;o <hi rendition="#aq">affici</hi>ret ihn auch in gering&#x017F;ten<lb/>
nicht/ ob &#x017F;chon durch die Kranckheit/ Reichthum/<lb/>
&#x017F;innliche Belu&#x017F;tigungen und lobwu&#x0364;rdige Thaten<lb/>
hindan ge&#x017F;etzet werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">120. Aber</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0140] Das 2. Hauptſt. von der groͤſten des Gebluͤtes/ nicht aber einen groſſen Schmer- tzen in denen nerven verurſachen; iſt darinnen ein groſſer Unterſchied zwiſchen einen Menſchen der die Gemuͤths-Ruhe beſitzet/ und der dieſel- be noch nicht erhalten hat. Dieſer wird auch in ſeinem Gemuͤthe unruhig ſeyn/ theils weil ſein Gemuͤthe von der depoſition des Leibes bald da bald dorthin gezogen zu werden gewohnet iſt/ und alſo die unordentliche Bewegung des Ge- bluͤts auch nothmendig eine unordentliche unru- hige Bewegung in ſeinen Gedancken verurſa- chen muß/ theils weil er dieſe Kranckheiten als eine Hinderniß betrachtet ſeinen Reichthumb zu- vermehren oder ſeine Wohlluſt zu ſaͤttigen/ oder ſeine Ehrgierde zu ſtillen/ als worinnen er irriger weiſe ſein hoͤchſtes Vergnuͤgen ſucht. 119. Aber ein weiſer Mann der gewohnet iſt/ daß ſein Gemuͤthe von dem augenblicklichen unordentlichen Bewegungen des Gebluͤtes (wo- durch bey andern ſonſt der affect pfleget erre- get zu werden) nicht beweget wird/ hat durch dieſe Gewohnheit ſo viel erhalten/ daß auch her- nach durch dergleichen dauerhaffte unordent- liche Bewegungen des Gebluͤtes/ ebenfalls ſeine Gemuͤths-Ruhe nicht geſtoͤhret wird/ und in dem er alſo auſſer dieſer keine andere Gluͤckſee- ligkeit erkennet/ ſo afficiret ihn auch in geringſten nicht/ ob ſchon durch die Kranckheit/ Reichthum/ ſinnliche Beluſtigungen und lobwuͤrdige Thaten hindan geſetzet werden muͤſſen. 120. Aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/140
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/140>, abgerufen am 13.11.2024.